Epidemien und Gewalt in der DR Kongo: Hunderttausende Menschen brauchen dringend mehr Hilfe

Nord Kivu, DR Kongo.

Demokratische Republik Kongo4 Min.

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRC) spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab. Rund eine Million Menschen sind in den vergangenen zwölf Monaten vor den Kämpfen im Zusammenhang mit dem Wiedererstarken der bewaffneten Gruppe M23 aus ihrer Heimat in Nord-Kivu geflohen. Diese Krise verschärft die ohnehin kritische humanitäre Lage in der Region. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) sind vor Ort. Sie warnen vor den enormen Gesundheitsrisiken, denen die Vertriebenen und durch die Kämpfe isolierte Bevölkerungsgruppen ausgesetzt sind. Die bestehende humanitäre Hilfe reicht bei weitem nicht aus. Ärzte ohne Grenzen ruft die internationale Gemeinschaft und die Behörden dringend auf, zusätzliche Hilfe für die Menschen in Not bereitzustellen.

 «Die Situation in Nord-Kivu ist alarmierend», sagt Raphaël Piret, Landeskoordinator in der DR Kongo. «Die Menschen in den Aussenbezirken der Provinzhauptstadt Goma leben unter entsetzlichen Bedingungen und die Hilfe wird den Bedürfnissen nicht gerecht, obwohl viele humanitäre Organisationen im Osten des Landes arbeiten.»

Die Situation spitzt sich zu

Allein in den vergangenen Monaten sind Hunderttausende Menschen aus ihren Häusern und Dörfern geflohen. Sie haben bei Gastfamilien und in informellen Camps Zuflucht gefunden. Rund um Goma erstrecken sich behelfsmässige Unterkünfte aus Plastikplanen oder Moskitonetzen, während andere Menschen in Kirchen und Schulen untergekommen sind.

Unsere Nothilfe in Nord-Kivu. DR Kongo.

«Wir sind im Juni vergangenen Jahres hier angekommen und haben uns mit etwa 150 anderen Familien in einer stillgelegten Kirche in Kanyaruchinya niedergelassen», sagt die 65-jährige Celestine. «Seit acht Monaten besteht unser Alltag nur aus Schwierigkeiten: Wo schlafen? Was anziehen? Was essen? Seit Anfang des Jahres hat nur eine einzige Lebensmittelverteilung stattgefunden, und da mein Name nicht auf der Liste stand, habe ich nichts erhalten. Wir versuchen davon zu leben, was wir auf den umliegenden Feldern finden.»

Am Rande von Goma wurden im letzten Jahr rund 3000 Unterkünfte für circa 15 000 Personen errichtet. Eine Zahl, die bei weitem nicht ausreicht.

Ganze Familien sind seit Monaten Unwettern, Epidemien und Gewalt ausgesetzt. Davon zeugt auch die beunruhigende Zahl von Betroffenen sexualisierter Gewalt, die wir täglich in unseren Einrichtungen behandeln.

Abdou Musengetsi, Projektkoordinator in Goma

«Das ist ein Tropfen auf den heissen Stein, wenn wir die Hundertausenden Vertriebenen sehen, die in Goma ankommen», erklärt Abdou Musengetsi, Projektkoordinator in Goma.

Wir arbeiten seit Mai 2022 in den informellen Vertriebenencamps rund um die Stadt, bieten kostenlose medizinische Versorgung an, liefern Trinkwasser und bauen Latrinen und Duschen. Aber der Bedarf ist weiterhin gross. In Bulengo, einer dieser Siedlungen zehn Kilometer von Goma entfernt, gibt es eine Latrine für fast 500 Menschen – zehnmal weniger als der humanitäre Standard fordern würde. In der benachbarten Siedlung Lushagala müssen die Menschen mit rund einem Liter Trinkwasser pro Tag auskommen. Empfohlen werden 15 Liter.

Unzureichende und überfüllte Unterkünfte sowie ein Mangel an sauberem Wasser und Latrinen fördern die Ausbreitung von Krankheiten. In den vergangenen Monaten brachen im Nyiragongo-Gebiet, nördlich von Goma, Masern und Cholera aus. Auch in Bulengo und Lushagala häuften sich die Verdachtsfälle der beiden Krankheiten in den vergangenen Wochen. «Im März haben wir allein in Bulengo fast 2500 Menschen mit Cholera-Symptomen und mehr als 130 Kinder mit Masern behandelt», so Musengetsi.

