Fragen & Antworten zum Thema Schwangerschaftsabbruch

Une main tenant un comprimé permettant l'avortement. Haiti

Mutter-Kind-Gesundheit9 Min.

Unsachgemäss durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche zählen zu den Hauptursachen für Müttersterblichkeit weltweit. Die folgenden Fragen und Antworten beleuchten die medizinischen Auswirkungen von Schwangerschaftsabbrüchen im Zusammenhang mit ungewollten Schwangerschaften.

Was ist ein unsachgemässer Schwangerschaftsabbruch?

Unsachgemässe Schwangerschaftsabbrüche sind laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schwangerschaftsabbrüche, die von Personen vorgenommen werden, die nicht über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, oder in einem Umfeld durchgeführt werden, das nicht den medizinischen Mindeststandards entspricht. Frauen greifen oft auf unsachgemässe Abtreibungsmethoden zurück, wenn sie keinen Zugang zu sicheren, medizinisch anerkannten Methoden zur Beendigung einer unerwünschten Schwangerschaft haben. Jährlich finden etwa 25 Millionen unsachgemässe Schwangerschaftsabbrüche statt. Das sind fast 50 unsachgemässe Abtreibungen pro Minute. 

Warum sind unsachgemässe Schwangerschaftsabbrüche für die öffentliche Gesundheit ein wichtiges Thema?

Unsachgemässe Schwangerschaftsabbrüche sind eine der Hauptursachen für Müttersterblichkeit weltweit. Sie können zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führen und sogar tödlich enden. Jedes Jahr sterben mindestens 22’800 Frauen und Mädchen daran und weitere sieben Millionen Frauen und Mädchen werden wegen Komplikationen wie Blutungen, Infektionen und Verletzungen der inneren Organe ins Spital eingeliefert. Die meisten Todesfälle und Komplikationen wären vermeidbar.

Warum sind unsachgemässe Schwangerschaftsabbrüche für Ärzte ohne Grenzen ein wichtiges Thema?

Als medizinisch-humanitäre Hilfsorganisation sehen wir bei Ärzte ohne Grenzen täglich die verheerenden Folgen von unsachgemässen Schwangerschaftsabbrüchen und das Leid, das sie verursachen. 

97 Prozent aller unsachgemässen Schwangerschaftsabbrüche finden in Afrika, Asien, Lateinamerika und im Nahen Osten statt. In all diesen Regionen arbeitet Ärzte ohne Grenzen. Frauen und Mädchen in armen und von Krisen betroffenen Regionen haben häufig keinen Zugang zu entsprechenden Gesundheitsdienstleistern und wenden unsichere Methoden zum Abbruch einer Schwangerschaft an, die ihr Leben gefährden können. Die Folgen sehen wir in unseren Geburtshilfe-Abteilungen, wohin viele dieser Frauen und Mädchen danach für eine Notfallbehandlung eingeliefert werden. Unsachgemässe Schwangerschaftsabbrüche machen teilweise bis zu 30 Prozent der gesamten Müttersterblichkeit in unseren Projekten aus.

Unsere Erfahrungen zeigen, zu welchen drastischen Massnahmen Frauen greifen können, wenn sie keinen Zugang zu sicheren Gesundheitsdienstleitern haben. Einige greifen zu unsicheren Abtreibungsmitteln und nehmen unwirksame oder gar potenziell schädliche Medikamente ein, auch haben wir  schon Frauen behandelt, die Giftstoffe aus Phosphor in Streichholzköpfen, Chlor oder Batteriesäure tranken. Andere führen Tintenpatronen aus Kugelschreibern oder metallische Angelhaken in die Gebärmutter ein oder fügen dem Unterleib stumpfe Gewalt zu. 

Wegen solchen unsicheren Abtreibungsmethoden behandelten unsere Teams im Jahr 2018 weltweit über 24'000 Frauen. Die lebensbedrohlichen Konsequenzen unsicherer Schwangerschaftsabbrüche umfassen starke Blutungen, Sepsen, Uterusperforationen und Schädigungen anderer innerer Organe sowie Vergiftungen. Das kann Bluttransfusionen oder grössere Eingriffe zur Entfernung der Gebärmutter oder im Bereich wiederherstellende Chirurgie  erforderlich machen. Zu den Langzeitfolgen gehören chronische Schmerzen, Anämie, Unfruchtbarkeit und die damit verbundenen sozialen und ökonomischen Konsequenzen für die Frauen, ihre Familien und ihr Umfeld.

Mit rechtzeitigem Zugang zu medizinischen Gesundheitsdienstleitern oder Empfängnisverhütungsmittel könnte dies vermieden werden.

Wie reagiert Ärzte ohne Grenzen auf das Problem von unsachgemässen Abtreibungen?

