Die Gesundheit von Mutter und Kind - ein vergessener Notfall in der Zentralafrikanischen Republik
© Barbara Debout
Zentralafrikanische Republik5 Min.
Jahrzehntelange Instabilität und bewaffnete Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik haben eine riesige Lücke in der medizinischen Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen entstehen lassen. Die Folgen sind gravierend: Jeden Tag sterben Frauen und Kinder, dies wäre leicht zu verhindern.
Divine liegt seit Stunden unter Schmerzen in den Wehen. Ihre rechte Hand umklammert den Bettpfosten, ihre linke zerknüllt ein orange-grünes Tuch, das sie um die Hüfte geschlungen hat. Die Geburt stockt und Divine ist erschöpft. Im Kreisssaal des Gemeindespitals von Bangui hat ihr die Krankenpflegerin gerade Oxytocin verabreicht. Das Hormon soll die Häufigkeit und Intensität ihrer Wehen steigern.
In der Abteilung für Risikogeburten werden die Frauen vom medizinischen Personal genau überwacht. Alle 30 Minuten wird ihr Gesundheitszustand und die Herzfrequenz des Babys überprüft. Kommt es zu Komplikationen, kann schnell gehandelt und die Frau beispielsweise für einen Kaiserschnitt in den Operationssaal gebracht werden.
15 Gynäkolog:innen für sechs Millionen Menschen
Eine derart enge Betreuung unter der Geburt ist für zentralafrikanische Frauen alles andere als gewöhnlich. Im ganzen Land gibt es nur 15 Gynäkolog:innen - für eine Bevölkerung von sechs Millionen Menschen.
In der Zentralafrikanischen Republik bedeutet geboren zu werden oder zu gebären, ein Risiko einzugehen.
«Der massive Mangel an qualifiziertem Personal betrifft vor allem die ländlichen Gebiete, wo meist traditionelle Geburtshelfer:innen bei einer Geburt unterstützen, aber nicht dafür ausgebildet sind, Komplikationen zu erkennen», sagt Norbert Richard Ngbale, Professor und Gynäkologe in der Abteilung für Geburtshilfe und Neonatologie.
Enorme Müttersterblichkeit
Ein Schrei, lauter als alle anderen Stimmen, schallt durch den Gang. Eine Frau hat gerade vom Tod ihrer schwangeren Schwester erfahren. Wenige Minuten zuvor war sie in das Spital und direkt in den Operationssaal gebracht worden. Doch es war zu spät. Das medizinische Team tat alles, um sie zu stabilisieren, konnte aber nur noch ihr Baby retten.
«Diese Tragödie wäre nicht passiert, wenn sie rechtzeitig medizinische Versorgung erhalten hätte», sagt unsere Hebamme Adèle Guerde-Seweïen.
Die Gesundheit von Müttern und Neugeborenen ist in der Zentralafrikanischen Republik eine enorme medizinische Notlage. Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate gehört zu den höchsten der Welt. Jüngsten Statistiken (World Bank) zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in der Zentralafrikanischen Republik an Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen sterben, 138-mal höher als in der EU. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Baby vor seinem ersten Geburtstag stirbt, ist 25-mal höher, als wenn es in Europa geboren worden wäre.
Kein Geld für die Gesundheit
Die meisten Todesfälle von Müttern in der Zentralafrikanischen Republik sind auf unsichere Schwangerschaftsabbrüche, aber auch auf zu frühe Schwangerschaften (d.h. wenn Mädchen oder Frauen körperlich zu jung sind, um sicher zu gebären) und auf Hausgeburten zurückzuführen. Viele dieser Fälle könnten durch eine flächendeckende und angemessene medizinische Versorgung vermieden werden. Der chronische medizinische Notstand wird auch durch die extreme Armut verschärft: Obwohl die medizinische Versorgung von Müttern und Kindern offiziell kostenlos ist, steht sie allzu oft nur denjenigen zur Verfügung, die dafür bezahlen können.
