Malawi: Wie Sexarbeiterinnen ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen

Schwierige familiäre Verhältnisse, traumatische Erlebnisse, fehlende Unterstützung, Ressourcen oder Berufsbildung zwingen viele malawische Frauen dazu, Sexarbeit zu verrichten, um über die Runden zu kommen.

Malawi3 Min.

In Malawi arbeiten die Teams von Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) mit Gemeindeorganisationen zusammen, um den Zugang zu Gesundheitsversorgung der Sexarbeiterinnen zu verbessern. Einige von ihnen werden geschult und sind in Zweierteams unterwegs, um andere Sexarbeiterinnen zu unterstützen, zu begleiten und auf ihre medizinischen Bedürfnisse einzugehen.

Die Städte Dedza und Zalewa liegen entlang der wichtigsten Handelsroute durch Malawi. Diese wird oft von Lastwagen benutzt, die in Richtung Tansania oder Mosambik unterwegs sind. Zahlreiche Frauen versuchen dort, mit Geld aus Sexarbeit zu überleben. 

Einige verloren ihre Eltern oder wurden von ihren Ehemännern verlassen und sind nun allein und mittellos. Andere erlebten sexualisierte Gewalt, darunter Inzest, und wurden von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen. Wegen ihrer wirtschaftlichen Lage sind die isolierten Frauen und die Kinder, die mit ihnen leben, sehr verletzlich, wenn es um ihre Gesundheit und Sicherheit geht.

Die 29-jährige Hamida* führte in der Stadt Mangochi einen Gemüse- und Holzkohleladen. Als ihr Mann sie für eine andere Frau verliess, konnte sie nicht mehr für den Lebensunterhalt ihrer drei Kinder und vier Geschwister aufkommen. «Ich habe 2020 angefangen und seither schicke ich ihnen jeden Monat Geld, aber es ist nie genug», erzählt die junge Frau. «Ich schlafe oft mit leerem Magen ein.»

«Dieser Job hat keine guten Seiten. Ich frage mich jeden Tag, ob ich weitermachen oder aufhören soll, aber aufhören ist keine Option. Ich habe kein Geld», erklärt Hamida.

«Dieser Job hat keine guten Seiten. Ich frage mich jeden Tag, ob ich weitermachen oder aufhören soll, aber aufhören ist keine Option. Ich habe kein Geld», erklärt Hamida.

© Diego Menjibar

Agnès* ist seit dem Tod ihres Mannes im Jahr 2008 Sexarbeiterin. Sie hat eine der zwei Gemeindeorganisationen für Sexarbeiterinnen gegründet, die von Ärzte ohne Grenzen unterstützt werden. «Ich habe pro Tag zwei oder drei Kunden und verdiene etwa 6000 Kwacha [3.5 Franken]», erklärt die 42-jährige Mutter von vier Kindern. «Das Schlimmste an dieser Arbeit ist es, Sex mit Männern zu haben, die nicht bezahlen. Das passiert sehr oft. Manchmal schlagen sie uns oder rauben uns aus.»

Agnès steht in der Tür ihres Backsteinhauses, in dem sie mit ihren vier Kindern und zwei Grosskindern lebt.

Agnès steht in der Tür ihres Backsteinhauses, in dem sie mit ihren vier Kindern und zwei Grosskindern lebt. Trotz aller Schwierigkeiten bei ihrer Arbeit hat sie stets ihr Ziel vor Augen. «Am meisten wünsche ich mir, genug Geld zu haben, damit meine Töchter studieren können», erzählt Agnès, deren 23-jährige Tochter ebenfalls Sexarbeiterin ist.

© Diego Menjibar

Die meisten Sexarbeiterinnen, denen unsere Teams begegnen, leben in schwierigen Verhältnissen und sind Stigmatisierung ausgesetzt. Deswegen haben sie kaum Zugang zu Gesundheitsversorgung. «Wir kümmern uns insbesondere um unerwünschte Schwangerschaften, nicht fachgerecht durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche, die schwerwiegende Folgen oder sogar den Tod nach sich ziehen können, weit verbreitete sexuell übertragbare Krankheiten, vor allem HIV, und häufig Verletzungen durch die Kunden», erklärt Charlie Masiku, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Malawi.

