Das Leben von Kindern in Ost-Aleppo ist in Gefahr
Syrien4 Min.
Viele der in Ost-Aleppo eingeschlossenen Menschen sind unter 18 Jahre alt. Die monatelange Belagerung und Wochen der Bombardierungen und Kämpfe haben eine verheerende Auswirkung auf ihre Gesundheit.
Die Situation in Ost-Aleppo verschlechtert sich für Kinder täglich, unabhängig davon, ob sie krank sind oder nicht. Lebensmittel, Trinkwasser und medizinische Hilfe werden zunehmend knapper. Das medizinische Personal kämpft, um die grosse Anzahl Verletzter zu versorgen.
Mindestens 136 Kinder wurden seit dem 22. September bei Luftangriffen getötet, mindestens 468 verletzt. Die Spitäler in denen sie behandelt werden, sind überfüllt und es fehlt an ausreichendem Personal, medizinischem Bedarfsmaterial und Betten auf den Intensivstationen.
“Unsere Ambulanzen sind überfordert,” sagt Abu Al Motassem, Krankenpfleger in der Notaufnahme. „Täglich kommen zwischen 120 und 150 Kinder zu uns. Ein Kind hätte dringend auf der Intensivstation aufgenommen werden müssen, aber wir hatten keinen Platz. Es musste warten und hat nicht überlebt.“
Kein Kinderchirurg mehr vor Ort
Von den sieben Spitälern, die derzeit in Ost-Aleppo noch aktiv sind, ist nur eines auf die Behandlung von Kindern spezialisiert. Im belagerten Stadtteil arbeiten nur noch vier Kinderärzte, zwei davon ausgebildete Ärzte und zwei Medizinstudenten im letzten Jahr. Es gibt aber keinen Kinderchirurgen mehr.
Der Mangel an medizinischem Personal hat bereits fatale Konsequenzen. Al Motassem: „Ein Kind mit Speiseröhrendivertikel kam zu uns und hätte dringend operiert werden müssen. Eigentlich ein leichter Eingriff, den jeder Kinderchirurg durchführen könnte. Aber es gibt keinen. Das Kind starb.“
Rund 1‘500 Kinder in Ost-Aleppo würden derzeit spezialisierte medizinische Versorgung brauchen. Diese ist jedoch nicht verfügbar. Nachdem auch alle Strassen aus der Stadt unbenutzbar sind, können sie auch nicht überwiesen oder verlegt werden. Unter den Kindern sind Krebspatienten, Kinder mit angeborenen Anomalien und Gehirnschäden sowie andere Notfälle.
Zu spät und zu kurz ins Spital
Viele Eltern haben Angst, bei Luftangriffen oder Kämpfen in der Stadt unterwegs zu sein. Sie warten mit den kranken Kindern zu Hause, bis es weniger gefährlich ist, das Haus zu verlassen. „Sie warten, bis die Kampfflugzeuge weg sind. Wenn sie dann das Spital erreichen, sind die Kinder oft in sehr schlechtem Zustand“, sagt Riyad Najjar, Administrator im einzigen Kinderspital im belagerten Stadtteil. “Manchmal warten sie die ganze Nacht, und wenn sie dann kommen ist es zu spät für die Kinder oder bleibende Schäden sind entstanden“, sagt Aya, Krankenpflegefachfrau auf der Neugeborenenstation.
Patienten und Patientinnen in Ost-Aleppo bleiben generell nur so kurz wie möglich im Spital, da Spitäler als gefährliche Orte gelten. Alle Spitäler wurden in 26 einzelnen Angriffen während der dreimonatigen Belagerung bombardiert. Auch der Druck auf medizinisches Personal und der Mangel an Krankenbetten tragen dazu bei, dass Patienten oft zu kurz im Spital bleiben. Dies hat manchmal tragische Auswirkungen. „Frühgeborene Babys brauchen oft eine längere Zeit in der Intensivstation, bevor sie entlassen werden können, aber manchmal haben wir nicht die Zeit, und so verlieren wir viele,“ sagt Najjar.
Seit der Belagerung werden die Medikamente rationiert, einige sind ausgegangen. „Hier in der Neonatologie und in der Notaufnahme sterben viele Kinder, weil keine Medikamente für sie da sind“ erklärt Aya.
Allgemeine medizinische Versorgung fehlt
Kinder mit weniger dringlichen medizinischen Beschwerden werden vernachlässigt. Laut medizinischem Personal in den von MSF unterstützten Spitälern hat aufgrund der Hunderten Menschen, die bei den Luftangriffen in den letzten Wochen verletzt wurden, allgemeine Kinderheilkunde keine Priorität.
Nach so vielen Jahren des Krieges ist die Durchimpfungsrate lückenhaft, und die Immunsysteme der Kinder sind geschwächt, was das Risiko eines Ausbruchs vermeidbarer Krankheiten wie Masern, Meningitis und Polio erhöht. Es gibt bereits Verdachtsfälle aller drei Krankheiten in Ost-Aleppo, aber sie konnten noch nicht bestätigt werden, da es nicht mehr möglich ist, Blutproben in ein Labor ausserhalb der Stadt zu schicken.
Mangel an Babynahrung
Gleichzeitig herrscht auch ein Mangel an vielen Lebensmitteln wie Fleisch, Milchprodukten, Obst und Gemüse und Milchpulver für Babies.
Es besteht ein gravierender Engpass an Nahrungsmitteln für Kinder, einschliesslich Milchpulver“ erklärt Almoutassen. „Einige Mütter sind nicht in der Lage zu stillen, andere Kinder haben ihre Mütter verloren. Die Menschen finden kein Milchpulver mehr, daher erhalten die Babys oft normale Nahrung, was wiederum zu akuter Mangelernährung führt, und die Eltern wissen nicht, was los ist.“ Mangelernährte Kinder sind empfänglicher für Krankheiten.
Das Leben für die Kinder, die in Ost-Aleppo festsitzen, wird mit jedem Tag gefährlicher.
MSF unterstützt acht Spitäler in Ost-Aleppo, von denen derzeit nur sieben in Betrieb sind. Die Organisation betreibt sechs medizinische Einrichtungen im Norden Syriens und unterstützt über 150 Spitäler und Gesundheitszentren im ganzen Land, viele davon in den belagerten Gebieten. Trotz aller Bemühungen gibt es viele Gebiete – einschliesslich West-Aleppo – in denen MSF derzeit nicht arbeiten kann. Aber die Organisation bemüht sich kontinuierlich darum, auch diese Gebiete mit humanitärer und medizinischer Hilfe zu versorgen.