Zentralafrikanische Republik: Wiederholte Angriffe auf medizinische Einrichtungen erhöhen Erkrankungs- und Todesrisiken

République centrafricaine, 01.02.2021

Zentralafrikanische Republik5 Min.

Ausbrüche von Gewalt halten die gesamte Zentralafrikanische Republik (ZAR) in Atem. Anhaltende Angriffe auf Patient*innen, Gesundheitspersonal und Spitäler zwingen Ärzte ohne Grenzen dazu, ihre Aktivitäten auszusetzen und den Zugang zur medizinischen Versorgung einzuschränken.

In den vergangenen sechs Monaten wurden Dutzende von Gesundheitseinrichtungen geplündert, beschädigt und von Bewaffneten besetzt. Während Übergriffen auf Spitäler mussten Patientinnen und Patienten Gewalt, Misshandlung, Verhöre und Verhaftungen über sich ergehen lassen. In ländlichen Regionen wurden medizinische Mitarbeitende bedroht, und Motorradfahrer, die Medikamente auslieferten oder Patienten transportierten, wurden angegriffen, verletzt und mit vorgehaltener Waffe ausgeraubt. Die Konfliktparteien schreiben die Gewalttaten unkontrollierten Einheiten verschiedener bewaffneter Gruppen zu.

Das Wiederaufflammen des Konflikts in der Zentralafrikanischen Republik im Dezember hat die Zivilbevölkerung und die medizinische Versorgung schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die wiederholten Angriffe auf Patient*innen, Gesundheitspersonal und medizinische Einrichtungen bereiten uns grosse Sorgen.

Rhian Gastineau, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen

Plünderung von Spitälern

Im Februar beschädigten Kämpfe zwischen Regierungstruppen und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen ein von Ärzte ohne Grenzen unterstütztes Gesundheitszentrum im Auffanglager für Binnenvertriebene Elevage bei Bambari. Das Gebäude wurde von einer Rakete getroffen. Im Juni wurde ein nahegelegener Gesundheitsposten zerstört und niedergebrannt, nachdem 8500 Flüchtlinge von dem Gelände vertrieben worden waren.

In den vergangenen sechs Monaten mussten die mobilen Teams von Ärzte ohne Grenzen in den Bezirken Ouaka, Ouham-Pendé und Ombella-Mpoko mitansehen, wie mehrere Gesundheitseinrichtungen geplündert und teilweise zerstört wurden: Sonnenkollektoren, medizinisches Material und Matratzen wurden gestohlen, Türen und Fenster aufgebrochen.

Unter anderem in Bangui drangen Bewaffnete in von Ärzte ohne Grenzen betriebene und unterstützte Gesundheitszentren ein, um Patienten zu verhören oder festzunehmen. Im Februar versuchte eine Gruppe bewaffneter Männer, einen Patienten in dem von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Spital in Bouar zu töten.  

République centrafricaine, 29.01.2021

Das Chirurgie-Team von Ärzte ohne Grenzen behandelt am 29. Januar 2021 einen Patienten mit Leistenbruch.

© Alexis Huguet

Angriffe auf Gesundheitspersonal

Im Mai wurden in der Nähe der Stadt Kabo zwei Gesundheitshelfer ins Bein bzw. in den Kopf geschossen. Sie waren von Ärzte ohne Grenzen ausgebildet worden, um Menschen in abgelegenen Gebieten gegen häufige Krankheiten wie Durchfall, Malaria und Unterernährung zu behandeln. Zwei weitere Mitarbeitende erhielten Morddrohungen und setzten daraufhin ihre Arbeit aus.

Im Juni wurde ein Konvoi, der Patienten zum Spital von Ärzte ohne Grenzen in Batangafo brachte, überfallen. Ein Pfleger und ein Motorradfahrer wurden dabei getötet, zwei Patienten verletzt. Im selben Monat fanden in der Umgebung zwei weitere Angriffe statt. Ähnliche Vorfälle ereigneten sich in der Nähe von Bossangoa und Bria.

«Seit Dezember ist es aufgrund von Kontrollposten, Überfällen und Angriffen extrem schwierig und gefährlich, in den Aussenbezirken der Grossstädte von A nach B zu kommen», erklärt Gisa Kohler, stellvertretende Projektleiterin von Ärzte ohne Grenzen.

