Libanon: Die Zivilbevölkerung, medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal müssen geschützt werden
© Maryam Srour/MSF
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Aufgrund vermehrter israelischer Angriffe werden Gesundheitseinrichtungen in den am stärksten betroffenen Gebieten zur Schliessung gezwungen. Dies hat verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung und ihren Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiten unermüdlich daran, die Versorgung in unseren bestehenden Einrichtungen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig den durch den anhaltenden Konflikt entstehenden Hilfsbedarf zu decken. Aufgrund der intensiven Luftangriffe sahen wir uns jedoch gezwungen, einige Aktivitäten in stark betroffenen Gebieten auszusetzen. Um den Menschen die dringend benötigte medizinische Versorgung zukommen zu lassen, werden wir unsere Einsatzmöglichkeiten ständig neu evaluieren. Ärzte ohne Grenzen appelliert an alle Kriegsparteien, die Zivilbevölkerung, die medizinischen Einrichtungen und das medizinische Personal im Libanon zu verschonen.
Angesichts der intensiven Gewalt, beschädigter Strassen und ungenügender Sicherheit können wir derzeit nicht alle betroffenen Gebiete im Libanon erreichen, obwohl der medizinische und humanitäre Bedarf steigt.
In der vergangenen Woche war Ärzte ohne Grenzen gezwungen, ihre Klinik im südlich von Beirut gelegenen Palästinensercamp Burj el Barajneh zu schliessen. Auch in Baalbek-Hermel, im Nordosten Libanons, mussten wir unsere Tätigkeit vorübergehend einstellen. Beide Gebiete sind stark von den Angriffen betroffen.
«Wir haben unsere Klinik in Hermel diese Woche teilweise wieder geöffnet, damit Patient:innen die benötigten Medikamente erhalten. Zudem haben wir schwerkranken und Risikopatient:innen einen Vorrat an wichtigen Medikamenten für zwei bis drei Monate abgegeben», sagt Zamparini.
Patient:innen in diesen Gebieten sind bereits jetzt gefährdet und es ist schwierig für sie, die dringend benötigte medizinische Versorgung zu erhalten. Besonders hart trifft die Schliessung medizinischer Einrichtungen Menschen, die an chronischen Krankheiten leiden und dringend auf medizinische Versorgung angewiesen sind.
Auch im Südlibanon sind die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen weiterhin nicht in der Lage, ordnungsgemäss zu arbeiten, da es keine Sicherheitsgarantien für unser medizinisches Personal gibt. «Eines der Spitäler in Nabatiyeh, das wir unterstützen wollten und dem wir Medikamente und Trauma-Sets gespendet hatten, wurde am 5. Oktober nur wenige Kilometer von der Front entfernt getroffen», sagt François Zamparini.
Ein mobiles medizinisches Team von Ärzte ohne Grenzen, das seit November 2023 die allgemeinen Gesundheitszentren in Nabatiyeh und anderen Gebieten nahe der libanesischen Grenze aktiv unterstützt hatte, musste seine Tätigkeit einstellen. Das Team, das früher grenznahe Gebiete erreichen konnte, kann dies nun nicht mehr tun. Es bietet derzeit nur bis Sidon Unterstützung an. Die Stadt ist rund 50 km entfernt von der stark betroffenen südlichen Grenze, wo der Bedarf am grössten ist.
In den vergangenen zwei Wochen haben die israelischen Angriffe mindestens fünfzig Sanitätern das Leben gekostet. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums sind damit seit Oktober letzten Jahres insgesamt mehr als hundert Angehörige des Gesundheitspersonals ums Leben gekommen. Der anhaltende Konflikt und die schweren israelischen Bombardierungen haben den Zugang zur medizinischen Versorgung im gesamten Libanon stark beeinträchtigt. Gemäss UN mussten seit dem 1. Oktober 2024 sechs Spitäler und vierzig Zentren für medizinische Grundversorgung schliessen, da aufgrund intensiver Kämpfe ein sicheres Arbeiten unmöglich wurde.
Der bewaffnete Konflikt verschlimmert eine bereits bestehende humanitäre Krise und erhöht den Hilfsbedarf massiv. Das libanesische Gesundheitssystem war bereits durch die Wirtschaftskrise überlastet. Diese hatte zur Abwanderung vieler medizinischer Fachkräfte geführt und die Kapazitäten und Ressourcen der medizinischen Einrichtungen strapaziert. Die lokalen Gesundheitszentren, die bereits an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt sind, versuchen den wachsenden medizinischen Bedarf der vertriebenen Bevölkerung dennoch irgendwie zu decken.
Über eine Million Menschen sind seit Ausbruch des Konflikts bereits vertrieben worden. Dies übersteigt bei weitem die Möglichkeiten des Landes, angemessene Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen; viele dieser Notunterkünfte sind in einem sehr schlechten Zustand.
Als Reaktion auf die anhaltende Eskalation des Konflikts und die intensiven israelischen Bombardierungen im Libanon hat Ärzte ohne Grenzen zwölf mobile medizinische Teams in verschiedene Gouvernements entsandt, darunter Beirut, Mount Lebanon, Sidon, Tripoli, Bekaa und Akkar. Diese Teams leisten psychologische Erste Hilfe, führen allgemeine medizinische Konsultationen durch, verabreichen Medikamente und bieten Unterstützung zur Stärkung der psychischen Gesundheit. Ausserdem verteilen sie Matratzen und Hygienesets, warme Mahlzeiten und sauberes Wasser. Die Bedürfnisse der Menschen sind jedoch weitaus grösser als das, was wir abdecken können.
«Wir müssen sicherstellen, dass die Versorgung der Menschen in Not fortgesetzt wird», betont François Zamparini. «Daher fordern wir alle Parteien auf, das humanitäre Völkerrecht zu respektieren: Zivilist:innen, medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal dürfen nicht angegriffen werden – ihre Sicherheit muss gewährleistet sein.»
© Maryam Srour/MSF