Ärzte ohne Grenzen stellt nach mehr als einem Jahr gewalttätiger Vorfälle die Arbeit im Türkischen Spital in Khartum ein
© MSF
Sudan3 Min.
Nach über einem Jahr gewalttätiger Vorfälle innerhalb und ausserhalb des von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Türkischen Spitals in Khartum – darunter auch Todesdrohungen gegen das Personal der Organisation – haben wir beschlossen, unser Team aus dem Spital abzuziehen. Diese Entscheidung wurde nicht leichtfertig getroffen. Ärzte ohne Grenzen konnte dort während fast 14 Monaten lebensrettende Behandlungen anbieten. Dies trotz wiederholter, oftmals beabsichtigter Behinderungen seitens der Kriegsparteien. Allerdings ist dies aufgrund der jüngsten Ereignisse nicht länger möglich.
«Die Situation im Türkischen Spital, das sich in RSF-kontrolliertem Gebiet befindet, ist unhaltbar geworden. In den letzten zwölf Monaten kam es in und um die Einrichtung zu mehreren gewalttätigen Ereignissen und das Leben unserer Mitarbeitenden wurde wiederholt bedroht», sagt Claire Nicolet, Leiterin des Notfalleinsatzes von Ärzte ohne Grenzen im Sudan.
«Zuletzt wurden in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni mehrere verwundete Kämpfer in das Türkische Spital gebracht und unser Team wurde dadurch geweckt, dass mit Kalaschnikows in ihr Schlafzimmer geschossen wurde. Eine solche Art von Gewalt gegen unser Personal ist inakzeptabel. Spitäler und Gesundheitseinrichtungen sollten geschützt und von Kriegsparteien als Zufluchtsort respektiert werden, in denen Gesundheitspersonal die Kranken und Verletzten sicher medizinisch versorgen kann. Es darf nicht sein, dass ihr Leben gefährdet ist, während sie versuchen, die Leben anderer zu retten.» – Claire Nicolet
Ein Jahr unaufhörlicher Schikanen und Blockaden
Während des letzten Jahres wurde unser Personal im Türkischen Spital sowohl bei der Arbeit als auch auf dem Weg in das Spital oft drangsaliert. Anfangs Juni wurde ein Mitarbeiter von zwei bewaffneten Männern verhaftet, zu einem unbekannten Standort gebracht und brutal zusammengeschlagen.
«Das Team ist körperlich und geistig erschöpft. Die im September von den sudanesischen Behörden verhängte Blockade verunmöglicht die Lieferung von medizinischen Gütern und die Einreise von humanitärem Personal in RSF-kontrolliertes Territorium. Das Team im Türkischen Spital ist deshalb seit zehn Monaten pausenlos im Einsatz», erklärt Nicolet. «Die Blockade bedeutete, dass es für uns nicht möglich war, neue Mitarbeitende vor Ort zu schicken, um das Team abzulösen. Das bestehende Team arbeitete unermüdlich, um das Spital unter grossem Druck offen zu halten.»
Entscheidend für die Gesundheitsversorgung in Khartum
Seit Kriegsbeginn war das Türkische Spital ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitssystems, das nicht nur Patient:innen aus Khartum versorgte, sondern auch Menschen aus weit entfernten Orten wie Wad Madani im Bundesstaat al-Dschazira.
Das Türkische Spital bleibt dank der Anwesenheit von Angestellten des Gesundheitsministeriums offen. Allerdings sind chirurgische Behandlungen ohne das Personal von Ärzte ohne Grenzen, das evakuiert wurde, nicht länger möglich und die Zukunft des Spitals bleibt ungewiss.
Fast 80 Prozent aller chirurgischen Eingriffe während des letzten Jahres waren lebensrettende Kaiserschnitte für Frauen, die mit Komplikationen während Schwangerschaft und Geburt zu tun hatten. Als Folge der Sicherheitsvorfälle mussten sämtliche chirurgische Aktivitäten im Spital eingestellt werden. Zum Angebot von Ärzte ohne Grenzen gehörten auch die Betreuung vor und nach der Geburt, Familienplanung, die Leitung der pädiatrischen Intensivstation, des stationären therapeutischen Ernährungszentrums für Kinder mit schwerer akuter Mangelernährung sowie der Neugeborenenstation. Es war die einzige Neugeborenenstation in ganz Khartum. Auch diese Aktivitäten musste Ärzte ohne Grenzen einstellen.
Wir fordern die Kriegsparteien dazu auf, die Zivilbevölkerung und die zivile Infrastruktur, darunter Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen, zu schützen. Für Einrichtungen, die weiterhin funktionstüchtig sind, ist es unerlässlich, dass die nötigen Bewilligungen erteilt werden, damit humanitäres Personal sich ungehindert zwischen den Fronten bewegen kann und medizinische Güter eingeführt werden können. Doch wegen der anhaltenden Blockade ist es für viele Einrichtungen schwierig, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dies bedroht Millionen von Menschenleben in Khartum und im ganzen Land.
© MSF