Ärzte ohne Grenzen muss Aktivitäten einstellen

Aufgrund dieser Zwischenfälle sah Ärzte ohne Grenzen sich mehrere Male gezwungen, ihre medizinischen Aktivitäten vorübergehend einzustellen. Darunter fielen auch lebensrettende medizinische Leistungen, die Abgabe von Medikamenten, die Supervision von Gesundheitspersonal sowie der Patiententransport. «Die Einstellung unserer Aktivitäten macht die Bevölkerung verwundbarer und zieht vermeidbare Todesfälle bei Kleinkindern sowie Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt nach sich», so Gisa Kohler weiter.

Die zunehmend unsichere Lage in Paoua, Bria und anderen Gebieten hindert die Teams von Ärzte ohne Grenzen daran, die unterstützten Spitäler regelmässig aufzusuchen. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die medizinische Qualität und unterbricht die Versorgung mit wichtigen Medikamenten.

République centrafricaine, 01.02.2021

France wurde im Spital von Ärzte ohne Grenzen behandelt. Am 22. Januar 2021 wird sie entlassen, kommt aber weiterhin ambulant zur Physiotherapie und um den Wundverband zu wechseln.

© Adrienne Surprenant/Collectif Item for MSF

Seit April hat Ärzte ohne Grenzen die Patiententransporte per Motorrad aus den ländlichen Gebieten nach Kabo aufgrund von Sicherheitsrisiken reduzieren. Die Zahl der überwiesenen Patient*innen pro Monat hat sich folglich fast halbiert. Im Juni konnten die Gesundheitshelfer von Ärzte ohne Grenzen in einigen Gebieten um Kabo lediglich ein Viertel der üblichen wöchentlichen Konsultationen abhalten.

«Wir mussten unsere medizinischen Aktivitäten in vielen Einsatzgebieten aussetzen oder stark zurückfahren. Das ist höchst besorgniserregend – insbesondere während der Regenzeit, da sich Malaria und andere lebensbedrohliche Krankheiten dann besonders stark verbreiten», so Gina Kohler.

Angst und Panik behindern die Gesundheitsversorgung

Die zunehmende Unsicherheit macht Angst. Zahlreiche Menschen trauen sich nicht mehr aus dem Haus, um medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch viele Gesundheitsmitarbeitende kommen aus Sicherheitsgründen nicht mehr an ihren Arbeitsplatz.  

Andersherum suchen viele Menschen in Spitälern oder dem umringenden Gelände Schutz vor der Gewalt. Das wirkt sich auch auf die medizinische Versorgung aus. Wie im Juli in Kabo geschehen, reicht manchmal ein Geräusch oder das Gerücht, dass Angreifer nahen, aus, um unter den Anwesenden eine Massenpanik auszulösen. 

«Dass Gewalt Auswirkungen auf die medizinische Versorgung hat, ist in der Zentralafrikanischen Republik leider nichts Neues», sagt Rhian Gastineau. «Während Konflikten ist das ein strukturelles Problem. Die vielen verschiedenen bewaffneten Gruppen, die sich bekämpfen, machen die Lage sehr unbeständig. Das gilt auch für Gebiete, die zuvor als relativ stabil galten. So wird der Zugang zu Gesundheitsleitungen für die Bevölkerung weiter eingeschränkt – dabei kämpfen diese Menschen ohnehin tagtäglich ums Überleben.

Ärzte ohne Grenzen fordert die Regierung und alle Konfliktparteien auf, die Neutralität von Gesundheitseinrichtungen zu respektieren und den Zugang zu medizinischer und humanitärer Hilfe zu ermöglichen.

Mehr denn je müssen sämtliche Konfliktparteien das humanitäre Völkerrecht achten. Dazu gehört auch der Schutz der Zivilbevölkerung, der medizinischen Einrichtungen, des Transports und der Gesundheitsmitarbeitenden.

Rhian Gastineau, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1997 in der Zentralafrikanischen Republik tätig. Die Organisation leitet derzeit 13 reguläre Projekte in Bangui, Bria, Bangassou, Bambari, Kabo, Batangafo, Paoua, Bossangoa und Carnot und hat ein mobiles Notfallteam im Einsatz. Seit sich der Konflikt Ende 2020 verschärft hat, geht es in erster Linie darum, die Kontinuität der medizinischen Versorgung sicherzustellen. Zudem hat Ärzte ohne Grenzen in den betroffenen Gebieten Boguila, Bossembélé, Bouar, Grimari, Mbaiki, Damara, Boali, Dékoa, Liton, Kouango und Ippy Notfallprojekte lanciert.