USA: Trotz Ende der Verordnung «Title 42» bleiben restriktive Massnahmen für Migrant:innen
© Yael Martínez/Magnum Photos
Mexiko5 Min.
Am 11. Mai 2023 hat die Regierung von Präsident Joe Biden offiziell das Ende des nationalen Covid-19-Gesundheitsnotstands erklärt. Damit wurde auch die sogenannte «Title-42-Regelung» aufgehoben – eine Gesundheitsverordnung, unter deren Vorwand seit über drei Jahren Asylsuchende an der südlichen Grenze der USA abgewiesen wurden. Seit 2020 wurde so die Abschiebung von 2,8 Millionen Menschen ermöglicht und löste eine humanitäre Katastrophe aus.
Unter der Regelung «Title 42» konnte die USA Menschen, die an der Grenze Schutz suchten, festhalten und wieder ausweisen. Die Regelung wurde 2020 von der Trump-Regierung in Kraft gesetzt und seither unter Joe Biden mehrmals verlängert.
Seitdem wurde unter dieser Regelung die Ausschaffung von über 2,8 Millionen Menschen aus den USA bewilligt, die in Städte nahe der US-mexikanischen Grenze gebracht wurden. Sie löste eine humanitäre Katastrophe für Migrant:innen aus, die sich in den USA Sicherheit und ein besseres Leben erhofft hatten. Drei Jahre lang lebten Tausende Menschen ohne ein Dach über dem Kopf, ohne Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und unter ständig drohender Gewalt in Städten, die nicht genügend Sicherheit oder Ressourcen bieten können, um den massiven Hilfebedarf zu decken.
Auswirkungen der unmenschlichen Abschiebungspraxis
Die Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) in den Städten Reynosa, Matamoros, Piedras Negras und Ciudad Acuña haben mit eigenen Augen gesehen, welche verheerenden Auswirkungen diese Regelung auf die körperliche und geistige Gesundheit von Tausenden von Menschen hat, die ohne Dach über dem Kop und ausreichend Essen sich selbst überlassen sind.
Neue Hürden trotz dem Ende von «Title 42»
«Zwar ist es eine gute Nachricht, dass die «Title-42-Verordnung» endlich aufgehoben wird. Unter dem Vorwand der öffentlichen Gesundheit hinderte sie Menschen daran, Asyl zu suchen, und brachte so unzählige Menschen in Gefahr», erklärt Adriana Palomares, unsere Einsatzleiterin in Mexiko und Zentralamerika. «Unsere Hoffnung war es, dass mit dem Wegfall von «Title 42» die Abläufe zur Aufnahme von Schutzsuchenden wieder eingeführt würden, die davor galten. Leider scheint die Biden-Regierung aber vielmehr darauf bedacht, neue Hürden für Asylsuchende zu errichten. In diese Richtung geht auch die heute verabschiedete endgültige Regelung, die vielen den Schutz entzieht, den sie so dringend brauchen.»
Wir wissen, dass die Abschreckungspolitik nicht funktioniert. Sie bewirkt nur, dass die Menschen noch mehr Gewalt und Gefahren ausgesetzt sind.
Zusätzlich zu einer ganzen Reihe neuer Einwanderungsregeln, die die Biden-Regierung jüngst herausbrachte, wird die US-Regierung nach Ablauf von «Title 42» Migrant:innen nach dem bestehenden amerikanischen Einwanderungsgesetz behandeln. Nach diesem Gesetz, das auch als «Title 8» bekannt ist, riskieren die Migrant:innen vor ihrer Ausschaffung Strafen oder Bussgelder. Bei einem erneuten Einreiseversuch droht ihnen eine strafrechtliche Verfolgung und ein Einreiseverbot oder ein Ausschluss vom Asylverfahren für die nächsten fünf bis 20 Jahre.
«Die Regierung von Präsident Joe Biden hat versprochen, das Einwanderungssystem sicher, fair und human zu gestalten», so Palomares. «Aber stattdessen hat sie Massnahmen verlängert oder geschaffen, die Menschen davon abhalten, an der südlichen Grenze der USA Asyl zu beantragen. Wir wissen, dass für viele Menschen, die wir entlang der Migrationsrouten medizinisch versorgen, eine Rückkehr in ihre Heimat keine Option ist. Migrant:innen zurückzuweisen, zu inhaftieren und im Stich zu lassen beziehungsweise die Einwanderungsverfahren so schwierig zu gestalten, dass sie ihren Antrag auf Einreise in die USA von sich aus aufgeben, ist grausam und bringt Menschen in Gefahr.»
Eine App soll es richten – sie funktioniert aber nicht
Derzeit können die Tausenden von Menschen, die an der US-mexikanischen Grenze ausharren, das Asylverfahren einzig und allein über die Smartphone-App «CBP One» einleiten. Die Vorschrift, dass die Menschen eine App zur Vereinbarung von Einreiseterminen verwenden, stellt ein enormes Hindernis für Asylsuchende dar, die oft monatelang unter unmenschlichen Bedingungen leben und keinen Zugang zu Strom oder Internet haben, um diese Termine über ein Mobiltelefon zu vereinbaren.
Ausserdem hat Ärzte ohne Grenzen beobachtet, dass die App nicht auf allen Smartphones korrekt funktioniert und pro Tag nur sehr wenige Termine herausgegeben werden, die obendrein noch in tausenden Kilometern entfernten Städten wahrgenommen werden sollten. Manche Asylsuchenden mussten sich ein neues Telefon mit einer besseren Kamera kaufen, weil die App ein Foto vom Asylsuchenden verlangt. Andere hatten keinen WLAN-Zugang, besassen gar kein Telefon oder konnten das Formular nicht ausfüllen, weil sie weder Englisch noch Spanisch lesen konnten.
Zum Beispiel Magaly Margarita, 29, aus Venezuela
Ähnlich erging es auch Magaly Margarita, einer 29-jährigen Venezolanerin, die sich seit vier Monaten in Matamoros aufhält. Sie lebt mit ihren zwei Töchtern im Alter von drei und fünf Jahren in einem kleinen Zelt im Camp für Migrant:innen am Ufer des Rio Bravo. Die junge Frau hatte über «CBP One» einen Termin für den 28. Februar vereinbart, doch wurde von den Grenzbeamt:innen abgewiesen, weil sie ihre zwei Töchter nicht registriert hatte.
Seither konnte sie keinen neuen Termin vereinbaren, und seit einigen Tagen funktioniert ihr Handy nicht mehr.
Schon seit fünf Tagen konnte ich die App nicht mehr öffnen. Vorher habe ich mich täglich eingeloggt. Ich erhielt eine Fehlermeldung, wonach es nicht genügend Platz für uns drei gab, die Zeit abläuft, es keine Daten gibt. Das ist nervenaufreibend.
Sie ist in der Zwischenzeit auf den Strassen von Matamoros weiter Lutscher und Bonbons verkauft, um mit dem Erlös Essen für sich und ihre Töchter zu kaufen.
«Welche Zukunft erwartet Menschen wie Magaly Margarita, die an der amerikanisch-mexikanischen Grenze oder irgendwo anders auf der Migrationsroute in der Region festsitzen?» fragt Palomares. «Die Verschärfung der Massnahmen gegen die Migration und das Fehlen echter rechtlicher Optionen für die Einreise in die USA hat ernsthafte Auswirkungen auf die Gesundheit der Migrant:innen. Ein menschenwürdiges und sicheres Asylsystem ist schon lange mehr als überfällig.»
© Yael Martínez/Magnum Photos