Als medizinisch-humanitäre Organisation ist es unser Ziel, die Müttersterblichkeit zu senken, Todesfälle zu verhindern und Leiden zu lindern. Daher setzt sich Ärzte ohne Grenzen dafür ein, alle Hauptursachen für Tod und Leiden von Müttern zu bekämpfen – einschliesslich unsachgemässe Schwangerschaftsabbrüche. 

Dies beinhaltet die Behandlung von Komplikationen, die nach einem unsachgemässen Schwangerschaftsabbruch auftreten können, die Einleitung eines Abbruchs einer Schwangerschaft, um im Falle von lebensbedrohlichen Komplikationen das Leben einer Frau zu retten, sowie die postnatale Betreuung.

Ärzte ohne Grenzen betrachtet den Zugang zu einer sicheren Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen als medizinische Notwendigkeit. 

Unser Engagement beruht auf unseren Erfahrungen und Einsätzen, bei denen wir täglich das durch ungewollte Schwangerschaften und unsachgemässe Abtreibungen entstandene Leid erleben.

Welche Methoden zur Empfängnisverhütung bietet Ärzte ohne Grenzen an? 

Verhütungsmittel werden eingesetzt, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Beispiele sind Implantate, Injektionen (z.B. Depo Provera), Intrauterinpessaren (IUDs), orale Verhütungspillen, Kondome und Notfallverhütung. Studien zeigen, dass der Zugang zu Verhütungsmitteln sowohl die Mütter- als auch die Säuglingssterblichkeit signifikant reduziert. Wenn Frauen vermehrt Zugang zu sicheren und wirksamen Verhütungsmethoden haben, kommt es zu weniger ungewollten Schwangerschaften und damit zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen.

Ärzte ohne Grenzen bietet Verhütungsmittel im Rahmen unserer allgemeinen medizinischen Aktivitäten für die Gesundheit von Frauen und Mädchen an. Im Jahr 2018 hat Ärzte ohne Grenzen 338’543 Konsultationen zur Empfängnisverhütung durchgeführt. Wir sind bestrebt, eine breite Palette von Verhütungsmethoden anzubieten, um den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen und Mädchen gerecht zu werden.

Was sind sichere Schwangerschaftsabbrüche?

Ein Schwangerschaftsabbruch gilt als sicher, wenn er von einer qualifizierten Person nach einer von der WHO empfohlenen Methode vorgenommen wird, die der Schwangerschaftsdauer angemessen ist.

Es gibt medikamentöse und chirurgische Methoden für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch. Bei einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch werden Medikamente eingenommen, die eine Kontraktion der Gebärmutter bewirken und eine Abbruchblutung bewirken, wobei die Gebärmutterschleimhaut und Embryo ausgestossen werden. Diese Methode ermöglicht mehr Privatsphäre und eine bessere Kontrolle des Prozesses durch die Frau. Ein solcher Schwangerschaftsabbruch ist zu über 95 % wirksam. Das Risiko schwerer Komplikationen bei einem sicheren Abbruch beträgt weniger als 1 %. 

Die manuelle Absaugung ist ein kurzer ambulanter Eingriff, bei dem ein kleiner Plastikschlauch in die Gebärmutter eingeführt wird. Dann wird mit einem Röhrchen das Fruchtwasser, die Plazenta, der Fötus, sowie die Schleimhaut der Gebärmutter abgesaugt. Diese Methode ist im ersten Trimester zu über 99 % wirksam. Das Risiko einer schweren Komplikation liegt unter 1 %.

Wie steht Ärzte ohne Grenzen zu Schwangerschaftsabbrüchen?

Ärzte ohne Grenzen ist weder «für» noch «gegen» Schwangerschaftsabbrüche. Wir versuchen nicht, die persönlichen Überzeugungen oder kulturelle Bräuche und Sichtweisen von Menschen zu ändern. Ärzte ohne Grenzen bietet umfassende Gesundheitsfürsorge, und eine sichere Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen ist Teil der Gesundheitsfürsorge. Unsachgemässe Abbrüche verursachen grosses Leid und viele Todesfälle, und das wollen wir verhindern, indem wir Empfängnisverhütung und sichere Schwangerschaftsabbrüche für Patientinnen, die das wünschen, anbieten.

Welche Voraussetzungen müssen für einen Schwangerschaftsabbruch erfüllt sein?

Vor der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs führt das medizinische Personal eine klinische Beurteilung durch, um die Schwangerschaftsdauer zu berechnen. Ärzte ohne Grenzen muss auch sicherstellen, dass die Patientinnen angemessen über die Risiken des Schwangerschaftsabbruchs informiert werden und dass sie aus freiem Willen entscheiden. Die Entscheidung, ob ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird oder nicht, liegt allein bei der Patientin.

Unterstützt Ärzte ohne Grenzen Schwangerschaftsabbrüche auch in Fällen, in denen die Gesundheit der Mutter nicht gefährdet ist?

