Zentralafrika: Eine vergessene Gesundheitskrise

Vue du nouveau poste de santé de Nganzi construit par MSF, derrière les décombres de l'ancien. 22 mars 2023.

Zentralafrikanische Republik6 Min.

Seit Jahren hält eine schwerwiegende Gesundheitskrise die Zentralafrikanische Republik fest im Griff. Nur wenige haben Zugang zu medizinischer Versorgung, und die Lebenserwartung gehört zu den niedrigsten der Welt. Dennoch gibt es kaum Aufmerksamkeit für die Krise, und es mangelt in vielen Gebieten an humanitärer Hilfe.

«Als ich hier ankam, kam es mir vor, als würde ich in ein Vakuum fallen.» Der Arzt Louis-Marie Sabio steht im Innenhof, den Blick auf «sein» Spital gerichtet. Anfang 2023 übernahm der Mediziner von Ärzte ohne Grenzen die Leitung des Spitals von Bakouma. Hier, im Nordwesten des Mbomou-Gebiets in der Nähe von Nzacko, sollten eigentlich Patient:innen mit Komplikationen chirurgisch behandelt werden.

«Seit zwölf Jahren hat kein Arzt diese Räumlichkeiten mehr betreten», erklärt Sabio. «Die Einrichtung wurde solange von einem Gesundheitshelfer geleitet. Das Wort «Spital» ist hoch hoch gegriffen: Es gibt keinen Strom, keinen Krankenwagen, in den Betten fehlen Matratzen. Nicht einmal ein Thermometer gab es. Kein Blutdruckmessgerät. Kein Oximeter, um den Puls zu messen. Kein Blutzuckermessgerät. Nichts. Ganz zu schweigen von der Apotheke, die ist komplett leer.»

Insbesondere, weil Bakouma zu den hierarchisch «höheren» Gesundheitseinrichtungen des Landes zählt – vor Gesundheitsposten und regionalen Kliniken und Spitälern –, macht der desolate Zustand des Spitals sprachlos. Es wirkt verlassen, überall ist es leer und still. Hier und da flattern Hühner durch die Gänge und drehen ihre Runden zwischen kaputten Waagen und rostigen Tischen. Das Spital hat nicht wenige Betten, und dennoch liegen hier derzeit noch nicht mal zehn Patient:innen. Ärzte ohne Grenzen führt Impfungen durch und verlegt kritische Fälle nach Bangassou. Weitere Hilfsorganisationen gibt es hier nicht. Die Menschen wissen deshalb, dass sie wegen personeller und materieller Engpässe hier kaum Hilfe bekommen– trotz des unermüdlichen Engagements von Dr. Sabio.

Dr Louis-Marie Sabio, directeur de l'hôpital secondaire de Bakouma, préfecture de Mbomou, 28 mars 2023.

Bakouma, DRK, 22. März 2023.

© Julien Dewarichet

«Mit 18 Personen halten wir das Spital am Laufen. Doch ich bin der einzige mit einer medizinischen Ausbildung», so der junge Arzt. «Mit unserer begrenzten technischen Ausstattung erfüllen wir die Mindestanforderungen nicht. Ohne Strom können wir weder Ultraschall noch Röntgenaufnahmen machen. Auch der Operationssaal ist so gut wie leer. Lediglich ein kleines Solarpanel versorgt zwei Glühbirnen mit Strom. Medikamente findet man mit etwas Glück auf dem Markt.»

Weniger als die Hälfte der Spitäler sind funktionsfähig

Die Situation im Spital von Bakouma ist schockierend. Doch sie spiegelt den Zustand vieler Gesundheitseinrichtungen in der Zentralafrikanischen Republik wider. Nach Angaben der WHO und des Gesundheitsministeriums gelten weniger als die Hälfte der Spitäler in dem Land als voll funktionsfähig. Für 10 000 Einwohner:innen steht nur eine Ärztin oder ein Arzt zur Verfügung – im globalen Vergleich ist das eine der niedrigsten Versorgungsraten überhaupt.

Jahrzehntelange politische Instabilität und Gewalt zwischen bewaffneten Gruppen haben das Land in eine kritische humanitäre Situation gestürzt. Mehr als 50 Prozent der sechs Millionen Zentralafrikaner:innen sind heute auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Lebenserwartung ist mit 54 Jahren besonders niedrig. Gerade schwangere Frauen und Kinder haben erschwerte Bedingungen. Im ganzen Land gibt es nur etwa 15 Gynäkolog:innen. Dies zeigt sich in den hohen Sterblichkeitsraten.

Die Aktivitäten von Ärzte ohne Grenzen werden angesichts dieser Situation dringend benötigt. In Bangui und den Provinzen unterstützen rund 3000 Mitarbeitende der Organisation die Gesundheitsbehörden. So wird der Zugang zu medizinischer Versorgung im ganzen Land verbessert.

«Wir fühlen uns ziemlich alleingelassen»

In Mbomou unterstützt Ärzte ohne Grenzen rund 15 Gesundheitseinrichtungen – kleine, abgelegene Gesundheitsposten, aber auch das Universitätsspital von Bangassou. Das Projekt wurde nach der Gewalt, die das Land in den Jahren 2013-2014 erschütterte, als Notfallprojekt gestartet. Heute versorgt es einen grossen Teil der Einwohner:innen von Mbomou. Mobile Teams statten die Gesundheitseinrichtungen mit Impfstoffen und lebenswichtigen Medikamenten für die wichtigsten Kinderkrankheiten (Malaria, Durchfall, Atemwegsinfektionen) aus, schulen Pflegepersonal und überweisen schwere Fälle nach Bangassou. «Wir möchten die Gesundheitsversorgung auf allen Ebenen verbessern und dadurch die Sterblichkeit in dieser Gegend senken», erklärt Pelé Kotho-Gawe, Pflegefachmann und Supervisor der mobilen Kliniken von Ärzte ohne Grenzen in Bangassou.