«In einem Land, in dem 70 Prozent der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar pro Tag leben, muss jede Entscheidung finanziell abgewogen werden. Selbst wenn sie bedeutet, die eigene Gesundheit zu gefährden», sagt unser Landeskoordinator René Colgo. «Für die Patient:innen ist ein Spitalaufenthalt mit Kosten verbunden, mit Geld, das sie nicht haben. Viele Frauen denken, dass es – wenn überhaupt – besser ist, erst in letzter Minute ins Spital zu gehen. Deshalb ist es so wichtig, sie kostenlos medizinisch zu unterstützen.»
«Dieses Mal wollte ich jedes Risiko vermeiden»
Als Mutter von acht Kindern, die bei der Geburt ihres siebten Kindes Komplikationen erlebte, wollte Carine Dembali dieses Mal nicht riskieren, zu spät ins Spital zu gehen.
«Mit Ausnahme meines ersten Kindes habe ich aus Geldmangel immer zu Hause entbunden», sagt sie. «Aber beim letzten Mal gab es ein Problem: Nach der Geburt des Babys hat sich die Plazenta nicht gelöst. Meine Familie brachte mich in ein Sptal, das früher von Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) betrieben wurde, wo ich für die Behandlung nicht bezahlen musste. Dieses Mal bin ich vor der Entbindung in ein Spital in der Nähe meines Zuhauses gegangen. Dort wurde festgestellt, dass es Komplikationen mit der Nabelschnur gibt und ich wurde für einen Kaiserschnitt hierhergebracht.»
800 Gramm Leben
Nur wenige Spitäler im Land bieten einen ähnlichen Service an, der auch eine Intensivstation für Babys mit Atemproblemen und anderen Komplikationen umfasst. Der kleine Archange, der mit nur 28 Wochen geboren wurde, kämpfte dort 45 Tage lang um sein Leben.
«Bei seiner Geburt wog Archange 800 Gramm», sagt seine Mutter Stephanie. «Seine Zwillingsschwester verstarb nach zwei Wochen und ich dachte, ich würde auch ihn verlieren. Als er von der Intensivstation kam, begannen wir mit der 'Känguru-Methode'», erzählt Stephanie weiter. Bei der 'Känguru-Methode' werden Frühgeborene 24 Stunden am Tag dicht am Körper ihrer Mutter getragen. Der dauerhafte Haut-zu-Haut-Kontakt hält sie warm, stabilisiert ihr emotionales Gleichgewicht und verbessert letztlich ihre Überlebenschancen. «Ich war gestresst und nicht überzeugt. Aber schon bald sah ich, dass es ihm immer besser ging. Heute wiegt er 1,5 Kilo. Bald werde ich mit ihm nach Hause gehen können.»
Um diese grundlegenden Gesundheitsdienste im ganzen Land bereitzustellen, wird grosse finanzielle Unterstützung benötigt. «Die Situation erfordert ambitionierte Investitionen aller internationalen Partner:innen», sagt unser Landeskoordinator Colgo. «Es ist inakzeptabel, dass jeden Tag so viele Frauen und Babys aus Gründen sterben, die so leicht zu vermeiden sind.»
Unsere Hilfe in der Zentralafrikanischen Republik
Angesichts der kritischen Situation in der Zentralafrikanischen Republik im Bereich der Gesundheitsversorgung bieten wir landesweit kostenlose geburtshilfliche Notversorgung für Frauen und Neugeborene an. Zudem schulen wir das Personal des Gesundheitsministeriums, renovieren medizinische Einrichtungen und statten diese aus, damit ein angemessener Versorgungsstandard sichergestellt werden kann. Im Jahr 2021 halfen unsere Teams fast 19 600 Frauen bei der Geburt, davon waren 1020 Kaiserschnitte. Im ganzen Land wurden 1900 Neugeborene in den von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Neugeborenen-Stationen behandelt.
Die Entbindungs- und Neugeborenen-Station des Gemeindespitals in Bangui bietet Schwangeren und Neugeborenen in kritischen Situationen Notfallversorgung. Von Mitte Juli bis Mitte Dezember versorgten unsere Teams gemeinsam mit Kolleg:innen aus dem Gesundheitsministerium 3 084 Schwangere. Insgesamt 860 Babys wurden auf der Neugeborenen-Station aufgenommen, darunter 239 Frühgeborene.
© Barbara Debout