Wir mussten in der Vergangenheit feststellen, dass Frauen, die einen sicheren Schwangerschaftsabbruch wünschten und in unseren Hilfsprojekten abgelehnt wurden, oft einige Tage später mit Komplikationen aufgrund eines unsachgemässen Schwangerschaftsabbruchs wieder zu uns kamen. Manchmal sind diese Frauen dann in unseren Spitälern gestorben. Um zu verhindern, dass Frauen, die sich in der Not an uns wenden, ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren, helfen wir ihnen, ungewollte Schwangerschaften medizinisch und sicher zu beenden. Die Entscheidung, ob ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen wird oder nicht, liegt allein bei der Patientin.

Bis zu welchem Zeitpunkt ist ein Abbruch bei Ärzte ohne Grenzen möglich?

Die Richtlinien von Ärzte ohne Grenzen beinhalten einen sicheren Schwangerschaftsabbruch im ersten und zweiten Trimester – bis zur 22. Schwangerschaftswoche. Obschon Schwangerschaftsabbrüche im zweiten Trimester nur 10-15 % aller Schwangerschaftsabbrüche weltweit ausmachen, sind sie für die Mehrheit der schwerwiegenden Komplikationen und den Tod durch unsachgemässe Abbrüche verantwortlich. Bei Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch im zweiten Trimester anstreben, handelt es sich häufig um junge Mädchen, die Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt wurden und ihre Schwangerschaft erst spät entdeckten. Es ist deshalb wichtig, dass Frauen und Mädchen im zweiten Trimester Zugang zu medizinischer Versorgung und damit auch die Möglichkeit für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch haben. 

Bietet Ärzte ohne Grenzen in allen Projekten sichere Schwangerschaftsabbrüche an?

Im Jahr 2018 hat Ärzte ohne Grenzen in über 25 Ländern 11’015 sichere Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Im selben Jahr haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen 309’454 Geburten begleitet und 856’837 vorgeburtliche Untersuchungen, sowie 191’792 nachgeburtliche Kontrollen durchgeführt. Zudem hat Ärzte ohne Grenzen 24'935 Opfer sexueller Gewalt medizinisch versorgt. Die Zahl der sicheren Schwangerschaftsabbrüche macht nur 1 % der gesamten reproduktiven medizinischen Dienstleistungen aus, die Ärzte ohne Grenzen weltweit anbietet.

Was tut Ärzte ohne Grenzen in Ländern, in denen Abtreibung illegal ist?

Die rechtlichen Rahmenbedingungen rund um den Schwangerschaftsabbruch sind komplex und nuanciert. Ärzte ohne Grenzen ist bemüht, sich in diesen komplizierten rechtlichen Rahmenbedingungen zurechtzufinden und gleichzeitig den Patientinnen und ihren medizinischen Bedürfnissen Priorität einzuräumen.

In den meisten Ländern, in denen Ärzte ohne Grenzen tätig ist, sind Abtreibungen erlaubt, um das Leben oder die Gesundheit der Frau zu retten. 

Was sind andere Hindernisse für den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch?

Abgesehen von den gesetzlichen Barrieren erleben viele Frauen Scham, soziale Stigmatisierung und eine negative Einstellung gegenüber den Umständen, die zu ihrer ungewollten Schwangerschaft oder zum Schwangerschaftsabbruch selbst geführt haben - was wiederum Hindernisse für den Zugang zu medizinischer Versorgung schaffen kann. Zu den häufigen Hindernissen gehören verbale Beschimpfungen oder soziale Ablehnung durch Familie und das soziale Umfeld, falsche Darstellungen oder fehlende Informationen über Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch sowie Ablehnung, Stigmatisierung und Unwissenheit innerhalb des Gesundheitssystems.

Wie unterstützt Ärzte ohne Grenzen Frauen abgesehen von einer medizinischen Versorgung?

Die Aufgabe von Ärzte ohne Grenzen besteht darin, dort Hilfe zu leisten, wo sie am dringendsten benötigt wird, unabhängig von Alter, Religion, Herkunft, Geschlecht oder anderen Identitätsmerkmalen. Das kann im Umkehrschluss nicht heissen, dass wir spezifische Bedürfnisse ausser Acht lassen. In Ländern, die von Krieg und Konflikten betroffen sind, sind Frauen besonders gefährdet; hier ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich. In Nigeria zum Beispiel haben wir dafür gesorgt, dass in einigen, mehrheitlich von Frauen und Kindern bewohnten Vertriebenenlagern diese das Lager nicht mehr verlassen müssen, um Feuerholz zu sammeln. Ausserhalb des Lagers waren sie dem Risiko ausgesetzt, überfallen und vergewaltigt zu werden. Wir stellten Briketts aus Zuckerrohr und anderen verfügbaren Materialen her und stellten sie den Frauen zur Verfügung. Das ist nur ein Beispiel für die Notwendigkeit, die Bedürfnisse von Frauen umfassender zu berücksichtigen.