Leben in eingezäunten Camps: das Schicksal der Rohingya
© Ro Yassin Abdumonab
Myanmar4 Min.
Im Bundesstaat Rakhine in Myanmar geraten immer mehr Rohingya ins Kreuzfeuer des Konflikts. Jene, die nicht für den Weg über die Grenze nach Bangladesch zahlen können, bleiben ohne Schutz und Hilfe zurück. Gemäss UN-Daten wurden bereits rund 327 000 Menschen in Rakhine und in der Gemeinde Paletwa im Bundesstaat Chin vertrieben, seit der Konflikt im November 2023 wieder aufgeflammt ist. Die Zahl der Vertriebenen beläuft sich damit auf über 534 000 Menschen.
«Wir hörten Explosionen, Schüsse und schreiende Menschen», beschreibt Ruhul* den Moment, als seine Gemeinde, Buthidaung, am Abend des 17. Mai angegriffen wurde. «Meine Familie und ich flohen in dem Chaos aus dem Haus, um Schutz in den nahegelegenen Bergen zu suchen.»
Ich wurde von meinen Eltern getrennt und verbrachte mehrere Tage im Dschungel mit meinen Cousins und anderen jungen Menschen. Wir hatten Angst und Hunger. Ich trat auf zwei Landminen; das erste Mal blieb ich unverletzt, aber die zweite Explosion zerfetzte meinen Fuss.
Seit November 2023 tobt im nördlichen Bundesstaat Rakhine in Myanmar ein sich zuspitzender Konflikt zwischen den Streitkräften Myanmars und der Arakan-Armee. Extreme Gewalt – darunter der Einsatz schwerer Waffen, Drohnenangriffe und Brandanschläge – hat ganze Dörfer zerstört und Zivilist:innen getötet, verletzt und vertrieben. Beide Konfliktparteien betreiben Zwangsrekrutierung in der Zivilbevölkerung und schüren ethnische Spannungen zwischen den Gemeinschaften.
Die Gewalt betrifft verschiedene ethnische Gruppen, die in Rakhine leben. Die Rohingya, die seit Jahrzehnten zu den am meisten verfolgten Minderheiten gehören, finden sich jedoch besonders oft im Kreuzfeuer dieser Gewalt wieder.
Am 17. und 18. Mai wurden in Buthidaung Häuser und Privateigentum niedergebrannt, sodass tausende Rohingya (darunter viele, die bereits aus anderen Regionen vertrieben wurden) fliehen mussten.
Eine Granate traf unser Haus und tötete meine Frau. Mehrere andere Menschen wurden verletzt. Wir trafen die schwierige Entscheidung, nach Bangladesch zu gehen. Unser Zuhause, Vieh und Felder zurückzulassen, fiel uns sehr schwer.
In Nord-Rakhine gibt es kaum Zugang zu Gesundheitsversorgung. Die Gesundheitseinrichtungen wurden durch die Kämpfe beschädigt und sind nicht mehr funktionsfähig. Das medizinische Personal floh selbst vor der Gewalt. Oder es verliess die Einrichtungen, da aufgrund der Konfliktdynamik keine Hilfsgüter mehr zur Verfügung standen oder es keine Genehmigungen für den Transport erhielt, um sie da einzusetzen, wo sie benötigt werden.
Im Juni sahen sich unsere Teams nach dem Brand des Büros und des medizinischen Lagers gezwungen, ihre Arbeit in den Gemeinden Buthidaung, Maungdaw und Rathedung auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Davor hatten sie Angriffe in dicht besiedelten Gebieten wie Märkten und Dörfern erlebt sowie Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, die das Leben von Patient:innen und medizinischem Personal bedrohten.
Die Bemühungen der Kriegsparteien, die Zivilbevölkerung zu schützen und ihre Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht einzuhalten, sind unzureichend.
In Maungdaw, 20km westlich von Buthidaung, kam es im Mai und im August zu heftigen Auseinandersetzungen. Sie waren gekennzeichnet durch gewalttätige Übergriffe auf Gruppen von Rohingya, von denen einige bereits die Angriffe in Buthidaung miterlebt hatten.
Vom 5. bis 17. August behandelten unsere Teams in den Camps von Cox’s Bazar 83 Rohingya mit gewaltbedingten Verletzungen; 48 Prozent davon waren Frauen und Kinder. Sie erzählten, dass sie vor einem Angriff in Maungdaw über die Grenze geflohen waren.
Die Patient:innen in unseren Einrichtungen erlitten Verletzungen durch Schüsse oder Landminen oder befinden sich in kritischem Zustand, weil es an Medikamenten zur Behandlung von Krankheiten wie HIV oder Tuberkulose fehlt.
Mehrere Menschen beschrieben die Flucht über die Grenze, bei der auch der Naf-Fluss überquert werden muss, als gefährlich. Da die Grenze offiziell geschlossen ist, sind die Menschen gezwungen, den Behörden, bewaffneten Gruppen oder Schmugglern hohe Bestechungsgelder zu zahlen, um die Grenze zu passieren.
«Auf unserer Reise gab es ständig neue Herausforderungen», sagt Mojibullah. «Wir trafen auf Schmuggler, die exorbitante Gebühren für eine gefährliche Bootsfahrt verlangten, und wurden bei der Ankunft in Bangladesch von den Grenzbeamten angefeindet. Obwohl wir um Hilfe baten, auch wegen der dringenden medizinischen Bedürfnisse meiner Enkelkinder, wurden wir nach Myanmar zurückgeschickt.»
Mohammad trägt seinen kranken Enkelsohn vom Gesundheitszentrum zurück. Cox’s Bazar, Bangladesch, Oktober 2023.
Seit Juli 2024 haben wir in unseren Einrichtungen in Bangladesch 115 kriegsverletzte Rohingya behandelt, darunter Männer, Frauen und Kinder mit Verletzungen durch Gewalteinwirkung. Den neu angekommenen Rohingya in Cox's Bazar ist es zwar gelungen, dem Konflikt zu entkommen und in gewissem Umfang medizinische Versorgung zu erhalten. Sie müssen sich jedoch aus Angst vor einer Abschiebung zurück nach Myanmar ständig verstecken. Gleichzeitig wird die Situation in den Camps, in denen 1,2 Millionen Menschen hinter Stacheldrahtzäunen leben, immer prekärer. Abgesehen von der zunehmenden Gewalt und den Entführungen in den Camps, unter anderem zur Zwangsrekrutierung für bewaffnete Gruppen in Myanmar, leiden viele Menschen unter ihren Erlebnissen und machen sich Sorgen über das Schicksal ihrer Familien in Bangladesch und in ihrer Heimat.
Mojibullah ist zwar endlich in Bangladesch, zur Ruhe gekommen ist er aber noch nicht. «Meine Familie und ich haben damit zu kämpfen, den Verlust unserer Liebsten zu verarbeiten und mit der Ungewissheit der Zukunft zurechtzukommen.»
*Die Namen wurden geändert.
Es gibt heute weltweit etwa 2,8 Millionen Rohingya. Die überwältigende Mehrheit – schätzungsweise 99 % – wird durch nachteilige politische Massnahmen, die ihnen grundlegende Menschenrechte und Selbstbestimmung verweigern, marginalisiert. 39 % aller Rohingya leben in eingezäunten Camps in Bangladesch und Myanmar und haben nur begrenzten oder gar keinen Zugang zu einer Existenzgrundlage, zu Bildung oder Gesundheitsversorgung; Lösungsvorschläge gibt es keine. Das ist inakzeptabel.
Bericht «Behind the wire» lesen (auf Englisch)
© Ro Yassin Abdumonab