Ärzte ohne Grenzen verstärkt Einsatz gegen Covid-19 in Brasilien

Une médecin soigne une patient, qui tourne le dos à l’objectif

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Während sich der zweite Winter der Pandemie nähert, ist die Situation in Brasilien erneut sehr besorgniserregend: Nationale und internationale Experten warnen vor einer verheerenden dritten Welle. Die Massnahmen in Reaktion auf die Epidemie werden jedoch uneinheitlich und lückenhaft umgesetzt. Die Behörden ignorieren weiterhin wissenschaftliche Empfehlungen und vernachlässigen die Bedeutung von Masken und sozialer Distanzierung in ihren Gesundheitsbotschaften.

In Brasilien gibt es mittlerweile mehr als 500.000 Todesfälle durch Covid-19, und die durchschnittliche tägliche Todesrate hat seit Mai zum ersten Mal 2.000 Menschen pro Tag überschritten. Ebenso ist die Zahl der neuen Fälle auf über 70.000 pro Tag gestiegen. Dies ist nicht weit vom Höchstwert entfernt, der während der zweiten Welle Anfangs Mai gemessen wurde.

«Im Fall von Brasilien ist es schwierig zu sagen, ob wir am Anfang einer neuen Welle stehen, denn tatsächlich gab es seit Beginn der Pandemie nie einen wesentlichen Rückgang der Fälle», sagt Antonio Flores, Spezialist für Infektionskrankheiten bei Ärzte ohne Grenzen. «Was wir bis jetzt gesehen haben, sind Zyklen. Nach einem Spitzenwert gibt es einen moderaten Rückgang, dann eine Stabilisierung der Fälle auf hohem Niveau, bevor sie wieder ansteigen.»

Seit Beginn der Pandemie, muss Brasilien ständig mit einem Anstieg der Covid-19 Fälle und Todesfälle rechnen.

Antonio Flores, Experte für Infektionskrankheiten bei Ärzte ohne Grenzen

Der Wintereinbruch bringt zusätzliche Komplikationen mit sich. Typischerweise bringt das kühlere Wetter eine Zunahme von Grippe und anderen Atemwegserkrankungen mit sich. Je mehr Menschen sich in Gesundheitseinrichtungen mit diesen Krankheiten infizieren, desto stärker wird das ohnehin schon angespannte Gesundheitssystem belastet.

Trotz der Schwierigkeiten, die mit der weiteren Ausbreitung des Virus einhergehen, helfen die Teams von Ärzte ohne Grenzen weiterhin in den am stärksten benachteiligten Regionen Brasiliens, im Norden und Nordosten des Landes, wo der Zugang zu Gesundheitsdiensten schwieriger ist.

Un homme sur un vélo équipé d’un haut-parleur

José Alberto Alves, besser bekannt als "seu Dedé", ist ein Community Leader im Stadtteil Grande Bom Jardim in Fortaleza. Ausgerüstet mit einem Fahrrad und einem Lautsprecher, arbeitet er zusammen mit Ärzte ohne Grenzen, um die Aktivitäten der mobilen Klinik in der Gemeinde bekannt zu machen. Brasilien, 25. Juni 2021

© Mariana Abdalla/MSF

Portel, Pará

Auf der Insel Marajo unterstützt Ärzte ohne Grenzen die Gesundheitsbehörden in der Stadt Portel, wo es angesichts der fehlenden Infrastruktur schwierig ist, die Pandemie zu bewältigen.

MSF-Teams führten Schulungen in primären und sekundären Gesundheitsstrukturen sowie im einzigen Krankenhaus der Region durch, um die Aufnahme und Entlassung von Patient*innen, die Covid-19-Protokolle, die Botschaften zur Gesundheitsförderung und die psychische Gesundheit des medizinischen Personals zu stärken.

«Unser Ziel ist es, die am stärksten gefährdeten Menschen in Portel zu erreichen und ihnen die notwendige Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen, sowie das Gesundheitssystem zu stärken. Wir wollen, dass die lokalen Ärzte und Krankenschwestern so gut wie möglich auf einen Zulauf von Covid-19-Patienten vorbereitet sind, wenn die dritte Welle die Region trifft», sagt Juan Carlos Arteaga, MSF-Projektkoordinator in Portel.

