Die menschlichen Kosten der amerikanischen Migrationspolitik: Persönliche Berichte von der US-mexikanischen Grenze
© Yesika Ocampo/MSF
Mexiko5 Min.
Seit zwei Jahren benutzt die US-amerikanische Regierung die Covid-19-Pandemie als Vorwand, um an der südlichen Grenze Asylsuchende abzuweisen. Die sogenannte Title-42-Regelung ermöglicht es den USA, Menschen, die an der Grenze Schutz suchen, festzuhalten und schnell wieder auszuweisen.
Sie wurde im März 2020 von Trump in Kraft gesetzt und seither unter Biden mehrmals verlängert. Insgesamt wurden mit ihrer Hilfe über 1,45 Millionen Ausweisungen aus den USA genehmigt. Die Menschen werden in gefährliche Städte entlang der US-mexikanischen Grenze zurückgeschickt, wo sie weder eine geeignete Unterkunft noch Zugang zu grundlegenden Diensten haben. Schutzlos sind sie der Gewalt und Erpressung durch Gangs und der Polizei ausgesetzt.
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen (MSF) sehen jeden Tag, welche verheerenden Folgen diese Politik für Asylsuchende und Migrant:innen hat. Seit zwei Jahren betonen MSF wie auch andere medizinische Akteure immer wieder, dass es keine legitime Rechtfertigung für die Anwendung von Title 42 gibt. Unter dem Vorwand, der öffentlichen Gesundheit zu dienen, bewirkt diese fremdenfeindliche Politik, dass schutzlose Menschen grossen Gefahren ausgesetzt werden. Es gibt keine Entschuldigung dafür, aufgrund dieser Regelung Asylsuchende abzuweisen und ihnen das Recht auf Schutz zu verwehren. Hier sind zwei persönliche Berichte von Menschen, die kürzlich auf der Grundlage von Titel 42 aus den USA ausgewiesen wurden und jetzt im mexikanischen Piedras Negras an der Grenze zu den USA festsitzen. Berichte, die eindrücklich belegen, dass die Biden-Regierung diese Regelung unverzüglich aufheben muss.
Alicia, 23, aus San Pedro Sula, Honduras
Alicia verliess Honduras im November 2021 zusammen mit ihrem 30-jährigen Ehemann und ihrer acht Monate alten Tochter. Auf ihrer Reise wurden sie von Behörden in Guatemala und Mexiko erpresst. Im Dezember 2021 hatten sie sich am Fluss bei Piedras Negras den US-Behörden gestellt und waren gemäss Title 42 direkt wieder abgeschoben worden.
«Ich weiss, dass es kein Asyl gibt, aber wir hatten keine Alternative. Wir wollten, dass sie uns zuhören, wollten ihnen erzählen, dass unser Leben bedroht wird und wir nicht zurück können. Beim ersten Mal verhafteten und fotografierten sie uns, nahmen digitale Fingerabdrücke und brachten uns dann ohne Erklärung zurück nach Piedras Negras.
Nachts versuchten wir erneut, in die USA zu gelangen. Sie brachten uns zusammen mit den Kindern in sogenannte iceboxes [kleine Zellen mit unangenehm niedrigen Temperaturen]. Wir legten uns mit Decken auf den Boden. Sie gaben uns Äpfel, Kekse und Wasser. Dieses Mal behandelten sie uns etwas besser. Ein Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde erklärte uns, dass sie uns wieder nach Mexiko zurückbringen würden, so wie die Title-42-Regelung das vorsieht.
Sie gaben denjenigen von uns, die Babies dabeihatten, Windeln. Meine Tochter war krank, sie hatte Fieber. In der Morgendämmerung brachten sie uns zu einem Wagen der Grenzpatrouille. Wir alle kamen aus Honduras. Das war am 28. Dezember 2021.
Von vielen warfen sie die Papiere weg. Als wir in den USA inhaftiert waren, schmissen sie alles weg, was wir mitgebracht hatten. Papiere, Kleidung, Medizin, Milch für mein Baby. Warum schmeissen sie unsere Sachen in den Müll, wenn sie wissen, dass sie uns zurück nach Mexiko schicken? Für sie haben diese Sachen keinen Wert. Für uns sind sie alles, was wir haben.
Sie sagen, wegen Corona können sie uns nicht in die USA lassen, aber als wir festgehalten wurden, hat niemand unsere Temperatur gemessen. In den Zellen konnte man keinen Abstand halten und Desinfektionsmittel wurde uns nur angeboten, als sie unsere Fingerabdrücke nahmen. Niemand fragte uns nach Coronasymptomen.
Das Problem in Mexiko ist, dass die Polizei einem Geld wegnimmt, selbst wenn man gültige Ausweispapiere dabeihat.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als dort auf der Strasse auszuharren, ohne irgendeine Hilfe, und uns vor den kriminellen Banden zu schützen. Es würde mir nichts ausmachen zu warten, wenn uns wirklich jemand helfen würde. Wir wissen, dass Tausende auf Asyl warten. Aber hier ist es noch nicht mal erlaubt, durch die Strassen zu gehen.»
«Wir haben Angst um unser Leben»
José María Paz Celaya, 31, aus San Pedro Sula, Honduras, wurde in Mexiko psychisch und physisch misshandelt. Als er versuchte, die Grenze zu den Vereinigten Staaten zu überqueren, wurde er inhaftiert und in der Haft geschlagen.
«Der Einwanderungsmitarbeiter fragte mich, ob ich Marijuana hätte und ich antwortete, dass ich nicht rauche. Er hakte nach und ich bestand auf meiner Antwort. Er wollte mich ausziehen und ich sagte ihm, dass dies verboten sei, dass es menschenunwürdig sei. Er sagte: «Du machst hier nicht die Regeln, du bist hier nicht in deinem Land, du dreckiger Immigrant.» «Okay», antwortete ich, «aber du wirst mich nicht ausziehen.» Und ich liess mich nicht ausziehen.
Sie schlugen mich ins Gesicht und warfen mich auf den Boden. Ich landete auf dem Gesicht. Sie legten mir Hand- und Fussschellen an, als wäre ich ein Krimineller und liessen mich eine Stunde lang auf dem Boden knien. Sie fragen dich gar nichts, sie wollen weder deinen Vor- noch deinen Nachnamen wissen. Sie fragen nicht, warum du dein Land verlassen hast, ob du in deinem Land bedroht wurdest. Es ist ihnen egal.
Piedras Negras ist schrecklich. Man lebt in ständiger Angst, von Kriminellen gekidnappt zu werden. Wir haben riesige Angst, wenn wir durch die Strassen gehen. Da wir Rucksäcke tragen, wissen sie, dass wir Migranten sind und wollen uns kidnappen. Aber wir haben kein Geld. Wir sind vor den Bedrohungen in unserer Heimat geflohen. Wir wussten nicht, dass wir uns damit in eine Situation begeben würden, die manchmal noch schlimmer ist als in unseren Ländern.
Manchmal kann ich vor lauter Angst, dass mir etwas zustösst, nicht schlafen. Ich wohne mit drei Mitreisenden in einem verlassenen Haus. Zwei schlafen und zwei bleiben wach, um aufzupassen. Die meisten von uns hier haben Angst um ihr Leben.»
© Yesika Ocampo/MSF