Myanmar: Hoffnung und Solidarität mitten in der Krise

La clinique MSF à Thaketa vue de l'extérieur

Myanmar5 Min.

Der süsse Duft der Jasminblüten, die am Rückspiegel meines Taxis baumelten, war an diesem Tag das einzig Vertraute in diesem Land, das sich über Nacht dramatisch verändert hatte. Wie Millionen andere in Myanmar war ich an diesem Morgen des 1. Februar zu der Nachricht erwacht, dass das Militär den Notstand ausgerufen hatte und die Führung des Landes übernahm.

 

Während wir durch die gespenstisch ruhigen Strassen von Rangun fuhren, schien die Stadt wie erstarrt zu sein. Was der Taxifahrer mich zum Abschied fragte, würde für mich und viele andere zu einer der grossen Fragen der kommenden Tage werden: «Wird uns die internationale Gemeinschaft helfen?»

Mit der brutalen Niederschlagung der Proteste, bei denen Leben ausgelöscht wurden, und mit den gezielten Angriffen auf Gesundheitsmitarbeitende und andere wurde die Beantwortung dieser Frage immer dringender. 

Nach der Überwindung des ersten Schocks bereiteten sich Hunderttausende von Menschen in ganz Myanmar auf einen kompromisslosen Kampf vor, der Wochen oder Monate dauern dürfte. Viele meiner normalerweise gelassenen burmesischen Kolleginnen und Kollegen waren entsetzt ab den Ereignissen und wild entschlossen, sich für ihre Gemeinschaft einzusetzen. 

Während zahlreiche Menschen auf einen Schlag ihre Zukunft verloren, machte ich mir Sorgen um die Sicherheit unseres Personals und befürchtete Unterbrüche bei der Versorgung unserer Patientinnen und Patienten.

Neutralität nicht immer gefragt

Als humanitäre Helferin bin ich seit Jahren darauf sensibilisiert, das gefährliche Feld der Politik aus einer unabhängigen Perspektive zu betrachten und mich auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu konzentrieren. Wir richten unsere Aktivitäten nach diesen Bedürfnissen aus und verhandeln dazu mit jenen, die uns Zugang zu der Bevölkerung verschaffen können, der wir helfen wollen. 

Die Menschen in Myanmar verlangen heute viel mehr, als wir ihnen bieten könnten: Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit. Ich habe viele Nachrichten von Kolleginnen und Kollegen erhalten. Einige schrieben, dass sie sich nicht sicher und schutzlos fühlten. 

Die meisten aber schrieben, dass sie mehr als materielle Unterstützung wollten: Sie wollten Solidarität spüren, das Gefühl, dass sie nicht allein waren. Sie erwarteten von uns, dass wir Partei ergreifen und uns klar gegen den Militärputsch aussprechen würden.  

Als humanitäre Helferin, die stets Neutralität proklamiert, wurden mir die Grenzen unserer Arbeit bewusst. Etwas beschämt sprach ich meine Unterstützung aus und beschäftigte mich wieder mit meinen Plänen, um medizinische Nothilfe zu leisten. 

Hilfeleistungen: Unterstützung des gehassten Systems?

Unterdessen regte sich der zivile Ungehorsam. Was ich inmitten all der Versorgungsausfälle als unsere Pflicht ansah – nämlich medizinische Bedürfnisse abzudecken – wurde von anderen als Unterstützung eines öffentlichen Systems betrachtet, das in ihren Augen jegliche Legitimität verloren hatte. Die Aufrechterhaltung von staatlichen Dienstleistungen fühlte sich für sie wie ein Betrug an, da sie geschworen hatten, jegliche Kooperation zu verweigern.

Dennoch konnten wir unsere Patientinnen und Patienten nicht einfach im Stich lassen und ihren Zugang zu Gesundheitsversorgung aufs Spiel setzen. Um von den Menschen weiterhin akzeptiert zu werden – auch von unserem Personal – passten wir unsere Arbeitsweise an. 
  
