Seenotrettung: Gemeinsam mit weiteren Organisationen reichen wir Beschwerde bei der EU-Kommission ein
© Michela Rizzotti/MSF
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Fünf führende Nichtregierungsorganisationen haben bei der Europäischen Kommission gemeinsam eine Beschwerde eingereicht. Gegenstand ist das italienische Gesetz 15/2023 und die Praxis der italienischen Behörden, Häfen für die Ausschiffung zuzuweisen, die weit von dem Gebiet entfernt sind, in dem die Menschen gerettet wurden.
Bei den fünf Organisationen handelt es sich um Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF), Oxfam Italia, SOS Humanity, Association for Juridical Studies on Immigration und EMERGENCY. Sie bezweifeln, dass das Gesetz mit dem einschlägigen EU-Recht und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf Such- und Rettungsmassnahmen auf See vereinbar ist.
«Jeder Tag, den wir nicht in der Such- und Rettungsregion verbringen, weil wir festsitzen oder auf dem Weg zu einem weit entfernten Hafen sind, gefährdet Leben», sagt Djoen Besselink, Einsatzleiter unserer Such- und Rettungsmission.
Das Gesetz zielt auf Nichtregierungsorganisationen ab, aber den wahren Preis zahlen die Menschen, die über das Mittelmeer fliehen und sich in einem Boot in Seenot befinden.
Im Januar 2023 führte Italien ein neues Dekret ein, das im März Gesetz wurde. Das Gesetz 15/2023 verbietet es Such- und Rettungsschiffen, mehr als eine Rettungsaktion pro Einsatz durchzuführen, da sie nach einer Rettung unverzüglich den zugewiesenen Hafen ansteuern sollten. Das bedeutet, dass die Schiffe keine Hilfe für andere Boote in Not leisten dürften. Das Gesetz verpflichtet zudem die Kapitän:innen, italienischen Behörden nicht näher spezifizierte Informationen über durchgeführte Rettungsaktionen zu übermitteln, was in der Praxis dazu geführt hat, dass extrem viele Daten angefordert wurden.
Am 23. Februar 2023 wurde unser Rettungsschiff «Geo Barents» zum ersten Mal für 20 Tage festgesetzt. Ausserdem wurde eine Geldstrafe verhängt, weil spezielle Informationen nicht zur Verfügung gestellt werden konnten, nach denen nie zuvor gefragt wurde. Seitdem haben die italienischen Behörden vier weitere Such- und Rettungsschiffe für jeweils 20 Tage festgesetzt. Damit haben sie insgesamt 100 Tage verloren, während die gefährlichen Überfahrten und Schiffbrüche weitergingen.
Verschärft wird das Gesetz durch die Praxis der italienischen Behörden, weit entfernte Häfen in Norditalien für die Ausschiffung von Überlebenden nach Rettungsaktionen zuzuweisen. Das ist eine Zumutung für die geretteten Menschen, die häufig in einem schlechten physischen und psychischen Zustand sind.
Die grösseren Entfernungen wirken sich auch negativ auf die Nichtregierungsorganisationen selbst aus, die die erhöhten Treibstoffkosten mit ihren begrenzten Budgets tragen müssen.
«Die Regierungen müssen gegenüber Italien auf die Einhaltung von europäischem Recht drängen», sagt Felix Braunsdorf, politischer Referent in Deutschland. «Das italienische Gesetz 15/2023 behindert Seenotrettung auf dem zentralen Mittelmeer und kostet Menschenleben. Das Gesetz verstösst aus unserer Sicht klar gegen EU-Recht.»
Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) engagiert sich seit 2015 in der Seenotrettung im zentralen Mittelmeer. Seitdem haben unsere Teams rund 90 000 Menschen aus Booten in Seenot gerettet. Im Mai 2021 haben wir unser Such- und Rettungsschiff Geo Barents in Betrieb genommen und seitdem mehr als 8114 Menschen gerettet.
© Michela Rizzotti/MSF