Afghanistan: Ärzte ohne Grenzen schliesst Projekt nach Angriff auf Entbindungsstation
© Sandra Calligaro
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Nach dem tödlichen Angriff auf die Entbindungsstation in Dasht-e-Barchi stellt Ärzte ohne Grenzen dort die Arbeit ein. Am 12. Mai waren in der Klinik in der afghanischen Hauptstadt Kabul 25 Menschen umgebracht worden, darunter zwei Kinder im Alter von sieben und acht Jahren, eine Hebamme von Ärzte ohne Grenzen und 16 Mütter, die in ihren Betten gezielt erschossen wurden.
Die Entbindungsstation wird geschlossen, da es noch immer keine Informationen darüber gibt, wer für die Tat verantwortlich ist und weitere Angriffe nicht ausgeschlossen werden können. Niemand hat sich bisher zu dem Angriff bekannt. Die afghanische Regierung sah die Schuld bei den Taliban, welche die Anschuldigung von sich wiesen und den Angriff verurteilten. Mitglieder ausländischer Regierungen sahen hingegen Anzeichen für eine Verantwortung des so genannten Islamischen Staates.
«Uns war bewusst, dass unsere Präsenz in Dasht-e-Barchi Risiken birgt. Nie hätten wir uns jedoch vorgestellt, dass jemand die komplette Schutzlosigkeit von Frauen, die kurz vor der Entbindung stehen, ausnutzen würde, um sie und ihre Babys zu töten», sagt Thierry Allafort-Duverger, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Frankreich. «Doch es ist geschehen. Und wir müssen die Realität akzeptieren: Höhere Mauern und dickere Sicherheitstüren werden nicht verhindern, dass sich solche schrecklichen Übergriffe wiederholen.»
Zu bleiben, würde bedeuten, einen solchen Verlust an Menschenleben bei unserer Tätigkeit mit einzukalkulieren, und das ist für uns unvorstellbar.
Ärzte ohne Grenzen ist es ein grosses Anliegen, dem Personal auch weiterhin die notwendige Unterstützung einschliesslich psychologischer Hilfe anzubieten. Die Organisation prüft ausserdem Möglichkeiten, den Familien der Patientinnen, die getötet wurden, eine angemessene Unterstützung zukommen zu lassen. Zudem sucht sie nach Wegen, lokale Initiativen bei der Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung zu unterstützen.
Eines der grössten Projekte für Mutter-Kind-Versorgung
Mit fast 16 000 Geburten 2019 war die Entbindungsstation in Dasht-e-Barchi eines der grössten Mutter-Kind-Projekte von Ärzte ohne Grenzen weltweit. Die Entscheidung über das Einsatzende hat Auswirkungen auf mehr als eine Million Menschen in der Region. Der Grossteil der Bevölkerung gehört der historisch marginalisierten ethnischen Gruppe der Hazara an. Viele von ihnen leben in Armut und wurden durch den jahrelangen Konflikt vertrieben.
In den vergangenen 16 Jahren wurden mehr als 70 Mitarbeitende und Patientinnen und Patienten von Ärzte ohne Grenzen in Afghanistan getötet. Unter anderem wurden 2004 fünf Mitarbeitende in der Provinz Badghis ermordet und 2015 das Spital von Ärzte ohne Grenzen in Kundus vom US-Militär bombardiert. Bei diesem Angriff starben 42 Menschen.
© Sandra Calligaro