«Die Situation ist dramatisch», sagt auch Piret. «Unsere Teams arbeiten rund um die Uhr, um die Cholera- und Masernfälle in den Griff zu bekommen, aber sie sind völlig überlastet. Die humanitäre Katastrophe verlangt nach mehr Hilfe für die Vertriebenen, in Goma und auch ausserhalb der Stadt

Nach Angaben der UNO sind heute schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen in der gesamten Provinz Nord-Kivu auf der Flucht. Da die Kämpfe anhalten, könnten noch mehr Menschen vertrieben werden. «Alle an der humanitären Hilfe beteiligten Akteure müssen reaktionsfähiger und flexibler sein und schnell auf die Bedürfnisse der Menschen sowie auf veränderte Fluchtbewegungen reagieren», sagt Piret.

Zugang zu medizinischer Versorgung massiv eingeschränkt

Auch in den Gebieten Masisi, Rutshuru und Lubero nördlich von Goma beobachten wir die Folgen der Krise. Mit der Verschiebung der Frontlinie wurde ein Grossteil der Hauptstrassen unbefahrbar. Nun ist aber gerade diese Landwirtschaftszone als «Kornkammer» der Region bekannt und der Handel für die gesamte Wirtschaft von Nord-Kivu zentral. Abgeschnitten vom Rest der Provinz kann die Bevölkerung weder ihre Ernte verkaufen noch lebensnotwendige Güter einkaufen, mit Ausnahme einiger Produkte, deren Preis sich verdoppelt hat.

In vielen medizinischen Einrichtungen sind aufgrund der Lieferprobleme die Medikamente knapp. In Rutshuru haben gewisse Gesundheitszentren seit Monaten keine Medikamente mehr erhalten. Die Menschen haben kaum noch Zugang zu medizinischer Versorgung, da es an Gesundheitseinrichtungen mangelt und viele Menschen sich eine Behandlung aufgrund der herrschenden Wirtschaftskrise nicht mehr leisten können.

Mangels finanziellen Mitteln hat ein Grossteil der Bevölkerung schlicht keinen Zugang mehr zu medizinischer Versorgung. Die Menschen müssen sich entscheiden, ob sie etwas essen oder ob sie sich behandeln lassen wollen. ​

Monique Doux, Projektkoordinatorin in Rutshuru

«Aber auch jene, die sich für eine Behandlung entscheiden, müssen zuerst einmal eine funktionierende Gesundheitseinrichtung finden. Möglicherweise ist diese mehrere Stunden Fussmarsch entfernt», sagt Monique Doux, Projektkoordinatorin in Rutshuru.

Zusammen mit den steigenden Preisen und der immer schlechteren Gesundheitsversorgung nimmt auch die Ernährungsunsicherheit zu. Gemäss den Vereinten Nationen ist mehr als ein Drittel der Bevölkerung Nord-Kivus, d.h. drei Millionen Menschen, von Ernährungsunsicherheit bedroht. «In den Gesundheitszentren in der Region Rutshuru haben wir 2022 mehr als 8500 Kinder wegen Mangelernährung behandelt, fast 70 % mehr als 2021», so Doux.

In Rutshuru, wie auch in Lubero und Masisi, fehlen humanitäre Akteure. «Man hat den Eindruck, dass diese Gebiete sich selbst überlassen werden», erklärt Doux. «Seit Monaten ist Ärzte ohne Grenzen die einzige humanitäre Organisation, die in Rutshuru arbeitet, aber die Bedürfnisse der Menschen hier übersteigen unsere Möglichkeiten bei weitem.»

Die humanitäre Gemeinschaft und die Behörden müssen ihre Anstrengungen verdoppeln, damit die Hilfe alle Menschen in Not erreicht, egal, wo sie sich befinden. Und die Konfliktparteien müssen sich verpflichten, den Zugang für humanitäre Organisationen zu erleichtern.

Raphaël Piret, Landeskoordinator in der DR Kongo