Aisha Akello: Einst selbst Vertriebene, heute Hebamme im Einsatz für Ärzte ohne Grenzen

Ngala, Nigeria.

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Aisha Akello lebte als Kind in einem Vertriebenenlager in Uganda. Als ihr Bruder schwer krank wird, hört sie das erste Mal von Ärzte ohne Grenzen. Dreissig Jahre später arbeitet sie selbst für die Organisation. Sie erzählt ihre bewegende Geschichte.

«Seit Mai 2019 arbeite ich im Spital von Ärzte ohne Grenzen im Lager für Vertriebene in Ngala, im Nordosten Nigerias. Ich kenne ihre Situation: Als Kind lebte ich selbst als Vertriebene.

Zum ersten Mal in Berührung mit Ärzte ohne Grenzen kam ich, als ich acht Jahre alt war. Ich komme aus Norduganda, wo zu dieser Zeit, um 1988, in meinem Dorf ein Konflikt tobte. Die Rebellen kamen nachts, um uns auszurauben und Menschen zu entführen, deshalb verbrachten wir die Nächte auf der Strasse ausserhalb des Dorfes und blieben dafür tagsüber zu Hause.

Kindheit im Vertriebenenlager

Irgendwann mussten wir unser Dorf verlassen und kamen in ein Vertriebenenlager. Wir, neun Kinder und unsere Eltern, lebten in einer kleinen Hütte aus Lehm und Stroh – genau wie die Unterkünfte, die es hier in Ngala hat. Nie hätte ich damals für möglich gehalten, dass ich einmal so viel erreichen würde und heute da bin, wo ich bin. 

Einer meiner Brüder war damals schwer mangelernährt. Es ging ihm gar nicht gut, und schliesslich kam er ins therapeutische Ernährungszentrum, das Ärzte ohne Grenzen damals betrieb. Dank der Behandlung, die er dort erhielt, konnte er schon bald wieder mit uns spielen.

Wenn die Autos von Ärzte ohne Grenzen im Lager vorbeifuhren, riefen wir: «Gebt uns Plumpy’Nut!» Das ist eine therapeutische Fertignahrung, die Ärzte ohne Grenzen zur Behandlung von Mangelernährung einsetzt. So kannte ich Plumpy’Nut bereits seit meiner Kindheit.

Nach der Geburt zurück auf die Schulbank

Bis zur «Secondary school» konnte ich eine Schule für Vertriebene ausserhalb des Lagers besuchen. Als ich fünfzehn war, wurde jedoch entschieden, dass ich heiraten sollte. Mit sechzehn brachte ich mein Kind zur Welt. Zum Glück konnte ich danach wieder zur Schule gehen.

Anschliessend erhielt ich ein Stipendium an einer Ausbildungsstätte für Hebammen. Zu Beginn gefiel mir die Arbeit nicht. Ich hatte grosse Angst, bei Geburten dabei zu sein und zu assistieren. Als ich zum ersten Mal als Trainee bei einer Geburt mithalf, hatte ich solche Angst, dass ich fast in die Hose pinkelte! Doch allmählich gewann ich an Sicherheit und Vertrauen bei dieser Arbeit.

Hier kommt nun wieder Ärzte ohne Grenzen ins Spiel...

Ein Traum wird wahr

In der Nähe des Spitals, in dem ich mein Praktikum machte, betrieb Ärzte ohne Grenzen ein therapeutisches Ernährungszentrum. Hatte es dort Frauen, die kurz vor der Entbindung standen, wurden diese an uns überwiesen. Ich empfing diese Patientinnen und arbeitete eng mit einem Übersetzer von Ärzte ohne Grenzen zusammen, der die werdenden Mütter begleitete, sowie mit einer internationalen Pflegefachfrau.

Eines Tages kam eine Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen auf mich zu und sagte: «Aisha, ich höre immerzu, dass du dich gut um die Patienten kümmerst!» Das öffnete mir eine Tür bei Ärzte ohne Grenzen. Da ich noch in der Ausbildung war, arbeitete ich zunächst tageweise als Pflegeassistentin. Als ich meine Hebammenausbildung abgeschlossen hatte, wurde ich als Pflegefachfrau eingestellt. Ich blieb vier Jahre lang, bis das Projekt 2007 schliesslich schloss.

Weltweit im Einsatz für Ärzte ohne Grenzen

Von 2010 bis 2012 arbeitete ich erneut für Ärzte ohne Grenzen, diesmal endlich als Hebamme. Danach beschloss ich, mich als internationale Mitarbeitende zu bewerben. Seit da bin ich als Hebamme überall auf der Welt im Einsatz!

Als ich als Kind im Vertriebenenlager lebte, war es unser Traum, ein Auto von Ärzte ohne Grenzen anzufassen. Die Menschen wussten, dass diese Organisation unseren Leuten half, wenn es ihnen wirklich schlecht ging.

Mein Bruder, der damals von Ärzte ohne Grenzen behandelt wurde, ist heute 32 und hat einen Sohn.

Meine Mutter ist sehr stolz, wenn sie mich in meinem T-Shirt von Ärzte ohne Grenzen sieht. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich einmal so viel erreichen würde und heute da bin, wo ich bin!

Hier in Nigeria bin ich für die Ausbildung des lokalen Personals im Bereich Geburtshilfe verantwortlich. Als ehemalige lokale Mitarbeiterin kenne ich ihre Rolle und weiss, wie sie arbeiten.

Die Situation hier im Lager ist schwierig und die Leute wissen häufig über das medizinische Angebot nicht Bescheid. Aber ich bin dankbar, dass ich mit meiner Arbeit hilfsbedürftige Menschen versorgen kann. Menschen, die in der gleichen Lage sind wie ich vor dreissig Jahren.»