Südsudan: Hunderttausende fliehen vor Überschwemmungen

 Bahr ez Zeraf Old Fangak. Juni 2022, Südsudan.

Südsudan3 Min.

Während viele ostafrikanische Länder mit den schlimmsten Dürren der letzten 40 Jahre zu kämpfen haben, ist die Lage im Südsudan eine ganz andere: Das Land wurde bereits im vierten aufeinanderfolgenden Jahr von starken Überschwemmungen heimgesucht. Mehr als eine Million Menschen waren betroffen und etwa zwei Drittel des Landes stehen unter Wasser.

Ein kleines behelfsmässiges Floss aus Plastikplanen und trockenem Gras treibt den Nil hinab. Darauf eine ganze Familie, acht Personen. Das jüngste Kind ist noch ein Baby. Es bleibt zu hoffen, dass das Floss sie zu einem sichereren Platz bringt als den, den sie verlassen mussten. Alles, was sie noch haben, sind einige Kleidungsstücke und ein paar Kochgefässe. Diese sind mit Seerosen gefüllt, die sie aus dem Wasser fischen. Ihr Dorf war fast vollständig von den Wassermassen überschwemmt worden. Den Bewohner:innen blieb nichts anderes übrig, als so schnell wie möglich auf behelfsmässigen Flössen oder in Kanus aus Baumstämmen zu fliehen – bevor ein Vorwärtskommen für Kinder oder ältere Menschen nicht mehr möglich war.

Saisonale Überschwemmungen des Nils und seiner Nebenflüsse sind nichts Ungewöhnliches. Die der letzten Jahre sind jedoch beispiellos. Die Menschen vor Ort berichten unter anderem, dass die Regenzeit früher beginnt und länger dauert. Auch die Intensität der Niederschläge hat deutlich zugenommen. Seit 2019 steht das Wasser so hoch, dass der Boden es in der Trockenzeit nicht mehr vollständig aufnehmen kann – was bei den nächsten Regenfällen die Entstehung von Überschwemmungen beschleunigt.


Grosse Schäden trotz Barrikaden

Die Menschen vor Ort bereiten sich auf die Regenzeit vor, indem sie Dämme in Form von Mauern aus Erde errichten, die das Wasser zurückhalten sollen. Doch dieses Jahr reichte dies nicht aus. Im vergangenen Oktober brachen die Deiche aufgrund der starken Regenfälle und setzten ganze Dörfer im Landkreis Ulang unter Wasser. Schulen, Häuser und Gesundheitseinrichtungen wurden überschwemmt.

«Das Wasser kam am Morgen. Alle eilten herbei, um Schlamm auf den Damm zu schütten. Wir arbeiteten den ganzen Tag und sogar die ganze Nacht, aber am nächsten Morgen hatten wir keine Kontrolle mehr über das Geschehen. Wir sind einfach um unser Leben gerannt», berichtet Nyanyieth Bang, die in Doma im Landkreis Ulang lebte. «Alle mussten fliehen. Das Wasser überflutete alle Dörfer und das Vieh ertrank. Unser Haus ist eingestürzt. Es ist eine Katastrophe.»


Eingeschränkte Gesundheitsversorgung und explosionsartige Zunahme von Malariaerkrankungen

«Die Überschwemmungen erschweren unsere Arbeit und wir haben Mühe, die Menschen zu erreichen. Viele Strassen des Landes sind durch die Überschwemmungen unpassierbar geworden. An einigen Einsatzorten von Ärzte ohne Grenzen konnten unsere Flugzeuge nicht landen, da die Landebahnen überflutet waren», sagt Aline Serin, MSF-Einsatzleiterin im Südsudan.

Im letzten Jahr haben wir: 

  • 81 104 Malariapatient:innen behandelt
  • mehr als 4200 mangelernährte Kinder in unseren medizinischen Einrichtungen medizinisch versorgt

Kritische humanitäre Situation

Die Auswirkungen der Überschwemmungen sind verheerend: Hunderttausende Menschen mussten fliehen, Millionen von Tieren verendeten und Tausende Hektar Ackerland wurden zerstört, wodurch die Ernährungsunsicherheit im Land weiter zunimmt. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt, dass mehr als 75 Prozent der Bevölkerung im Südsudan auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind. Unsere Teams beobachten einen besorgniserregenden Anstieg der Fälle von mittelschwerer bis schwerer akuter Mangelernährung.

Da sie nicht wissen, wohin sie gehen sollen, haben sich Zehntausende Menschen schliesslich in Lagern für Binnenvertriebene niedergelassen. Der Mangel an Unterkünften, sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen in diesen Lagern führt zu Infektions- und über das Wasser übertragene Krankheiten und setzt die vertriebenen Familien weiteren Gesundheitsrisiken aus. Das Ergebnis ist eine äusserst prekäre humanitäre Lage.

Trotz der Dringlichkeit und des steigenden humanitären Bedarfs im Südsudan wurde die internationale Hilfe zurückgefahren. Obschon die Menschen kaum noch über Ressourcen verfügen, erhalten sie immer weniger Unterstützung. Um diese Krise und den enormen Bedarf an Nahrungsmitteln, Unterkünften und medizinischer Versorgung zu bewältigen, müssen Hilfswerke, UN-Organisationen und Regierungen ihre Anstrengungen intensivieren.