Haiti: Einen Monat nach den Stürmen stossen MSF-Teams auf Menschen, die bisher keinerlei Hilfe erhalten haben
© Francois Servranckx
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Port-au-Prince/Genf, 3. Oktober 2008. – Einen Monat nachdem drei Tropenstürme über Haiti hinweggefegt sind und enorme Schäden verursacht haben, stossen Teams von Médecins san Frontières/ Ärzte ohne Grenzen (MSF) auf ein komplett überschwemmtes Dorf, in dem 2’400 Überlebende bisher keinerlei Hilfe erhalten haben.
Am 30. September 2008 konnten die Teams Mamont erreichen, eine Ansammlung von Dörfern südöstlich von Gonaïves in der Region Aribonite mit einer ursprünglichen Bevölkerung von ungefähr 17’000 Menschen. Die Überlebenden der jüngsten Tropenstürme waren während der vergangenen vier Wochen vollkommen von der Aussenwelt abgeschnitten. Die MSF-Teams fanden das Gebiet noch immer vom Wasser eines Sees überschwemmt vor, der während der Stürme entstanden war. Die verbleibende Bevölkerung musste während der vergangenen Wochen ohne sauberes Wasser, ohne ausreichende Nahrung und ohne medizinische Hilfe auskommen.
MSF leistet den Betroffenen nun Hilfe und ruft andere Organisationen auf, so schnell wie möglich Hilfsmassnahmen zu starten. Während sich die internationale Aufmerksamkeit bereits von der Naturkatastrophe in Haiti abgewandt hat, zeigt das Beispiel von Mamont, dass in Teilen des Landes nach wie vor dringender Bedarf an humanitärer Hilfe herrscht.
Auch im Gebiet um Gonaïves greifen die Massnahmen für die Opfer der Tropenstürme nur langsam. Nach wie vor fehlt es an Zugang zu sauberem Wasser und es gibt Probleme im Bereich sanitärerer Einrichtungen sowie grossen Bedarf an Gütern des täglichen Gebrauchs.
Es besteht das Risiko, dass sich Krankheiten ausbreiten. Zudem ist MSF besorgt über wiederholte Vertreibungen von Menschen aus ihren temporären Unterkünften. Seit einigen Tagen üben die Behörden Druck aus, um Klassenzimmer vor Beginn des Schuljahres am 6. Oktober zu räumen, die noch immer von Sturmopfern bewohnt sind. Eine ähnliche Situation herrscht in Kirchen, deren Gemeinden die Gebäude reinigen und wieder Gottesdienste abhalten möchten und daher Druck auf jene ausüben, die darin temporär Zuflucht gefunden haben.
Die Kathedrale von Gonaïves, in der mehr als 200 Menschen Zuflucht gesucht hatten, wurde bereits vor zwei Wochen geräumt. Einige der Vertriebenen übersiedelten in ein aus 65 Zelten bestehendes Lager in Praville, wo unzumutbare Bedingungen herrschen. Im Gebiet von K-Soleil wurden 800 Menschen aus ihren Notunterkünften vertrieben und standen damit vor der Wahl, entweder in ihren zerstörten Häusern zu kampieren oder unter einem Stück Karton zu schlafen. Etwa 500 Menschen, die die Kirche der Christian Union verlassen mussten, wurden in das Universitätsgebäude der Stadt umgesiedelt. 200 von ihnen leben dort noch immer ohne jegliche Hygieneeinrichtungen. Und auch in dem von der Naturkatastrophe stark betroffenen Gebiet Parc Vincent werden nach den Aufräumarbeiten in den nächsten Tagen viele Menschen auf der Strasse stehen.
Heute sind hunderte Familien ohne Unterkunft und ohne Hilfe beim Wiederaufbau ihrer Existenz, da weder die Behörden, noch die in Gonaïves anwesenden internationalen Organisationen entsprechende Unterstützung leisten.
MSF Noteinsatz in Haiti
MSF eröffnete kürzlich gemeinsam mit dem Ministerium für Gesundheit und Bevölkerung ein 80-Betten-Spital im Norden von Gonaïves (300'000 Einwohner). Diese Einrichtung ist zur Zeit in der von den Stürmen verwüsteten Stadt die einzige, die auf Notfälle, Geburtshilfe und Kinderheilkunde eingerichtet ist.
Während der ersten fünf Tage wurden in der Notaufnahme bereits 108 Patienten behandelt und 19 Entbindungen, sowie neun Operationen durchgeführt. Insgesamt wurden 40 Personen in das Krankenhaus aufgenommen.
Parallel zu den Aktivitäten im Krankenhaus arbeitet MSF weiter daran, den Zugang zu Trinkwasser für die Bevölkerung zu erleichtern, doch die Lage in Gonaïves bleibt sehr schwierig. Jeden Tag chloriert das Team 1000 Kubikmeter Wasser. Gemeinsam mit anderen Organisationen werden täglich 350 Kubikmeter Wasser zur Verteilung in die Gemeinden gefahren. Insgesamt konnte MSF seit dem 8. September mehr als 5’700 Kubikmeter Wasser ausgeben, die grösste Menge, die bisher in der Stadt verteilt wurde. Das Ziel ist eine Kapazität von 1’000 Kubikmetern pro Tag zu erreichen.
Die mobilen Teams sind weiterhin mit dem Auto und mit dem Helikopter unterwegs, um den am meisten bedürftigen Menschen Hilfe zu bringen, die in Gonaïves oder in den völlig isolierten Dörfern der Umgebung in Notunterkünften leben. Seit dem 12. September konnten die Teams der mobilen Kliniken mehr als 1’150 Menschen versorgen.
Vergangene Woche zog sich das MSF-Team aus dem Gesundheitszentrum des Stadtteils Raboteau zurück, das jetzt zur Gänze vom Ministerium für Gesundheit und Bevölkerung geführt wird. In 20 Tagen wurden dort 2’326 Patienten versorgt.
Ferner begutachteten MSF Teams die Notlagen im Nordwesten Haitis sowie in der im Zentrum des Landes gelegenen Artibonite Region und im Süden des Landes. Während Interventionen in den besuchten Gebieten momentan nicht notwendig sind, versorgten die Teams einige Gesundheitseinrichtungen mit Medikamenten und führten medizinische Konsultationen durch. Im Nordwesten wurde ein ernährungsbezogenes Überwachungssystem eingerichtet und in den nordöstlichen und südöstlichen Gebieten wurden in bezug auf Unsicherheit im Zugang zu Nahrung Einschätzungen durchgeführt.
© Francois Servranckx