Séance de sensibilisation à la tuberculose organisée à l'hôpital régional de Bangassou soutenu par MSF, préfecture de Mbomou, mars 2023.

Bangassou, DRK, 22. März 2023.

© Julien Dewarichet

 

Trotz aller Bemühungen bleibt die Lage kritisch. Das verdeutlicht die Situation im Spital von Bakouma. In der ganzen Region sind nur wenige NGOs im Einsatz, obschon diese seit Jahren weniger stark von Gewalt betroffen ist als andere. Der Mangel an humanitären Partner:innen vor Ort, der fehlende Zugang zu Wasser oder Strom in den Gesundheitseinrichtungen und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Bevölkerung treiben die Gesundheitskrise nur weiter voran. Allein bleibt Ärzte ohne Grenzen nicht viel mehr, als Schadensbegrenzung zu betreiben.

«Wir können Kinder, die an Durchfall leiden, behandeln. Wenn aber niemand sich um Bohrlöcher und den Zugang zu sauberem Wasser für die Bevölkerung kümmert, wird das Problem nie ein Ende haben, denn die Menschen werden weiter verunreinigtes Wasser trinken. Dasselbe gilt für Malaria: In manchen Gesundheitszentren fallen rund 90 Prozent der Malariatests positiv aus. Wir behandeln die erkrankten Kinder, aber es braucht auch Präventionsmassnahmen, etwa die Verteilung von Moskitonetzen. Das macht bisher niemand. Ab und zu kommt mal eine Organisation vorbei. Aber grundsätzlich fühlen wir uns mit dieser Mammut-Aufgabe ziemlich alleingelassen. Wir von Ärzte ohne Grenzen tun, was wir können. Aber wir sind auf starke Partner angewiesen», so Pelé weiter.

Notfall-Spital in Bangassou

In der gesamten Präfektur Mbomou zeigt sich in allen Gesundheitsposten und Kliniken das gleiche Bild: Die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen ist dringend nötig und ermöglicht, Leben zu retten. Doch diese Unterstützung reicht nicht aus. Das zeigt auch das Regionalspital von Bangassou, in dem Ärzte ohne Grenzen seit 2015 tätig ist. Hier werden Patient:innen mit schweren Komplikationen behandelt, denen man in anderen Einrichtungen nicht helfen kann. Tag und Nacht herrscht ein reger Betrieb, Kranke und Verletzte werden von ihren Familien oft Hunderte von Kilometern per Motorrad über holprige Strassen zu uns gebracht.

Auch Kinder behandeln wir in Bangassou, zum Beispiel den vierjährigen Guy. Der Kleine leidet an Diabetes Typ 1. Weil die Spitäler in Bao, wo er herkommt, kein Insulin mehr für ihn hatten, fiel er ins Koma.

Auch Baby René* wurde mehrmals auf der Intensivstation eingeliefert. Er litt an schwerer Mangelernährung. Die 20-jährige Fanny wurde aus Bakouma ins 130 Kilometer entfernte Bangassou verlegt. Dr. Louis-Marie Sabio und sein Team konnten ihre Rückenverletzung mit den wenigen verfügbaren Medikamenten und Geräten nicht behandeln.

Personnel du centre de santé de Yongofongo, soutenu par MSF et situé à 19 kilomètres de Bangassou, dans la préfecture de Mbomou. 25 mars 2023.

Yongofongo, DRK, 22. März 2023.

© Julien Dewarichet

«Normalerweise sollten wir Patient:innen wie Fanny selbst behandeln können», erklärt Sabio. «Aber das lässt der Zustand meiner Einrichtung nicht zu. Nach wie vor muss ich Patient:innen überweisen, die eigentlich nicht überwiesen werden sollten. Vor kurzem musste ich ein schwerkrankes Baby nach Bangassou bringen lassen. Mit dem Motorrad, denn wir haben keinen Krankenwagen. Wir schafften es nicht, es vorher zu stabilisieren. Es ist noch auf dem Motorrad gestorben.»

Umfassender Einsatz notwendig

«Die Gesundheitssituation in der Zentralafrikanischen Republik ist schockierend. Was mich jedoch fast noch mehr schockiert, ist die mangelnde internationale Aufmerksamkeit dafür», kritisiert René Colgo, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in der Zentralafrikanischen Republik. «Die Statistiken sind erschreckend. Dennoch ist das Schicksal der Bevölkerung kaum bekannt. Die Finanzmittel für humanitäre Hilfe werden dem Bedarf in keiner Hinsicht gerecht. Aus Sicherheits- oder logistischen Gründen sind NGOs häufig nicht in den Gebieten präsent, in denen der Bedarf am grössten wäre.»

Es ist höchste Zeit, etwas zu ändern. Man muss die Situation in der Zentralafrikanischen Republik als das ansehen, was sie ist: eine schwere und anhaltende humanitäre Krise. Und sie erfordert die Beteiligung und den Einsatz aller.