Mütter des Lichts“: Ein Erfolgsrezept gegen Mangelernährung in Niger
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Eine 2013 gegründete Initiative zur Bekämpfung der Mangelernährung von Kindern in Niger richtet sich speziell an Mütter, um sie bei der richtigen Versorgung ihrer Kinder zu unterstützen. Teams von Ärzte ohne Grenzen helfen bei der Gründung von Selbsthilfegruppen, bei denen auch Kochkurse und Informationstreffen am Programm stehen.
Mehrere Mütter treffen sich unter zwei großen Bäumen in Dorf Doney im südlichen Niger, um an einem Kochkurs teilzunehmen. Heute lernen sie, wie man angereicherte Kuli-Kuli Suppe mit Erdnüssen zubereitet (Rezept siehe unten). Der Kurs wird von zwei „Müttern des Lichts“ veranstaltet – eine von ihnen ist Ai Gaiya: „Wir bringen den Müttern bei, wie sie vitaminreiche Suppen und Gemüsebreie kochen. Wir bieten wöchentlich zwei Workshops an, während der restlichen Woche üben die Teilnehmerinnen zu Hause. Die Mütter bringen die Zutaten selbst mit: Hirse, Sorghumhirse, Kohl… Der Vorteil dieser regionalen Produkte liegt darin, dass sie leicht erhältlich sind.“
Frauen wie Ai Gaiya stehen im Mittelpunkt einer Strategie zur Vermeidung akuter Mangelernährung innerhalb der Gemeinde. Im Programm namens „FARPN“ (franz. Abkürzung für „Zentren für Ernährungsberatung, Erholung und Prävention“) übernehmen Familien die Verantwortung dafür, den Ernährungszustand ihrer Kinder zu verbessern, die dem Risiko einer akuten Mangelernährung ausgesetzt sind. Um dieses Ziel zu erreichen, werden positive Veränderungen innerhalb der Dorfgemeinschaft in Bezug auf Ernährung, Hygiene und Gesundheitsvorsorge umgesetzt.
Positive Vorbilder im Kampf gegen Mangelernährung
„Das Programm basiert darauf, ein positives Vorbild zu schaffen, um eine unzureichende Versorgung der Kinder zu vermeiden. So können wir sichergehen, dass Praktiken, die zu Krankheiten oder einer schlechten Ernährung führen – zwei direkte Faktoren für Mangelernährung – nicht innerhalb der Familie weitergegeben werden“, erklärt Núria Salse, Ernährungsberaterin von Ärzte ohne Grenzen. „Die Initiative ist ein weiteres Werkzeug im Kampf gegen Mangelernährung, das bestehende Behandlungsprogramme ergänzt und Familien eine aktive Rolle bei der Entwicklung ihrer Kinder ermöglicht – und zwar mit denjenigen Ressourcen, die ihnen bereits zur Verfügung stehen.“
Die Umsetzung dieser Initiative ist relativ simpel: In einem ersten Schritt wird innerhalb einer Gemeinde eine Frau gesucht, deren Kinder gesund sind und die sich gut um deren Gesundheit kümmert, die ihre Kinder regelmäßig impfen lässt, mit ihnen in ein Gesundheitszentrum geht, wenn es notwendig wird, und auch in den Bereichen Hygiene und Ernährung entsprechende Standards einhält. Als nächstes ermutigt diese Frau andere Mütter dazu, diesen Regeln zu folgen und erklärt ihnen die Vorteile davon. So wird sie zu einem positiven Rollenvorbild, die anderen Müttern das „Licht“ weitergibt: Sie ist die „Mutter des Lichts“ im Dorf.
Vitaminreiche Nahrung aus regionalen Produkten
In weiterer Folge werden Mütter ausgewählt, deren Kinder im Alter zwischen sechs und 23 Monaten dem Risiko akuter Mangelernährung ausgesetzt sind. Es wird eine Unterstützungsgruppe gegründet, die rund 15 Kinder innerhalb des Programms betreut. Die „Mutter des Lichts“ erhält durch das Team von Ärzte ohne Grenzen Trainings über die besten Methoden zur Vorbeugung von Mangelernährung. Danach übernimmt sie die Leitung der Gruppe. Sie erklärt den Mitgliedern, welches Essen aus der regionalen Umgebung am nahrhaftesten ist, und wie es so zubereitet werden kann, dass die meisten Vitamine und Nährstoffe erhalten bleiben. Zusätzlich zu den Kochkursen werden wichtige Informationen über Gesundheitsthemen und Hygienemaßnahmen weitergegeben.
