Süd-Sudan: Der Zugang zur Gesundheitsversorgung kann sehr schwer sein

MSF Soudan du Sud, Août 2022

Südsudan4 Min.

Im Februar haben die Gewaltausbrüche in der südsudanesischen Sonderverwaltungszone Abyei tausende Menschen zur Flucht gezwungen. Maarten Bullens war im August vor Ort, um den Teams bei der Versorgung der Vertriebenen zu helfen, die in Notlagern oder bei der einheimischen Bevölkerung in der Stadt Abyei untergekommen waren.

Es ist 6 Uhr morgens. Im strömenden Regen machen wir uns auf den Weg. Die Fahrt wird alles andere als ein Vergnügen: Im Südsudan sind die Strassen nicht geteert und in der Regenzeit verwandelt sich der Belag in Schlamm. Unsere Fahrzeuge bleiben stecken. Alle 150 Meter müssen wir aussteigen und die Autos anschieben, um wieder vorwärts zu kommen. Stundenlang geht das so, die Reise scheint kein Ende zu nehmen. Fünf Stunden später kommen wir endlich am Rollfeld an, wo ein kleines Flugzeug auf uns wartet.

Der Flug Richtung Agok dauert eine halbe Stunde. Nachdem wir gelandet sind, fahren wir mit Makuei Duop Deng, der den Einsatzleiter unterstützt, zu dem Spital, das wir im Februar aufgeben mussten, als die Kämpfe in der Stadt ausbrachen und die Bevölkerung flüchten musste. Wir haben gehört, dass einige in die Stadt zurückgekehrt sind, und wollen uns selbst ein Bild von der Lage machen.

Um 11.30 Uhr treffen wir verschiedene Gemeinschaftsvertreter und Familien, die in der Geisterstadt leben. Eine Familie, die mitbekommen hat, dass an dem Tag Personal von Ärzte ohne Grenzen in der Stadt sein würde, bittet uns um medizinische Hilfe.

So lerne ich Hoth kennen, einen Jungen, den ich auf fünf oder sechs Jahre schätze. In Wirklichkeit ist er schon sieben, doch weil er mangelernährt ist, wirkt er kleiner. Die Familie kommt aber nicht wegen Mangelernährung zu uns: Hoth hat Brandwunden am linken Arm und an der Brust, die er sich vor einem Monat zugezogen hat. Weil es weit und breit kein Spital gibt (das nächste ist das von uns unterstützte Spital in Abyei), konnte man ihm nur mit traditionellen Hausmitteln helfen, die leider nicht gewirkt haben. Sein Arm hat sich mittlerweile entzündet und er kann seine Hand nicht mehr bewegen. Im Laufe des Gesprächs erfahre ich, dass er mit zwei Jahren an Malaria erkrankt ist und die Erkrankung irreversible Hirnschäden hinterlassen hat. Er erkennt die Mitglieder seiner Familie nicht wieder und leidet unter regelmässigen Krampfanfällen. Bei einem solchen Anfall ist er ins Feuer gefallen, über dem gerade Essen gekocht wurde. Die Lage ist schwierig, denn wir sind nicht nach Agok gekommen, um Patient:innen zu evakuieren oder zu transportieren, sondern lediglich, um die Gesundheitslage vor Ort einzuschätzen.

Doch die Not dieser Familie berührt mich zutiefst, und als Pfleger kann ich einen Patienten nicht unbehandelt in diesem Zustand lassen.

Maarten Bullens, Pflegefachkraft

Gleichzeitig ist es nicht selbstverständlich, ein Kind und Familienangehörige in eine dutzende Kilometer entfernte medizinische Einrichtung zu bringen, denn dies kann einschneidende Folgen für die Familie und die Gemeinschaft haben. Man muss das Pro und Kontra sorgfältig abwägen. Nur weil der Hintransport klappt, heisst das nicht, dass wir auch die Rückfahrt sicherstellen können. In einer Region, in der die Sicherheitslage extrem fragil ist, Überschwemmungen gang und gäbe und Kommunikationsmittel nur beschränkt verfügbar sind, ist es nicht einfach, seine Familie zu verlassen, auch wenn es offensichtliche gesundheitliche Gründe dafür gibt.

Nachdem wir uns mit der Familie und den Gemeinschafsvertretern beraten haben, entscheiden wir, Hoth und seine Mutter mitzunehmen. Der Vater bleibt bei den anderen Kindern. In der Gemeinschaft gibt es nur wenige Mobiltelefone. Eins davon bekommt die Mutter, damit sie in Kontakt bleiben kann. Geschichten wie diese zeigen, welch grosse Opfer Familien bringen müssen, um medizinische Hilfe zu erhalten. Um 14.00 Uhr brechen wir wieder auf.

Die Rückfahrt ist noch schlimmer als die Hinfahrt von heute früh. Hoth und seine Mutter fahren das erste Mal Auto, sie haben Angst und leiden unter Reiseübelkeit. Wir müssen noch öfter anhalten, einerseits wegen des Schlamms, andererseits, um den beiden einige Verschnaufpausen zu gönnen. Die Fahrt scheint uns schier unendlich. Um 20.00 Uhr kommen wir endlich im Ameth-Bek-Spital in Abyei an. Hoth wird sogleich versorgt.

Tags darauf besuche ich den kleinen Jungen: Er trägt einen Verband am Arm, der verhindern soll, dass sich die am Vortag gesäuberte Wunde wieder entzündet. Als er mich sieht, erscheint ein Lächeln auf seinem Gesicht – und auch auf dem seiner Mutter. In Momenten wie diesen wird mir wieder klar: Bei all den dramatischen Situationen, die wir tagtäglich erleben, lohnt sich unsere Arbeit, wenn wir auf den Gesichtern unserer Patient:innen und ihrer Angehörigen anstatt Besorgnis wieder Erleichterung und vielleicht sogar ein Lächeln sehen können.