Bayer will kostengünstige Medikamente in Indien stoppen
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Deutscher Pharmakonzern legt in Indien Berufung gegen lebensrettende Zwangslizenz ein
Das Pharmaunternehmen Bayer hat Widerspruch gegen die Entscheidung des indischen Patentamtes für eine Zwangslizenz des Krebsmedikamentes Sorafenib Tosylate eingelegt, auf das Bayer Patent hat. Diese Lizenz hat es bisher ermöglicht, die kostengünstigere generische Version des Medikaments zu produzieren. Am Montag hat die Verhandlung vor dem Intellectual Property Appellate Board im indischen Chennai begonnen. Die internationale medizinische Hilfsorganisation MSF hat Bayer für diesen Schritt kritisiert.
„Bayers Einspruch gegen diese Entscheidung war vorhersehbar. Eher lässt sich der Konzern auf einen Rechtsstreit ein als der Tatsache ins Auge zu blicken, dass seine Preise zu hoch sind“, so Leena Menghaney, die Leiterin der Medikamentenkampagne von MSF in Indien. „Nicht die Verhängung von Zwangslizenzen sollte infrage gestellt werden, sondern die Tatsache, dass das fortwährende Streben nach astronomischen Profiten über die Bedürfnisse des Gesundheitswesens gestellt wird.“
Die oberste Instanz des indischen Patentamts kam im März dieses Jahres zu der richtungsweisenden Entscheidung, durch eine „Zwangslizenz“ die Herstellung eines erschwinglichen Nachahmerprodukts des Bayer-Medikaments Sorafenib Tosylate gegen Leber- und Nierenkrebs zu erlauben und damit Konkurrenz zuzulassen. Durch diesen Schritt wurde der Preis des patentierten Medikaments von über 5.500 US-Dollar pro Monat auf 175 gesenkt – ein Preisrückgang von 97 Prozent. Bayer erhält von Natco, dem Generikahersteller, der die Linzenz erhalten hat, eine Lizenzgebühr in Höhe von sechs Prozent der Verkaufserlöse.
Indiens erste Zwangslizenz stellt möglicherweise einen Durchbruch dar, was den Zugang zu erschwinglichen patentierten Medikamenten anbelangt. Zwangslizenzen könnten dafür sorgen, dass auch andere lebensrettende Medikamente, die in Indien patentiert und unerschwinglich sind, von Generikaherstellern produziert werden, damit sie in den Entwicklungsländern zu einem Bruchteil des ursprünglichen Preises eingesetzt werden können. Neue Medikamente, die in Indien patentiert sind, wie zum Beispiel Medikamente zur Behandlung von HIV, sind für die, die sie am meisten brauchen, oft zu teuer.
„Für die neuesten Medikamente, die jetzt in Indien patentiert wurden, gibt es keine konkurrierenden Generika, die die astronomischen Preise drücken könnten“, so Menghaney. „Eine Zwangslizenz ist eine Lösung, dies zu erreichen. Mit der Berufung gegen diese Entscheidung versucht der Konzern, eine wichtige öffentliche Massnahme zu blockieren, die künftig lebensrettend sein kann, weil Menschen, Regierungen und Gesundheitsanbieter wie MSF dadurch Zugang zu den neuesten Medikamenten aus Indien haben.“
MSF hofft insbesondere, dass der Bereich der HIV-Medikamente von künftigen Zwangslizenzen in Indien profitieren kann.
„Wir haben damit angefangen, Menschen, die wegen ihrer HIV-Infektion in Behandlung sind und eine Medikamentenresistenz entwickelt haben, auf neuere Medikamente umzustellen, die teuer sind“, so Luke Arend, Einsatzleiter von MSF in Indien. „Wenn wir zum Beispiel Menschen mit HIV, die ein Medikament der dritten Linie wie Raltegravir brauchen, in unserer Klinik in Mumbai behandeln wollen, kostet das MSF 2’100 US-Dollar pro Person und Jahr. Das ist langfristig untragbar. Wenn es Bayer gelingt, eine der rechtlichen Optionen zu kippen, die wir haben, um zu einem erschwinglichen Preis an die neueren Medikamente zu kommen, dann wird das ein Rückschlag für unsere medizinischen Projekte“, fügt Arend hinzu.
Indien befindet sich derzeit mitten in mehreren Patentstreiten mit multinationalen Pharmakonzernen. So geht der multinationale Schweizer Konzern Novartis gerichtlich gegen die patientenfreundlichen indischen Patentrechte vor. Der Konzern streitet mit der indischen Regierung über die Interpretation einer Klausel, die die Gewährung von Sekundärpatenten einschränkt. Der Fall kommt noch diesen Monat vor das Oberste Gericht.