Sechs Jahre lang unterstützten unsere Teams die Sexarbeiterinnen in Dedza und Zalewa direkt und halfen ihnen 2020 dabei, sich zu Gemeindeorganisationen zusammenzuschliessen. Geschulte Sexarbeiterinnen arbeiten in Zweierteams und führen Informationskampagnen durch, in denen es unter anderem um sichere sexuelle Praktiken und Verhütung geht. Sie bieten auch Unterstützung im Kampf gegen sexualisierte Gewalt an.

Cecilia, Verantwortliche einer Gemeindeorganisation in Zalewa, informiert Sexarbeiterinnen über sexuell übertragbare Krankheiten.

Cecilia, Verantwortliche einer Gemeindeorganisation in Zalewa, informiert Sexarbeiterinnen über sexuell übertragbare Krankheiten.

© Diego Menjibar

Der Austausch über Erfahrungen und Informationen ist das Herzstück der Arbeit in Zweierteams. Sie sprechen beispielsweise über die Präexpositionsprophylaxe, um HIV-negative Sexarbeiterinnen zu schützen, oder schulen diese in der Erkennung von HIV und dem Papillomavirus, das für die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich ist.

Eine Gesundheitspromoterin von Ärzte ohne Grenzen bildet Sexarbeiterinnen in der Erkennung des Papillomavirus aus.

Eine Gesundheitspromoterin von Ärzte ohne Grenzen bildet Sexarbeiterinnen in der Erkennung des Papillomavirus aus.

© Diego Menjibar

Alle zwei Wochen besuchen Pflegefachkräfte, Gesundheitspromotor:innen und Psycholog:innen von Ärzte ohne Grenzen in Dreierteams einen der zwei Standorte und bieten umfassendere medizinische Unterstützung an. «Manchmal überweisen wir die Frauen an ein Spital, wenn sie gesundheitliche Probleme haben, die von unseren Teams oder in den Gesundheitszentren vor Ort nicht behandelt werden können. Sie können es sich aber nicht leisten, in ein Spital zu gehen, das zwei Stunden entfernt liegt», erzählt der Projektkoordinator. «Darum treffen wir oft auf junge Frauen mit weit fortgeschrittenen Gesundheitsproblemen.»

Eine Frau wird im Krankenwagen von Ärzte ohne Grenzen untersucht.

Eine Frau wird im Krankenwagen von Ärzte ohne Grenzen untersucht.

© Diego Menjibar

In den letzten Jahren haben sich die wirtschaftliche Lage und das Arbeitsumfeld dieser Frauen stetig verschlechtert. Dies liegt vor allem an den steigenden Preisen und der Abwertung der lokalen Währung, dem Kwacha. Sie sind immer häufiger von Missbrauch durch Kunden betroffen und bekommen weniger Geld für ihre Dienste, weswegen sie pro Tag mehr Kunden annehmen müssen.

«Es ist sehr wichtig, dass diese Frauen eine Ausbildung erhalten, damit sie Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Sie brauchen aber auch wirtschaftliche und soziale Unterstützung von anderen Organisationen, damit sie und ihre Kinder über die Runden kommen», betont Charlie Masiku.

In diesen Zimmern wohnen die Sexarbeiterinnen mit ihren Kindern. Im Hintergrund ist die Bar zu erkennen, in der sie arbeiten.

In diesen Zimmern wohnen die Sexarbeiterinnen mit ihren Kindern. Im Hintergrund ist die Bar zu erkennen, in der sie arbeiten.

© Diego Menjibar

Unsere Teams versuchen vor Ort, Beziehungen zu lokalen Organisationen aufzubauen, die den Frauen helfen könnten, andere Ausbildungen im Bereich der Kultur oder dem Verkauf von Obst und Gemüse, der Seifenherstellung oder der Viehzucht zu absolvieren, oder die Schulgebühren ihrer Kinder zu bezahlen. Für eine langfristige Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität der Sexarbeiterinnen ist das äusserst wichtig.

Seit 2022 haben mehr als 1800 Sexarbeiterinnen Leistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, psychologische Unterstützung, Gesundheitsförderung und medizinische Behandlungen in Anspruch genommen.

*Die Namen wurden geändert.