Um den Ernährungszustand der Kinder korrekt beobachten zu können, verwenden die „Mütter des Lichts“ ein MUAC-Band. Mit diesem Armband wird der Umfang des mittleren Oberarms gemessen (engl. f. „Middle-Upper-Arm Circumference“) – so kann festgestellt werden, ob sie unter Mangelernährung leiden oder einem Risiko ausgesetzt sind. Alle Mütter im Programm wissen, wie man ein MUAC-Band verwendet, und testen damit ihre Kinder auch zu Hause. Diese Methode hilft ihnen, Warnsignale zu erkennen und rechtzeitig ein Behandlungszentrum aufzusuchen, um eine Verschlechterung des Zustandes ihrer Kinder zu vermeiden. Die Früherkennung von Mangelernährung ist der Schlüssel zur Reduzierung der Sterblichkeitsrate.
„Diese Strategie orientiert sich an unserer Realität!“
Die 31-jährige Souweba Mamane nimmt ebenfalls am Treffen der „Mütter des Lichts” in Doney teil: „Mein Ehemann ist in Nigeria und ich kümmere mich um die Kinder. Drei von ihnen sind mangelernährt, eines ist gestorben“, erzählt sie. Ihre Kinder wurden ambulant gegen Mangelernährung behandelt – Souweba musste jede Woche 21km zu Fuß zu den Beobachtungsterminen gehen, um dort die therapeutische Nahrung abzuholen. „Ich musste oft die Nacht entlang der Strecke verbringen. Ich war regelmäßig aus Erschöpfung und Hunger dazu gezwungen, um Geld zu betteln, um einen Transport bezahlen zu können. Viele Frauen in meinem Dorf sind in derselben Situation.“
Im Jahr 2013 startete Ärzte ohne Grenzen die FARPN-Strategie in den Bezirken Madaoua und Bouza – die Gemeinschaften erkannten sofort die Vorteile, die ihnen diese Initiative brachte. „Immer weniger Kinder litten unter Mangelernährung. Vor dem Start des Programms mussten unsere Frauen viele Kilometer weit reisen, um ihre kranken Kinder nach Madaoua zu bringen. Einige waren sogar gezwungen, ihre Vorräte zu verkaufen, um für die Transportkosten aufkommen zu können“, so Issa Kadri, der Dorfvorsteher von Doney. „Doch dank des neuen Programms haben sich die Dinge zum Guten gewendet: Es erlaubt unseren Frauen, gemeinsam ihr Schicksal und das ihrer Kinder in die Hand zu nehmen. Die Strategie ist leicht umzusetzen, da sie sich an unserer Lebensrealität orientiert.“
Knappe Vorräte in der Malaria-Saison
Jedes Jahr ist die nigrische Bevölkerung mit einer schwierigen Periode zwischen Juli und Oktober konfrontiert, wenn ihre Nahrungsvorräte zur Neige gehen und die bevorstehende Ernte noch nicht eingeholt werden kann. Diese Zeitspanne deckt sich auch mit dem höchsten Aufkommen an Malaria und ist daher für die kleinsten Kinder besonders kritisch. In den vergangenen Jahren fokussieren daher Programme zur Senkung der Kindersterblichkeit immer mehr auch auf präventive Maßnahmen und gemeindebasierte Ansätze.
Während Souweba ihr Baby füttert, erklärt sie die Vorteile der Strategie: „Wir haben gelernt, dass wir auch mit dem wenigen, das uns zur Verfügung steht, die Verantwortung für die Zukunft unserer Kinder und ihre Ernährung übernehmen können. Bei den Kochkursen habe ich erfahren, wie man angereicherte Suppen, Bohnenpaste und andere Rezepte zubereitet. Dieses Programm ist sowohl für uns als auch unsere Kinder sehr nützlich: Ich muss nicht mehr weite Strecken zurücklegen, um meinen Sohn zum Ernährungszentrum zu bringen. Die dafür aufgewendete Zeit und Energie verwende ich nun stattdessen, um nach Lösungen für weitere Bedürfnisse meiner Familie zu suchen.“
Der Leiter der Hilfsprojekte von Ärzte ohne Grenzen in Westafrika, Luis Encinas, ergänzt: „Es ist ein Lösungsansatz, aber nicht der einzige. Die Vorbeugung akuter Mangelernährung sollte in neue präventive und dezentralisierte Gesundheitsstrategien integriert werden, die innerhalb der Dorfgemeinschaften stattfindet und daher von der Bevölkerung akzeptiert wird. Dank dieser Maßnahmen und der raschen Diagnose der ersten Symptome von Mangelernährung werden sich die Anstrengungen auszahlen. Man muss an die Mütter glauben und ihnen die entsprechenden Mittel geben, damit sie stark genug sind, den Kampf gegen eine Krankheit aufzunehmen, die leider noch immer jedes Jahr Kinder tötet.“