Madagaskar: Ärzte ohne Grenzen warnt vor drohender Hungersnot
© iAko M. Randrianarivelo/Mira Photo
Logistik und Beschaffung3 Min.
Ärzte ohne Grenzen warnt vor einer drohenden Hungersnot im südlichen Madagaskar. Die Teams der medizinischen Nothilfeorganisation, die in der Region im Einsatz sind, stellen ein alarmierendes Auftreten von Mangelernährung fest. In manchen Dörfern ist rund ein Drittel der Kinder unter fünf Jahren betroffen. Eine sofortige massive Aufstockung der Nahrungsmittelhilfe ist dringend erforderlich.
«Wir sehen völlig mittellose Menschen, die buchstäblich nichts zu essen haben und ums nackte Überleben kämpfen», sagt Julie Reversé, Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen in Madagaskar. «Manche mussten alles verkaufen, sogar ihr Kochgeschirr, und haben jetzt nicht einmal Behälter, um Wasser zu holen.»
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen dokumentieren in manchen Dörfern im Bezirk Amboasary in der Region Anôsy, dass bis zu 28 Prozent der Kinder unter fünf Jahren mangelernährt sind. Ein Drittel davon ist derart schwer betroffen, dass ihr Zustand lebensbedrohlich ist. Laut aktuellen Zahlen vom Ernährungsüberwachungssystem Madagaskars, UN-Agenturen und anderen Organisationen sind 74 000 Kinder im Süden des Landes akut von Mangelernährung betroffen, 12 000 von einer schweren Form. Das ist eine Zunahme um 80 Prozent gegenüber dem letzten Quartal von 2020. Fast 14 000 Menschen in Amboasary, dem am schwersten betroffenen Bezirk, leiden an Hunger.
Besonders besorgniserregend ist, dass unter den 2200 Menschen, die Ärzte ohne Grenzen seit Ende März wegen schwerer Mangelernährung behandelt hat, nicht nur Kinder unter fünf Jahren waren, sondern auch Jugendliche und Erwachsene
Eine Mischung aus verheerenden Umständen
Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren, die zu dieser Krise im südlichen Madagaskar geführt hat: Zum einen hat die schwerste Dürre seit 30 Jahren einen massiven Einfluss auf die Landwirtschaft. Zum anderen haben durch Abholzung verursachte Sandstürme einen Grossteil des Ackerlandes mit Sand bedeckt und sogar Nahrungsquellen wie Kaktusfrüchte zerstört, die sonst als allerletzter Ausweg gegessen wurden. Ausserdem haben auch die Auswirkungen von Covid-19 einen Effekt auf die Wirtschaftslage der Insel. Zusätzlich zur Nahrungsmittelknappheit wird ein Anstieg von Überfällen und Diebstählen von Vieh, Eigentum und Lebensmitteln gemeldet.
Aufgrund fehlender Mittel hat das Welternährungsprogramm der UN (WFP) die Tagesrationen halbiert; gewisse betroffene Dörfer erreicht gar keine Hilfe. Das ist besorgniserregend, da der Zugang zu Nahrung in den kommenden Monaten noch schwieriger werden könnte, nachdem im Juni kaum eine Ernte erwartet wird. Die schlechten Strassenverhältnisse erschweren Hilfslieferungen zusätzlich. So dauert die Fahrt von der Hauptstadt Antananarivo in die grösste Stadt des Bezirks Amboasary rund drei Tage und von dort weitere Stunden, um auch entlegenere Orte zu erreichen. Ausserdem hat die Regierung Mitte März Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemien auferlegt.
«Hunderttausende Menschen im südlichen Madagaskar sind auf Ernährungshilfe angewiesen», betont Bérengère Guais, Leiterin der Noteinsätze von Ärzte ohne Grenzen. «Ein erheblicher Aufwand – nicht nur finanzieller, sondern auch logistischer und personeller Natur – ist gefragt, um eine regelmässige Lieferung von Lebensmittelrationen in ausreichenden Mengen über einen Zeitraum von mehreren Monaten sicherzustellen. Reisen müssen für humanitäre Mitarbeitende erleichtert werden, indem regelmässige Flüge nach Madagaskar und Fortbewegungsmöglichkeiten innerhalb des Landes gewährleistet werden. Die Menschen, die in teilweise sehr abgelegenen Regionen mit geringer Infrastruktur leben, müssen dringend erreicht werden. Die Uhr tickt.»
Seit Ende März 2021 behandelt Ärzte ohne Grenzen im Distrikt Amboasary Menschen mit akuter Mangelernährung und leistet mit mobilen Kliniken medizinische Grundversorgung. Die Organisation verteilt ausserdem Kanister, repariert handbetriebene Pumpen und bereitet Flusswasser auf, um den Zugang der Menschen zu Trinkwasser zu verbessern. Die Teams bereiten Nahrungsmittelverteilungen vor und bauen die Kapazitäten für eine stationäre Behandlung von Patient*innen mit schwerer Mangelernährung und den damit einhergehenden medizinischen Komplikationen aus.
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