Die Teams betreiben auch mobile Kliniken, um Patient*innen in den entlegensten Gebieten der Region zu behandeln. Sie werden Covid-19-Antigen-Tests, primäre Gesundheitsdienste, Nachsorge von genesenen Patienten, psychische Gesundheitsdienste und weitere Aktivitäten zur Gesundheitsförderung anbieten.

Fortaleza, Ceará

In der Hauptstadt des Bundesstaates Ceará arbeiten die Mitarbeiter*innen von Ärzte ohne Grenzen in den Stadtteilen José Walter und Grande Bom Jardim, wo die Menschen Schwierigkeiten haben, die notwendige medizinische Versorgung zu erhalten.

«In diesen Gemeinden ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung besonders schwierig», sagt Daniela Cerqueira Batista, MSF-Projektkoordinatorin in Fortaleza. «Wir sind in ständigem Austausch mit den Gemeindevorstehern, die wirklich froh sind, dass wir diese Dienste anbieten können.»

Die beiden mobilen Kliniken von Ärzte ohne Grenzen bieten eine wohnortnahe medizinische Versorgung und sollen die Zahl der qualitativ hochwertigen Dienstleistungen für die Gemeinschaft erhöhen. Wie in Portel, bieten die Teams Antigen-Schnelltests, häusliche Nachsorge für Covid-19-Patient*innen mit Begleiterkrankungen und psychologische Betreuung an. Ausserdem unterstützen sie das Registrierungsprogramm für die Covid-19-Impfung und führen Aktivitäten zur Gesundheitsförderung durch.

Das Team bereitet auch eine umfassende medizinische Hilfe im Bundesstaat Paraiba vor.

Tests antigéniques Covid-19

In den ländlichen Teilen des Bundesstaats Bahia setzen die Teams von Ärzte ohne Grenzen eine dezentralisierte Covid-19-Strategie um, die auf Antigen-Schnelltests und Personalschulungen in lokalen Gesundheitseinrichtungen beruht. Brasilien, Bahia, 25. Juni 2021

© Mariana Abdalla/MSF

Bahia

MSF-Teams arbeiten in den Städten Cocos, Xique-Xique und Riachão das Neves, während sie die Situation in anderen Gemeinden genau beobachten. Mit einem qualifizierten und erfahrenen Team unterstützen sie die Gesundheitseinrichtungen des städtischen Gesundheitssekretariats, damit sie für die erwartete dritte Welle gewappnet sind. Das medizinische Personal von Ärzte ohne Grenzen organisiert Schulungen zur Verbesserung der Covid-19-Protokolle und des Patientenflusses sowie der psychischen Betreuung des Personals, das in diesen Einheiten arbeitet. Wie in anderen Teilen des Landes hat Covid-19 seinen Tribut an die psychische Gesundheit derjenigen gefordert, die sich um die Patient*innen mit den schwersten Verläufen kümmern, und mit einer sehr hohen Zahl von Todesfällen konfrontiert sind.

Um Kapazitäten im Kampf gegen Covid-19 aufzubauen, führte Ärzte ohne Grenzen ein Früherkennungsverfahren mit Antigen-Schnelltests und häuslicher Überwachung von Hochrisikopatient*innen ein, um im Bedarfsfall die schnelle Einleitung einer Sauerstofftherapie zu ermöglichen.

Wir wollen das lokale Gesundheitssystem stärken, damit den Patient*innen die bestmögliche Qualität an Versorgung gebietet werden kann.

Fabio Biolchini, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Brasilien

«Wir unterstützen die lokalen Behörden auch dabei, Botschaften zur Gesundheitsförderung an die Bevölkerung zu übermitteln. Dabei nutzen wir wissenschaftliche Erkenntnisse, um den Menschen zu erklären, wie sie sich besser schützen, und Fehlinformationen meiden, können», sagt Fabio Biolchini, MSF-Einsatzleiter in Brasilien.

In der Zwischenzeit bleibt die Entwicklung der Pandemie in Brasilien ungewiss, da es keine zentralisierte und koordinierte Strategie gibt, was die Bemühungen zur Kontrolle der Krankheit deutlich beeinträchtigt hat. «Dieser Mangel an Koordination und strategischem Handeln der Behörden hat dazu geführt, dass die Epidemie nicht nachhaltig unter Kontrolle gebracht werden konnte. Das Virus konnte seit Beginn der Pandemie frei zirkulieren», folgert Antonio Flores.