Wir sind uns gewohnt, unter schwierigsten Bedingungen lebenswichtige Versorgung zu leisten. Aber einige betrachteten unser Anbieten von medizinischer Hilfe inmitten dieses Chaos als Gleichgültigkeit ihrem Schicksal gegenüber. 

Das soll nicht heissen, dass die Menschen Hilfsangebote ausschlugen oder keine medizinische Hilfe benötigen. Die Bevölkerung hat sich rasch organisiert, um nach den Zusammenstössen die Verletzten zu versorgen. In kurzer Zeit entstand ein kommunales Netzwerk für Gesundheitsversorgung. Ihr Engagement, ihre Solidarität und Fähigkeiten ermöglichten die Abdeckung der dringendsten medizinischen Bedürfnisse – was humanitären Organisationen nicht gelang. 

Fortschritte zunichtegemacht

Noch während ich mich bei meiner Organisation dafür einsetze, diese kommunalen Initiativen zu unterstützen, mache ich mir schon Sorgen über die weitreichenden Auswirkungen, die eine anhaltende Instabilität in Myanmar haben könnte. 

Die Verwaltung, insbesondere auf Provinzebene, hat sich allmählich mit der Übernahme durch das Militär abgefunden. Immer häufiger wird sie zu einem Austragungsort der Kämpfe zwischen Militär und Zivilgesellschaft zur Erlangung der Kontrolle über das Land. 
Die öffentliche Gesundheit leidet bereits stark darunter. Die Gesundheitsversorgung ist beeinträchtigt, gerade für Patientinnen und Patienten auf Langzeitbehandlung, wie z.B. Menschen mit HIV, könnte dies gravierende Folgen haben und jahrelange Bemühungen zur Bekämpfung von HIV in Myanmar wieder zunichtemachen. 

Für Organisationen wie meine, die Myanmars Gesundheitsbehörde bei der Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten von HIV, Hepatitis C und TB unterstützt haben, bedeutet der gegenwärtige Stillstand monatelange Ungewissheit. Innerhalb der Gesundheitsbehörde haben wir keinen Ansprechpartner mehr, mit dem wir uns gemeinsam um gesundheitliche Belange kümmern können. Wir sind auch besorgt, wie sich die Situation auf unseren Zugang zu hilfsbedürftigen Bevölkerungsgruppen auswirkt. 

Nachdem wir jahrelang Tausende HIV-positive Menschen behandelt hatten, hatten wir begonnen, Patientinnen und Patienten an das Nationale Aids-Programm zu überweisen – was zeigte, dass das Land immer mehr in der Lage ist, diese Leistungen selbst anzubieten. Diese Überweisungen sind nun auf Eis gelegt. Solange das nationale Programm nicht funktionsfähig ist, stellen wir deshalb weiterhin Medikamente zur Verfügung und nehmen neue Patientinnen und Patienten auf. Doch wir wissen nicht, wie lange wir diese Arbeit ohne Partner*innen, Arzneimittelnachschub und Personal in öffentlichen Einrichtungen aufrechterhalten können.

Jahrelange Auswirkungen möglich

Schon die wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 hatten Myanmars Fähigkeit, die Gesundheitsversorgung auszubauen, infrage gestellt. Mit der Wirtschaftskrise, die nun auf den Militärputsch folgen wird, wird die Armut mit grosser Wahrscheinlichkeit stark zunehmen – und dadurch auch der Bedarf an Hilfe von internationaler Seite. Doch solange ausländische Geber*innen ihre Zahlungen aussetzen, dürften die Auswirkungen noch über Jahre zu spüren sein. 

Die Frage des Taxifahrers konnte ich also nur unzureichend beantworten. Doch das Mindeste, was wir tun können, ist, auch jetzt an der Seite unserer Kolleginnen und Kollegen und unserer Patient*innen zu bleiben und uns für die Gesundheit der Schwächsten einzusetzen. 

 


Francesca Quinto ist Landesverantwortliche von Ärzte ohne Grenzen Schweiz in Myanmar.