Lieu de marché à Drodro dans la province de l’Ituri. De nombreuses femmes présentes sur le marché sont victimes de violences lorsqu’elles rentrent chez elles à la fermeture du marché.

Bericht: Noch grössere Gefahr für Zivilbevölkerung durch neue Welle der Gewalt in Ituri

Die medizinische Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) beobachtet in der Provinz Ituri im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) einen erneuten Anstieg der Gewalttaten. Die medizinischen Teams der Organisation behandeln Zivilist:innen mit schwersten Verletzungen. In einem heute veröffentlichten Bericht mit dem Titel «Risking Their Lives to Survive» (Das eigene Leben riskieren, um zu überleben) unterstreicht Ärzte ohne Grenzen den immensen Hilfebedarf vieler Gemeinden, die durch die jüngsten Angriffe, die zunehmende Vertreibung und den Rückgang der humanitären Hilfe bedroht sind.

Seit Jahrzehnten wütet in Ituri – im Nordosten der DR Kongo – ein komplexer Konflikt, der durch Gewalt, ethnische Spaltung und die Beteiligung verschiedener bewaffneter Gruppen gekennzeichnet ist. Die Menschen vor Ort werden in diesem Kontext direkt angegriffen oder als blosser Kollateralschaden betrachtet. Der Konflikt hat den Zugang zu Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit der Bevölkerung, sich zu ernähren, erheblich erschwert. Die eingeschränkte Bereitstellung humanitärer Hilfe hat die Situation der Menschen, die von der internationalen Gemeinschaft nur wenig Aufmerksamkeit erhalten, noch weiter verschärft.

Ärzte ohne Grenzen appelliert an alle staatlichen und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen in Ituri, die Zivilbevölkerung und die Gesundheitseinrichtungen, die für das Überleben der lokalen Gemeinschaften unerlässlich sind, zu verschonen.

Luftaufnahme des Binnenvertriebenencamps Rhoe im Djugu-Gebiet in Ituri.

Luftaufnahme des Binnenvertriebenencamps Rhoe im Djugu-Gebiet in Ituri.

© Alexis Huguet/MSF

Laut Angaben der UNO hat die Gewalt in Ituri seit Jahresbeginn rund 100 000 Menschen vertrieben. Allein im Januar und Februar meldete sie mehr als 200 Getötete und Dutzende Verletzte infolge der zunehmenden Gewalt. Im Februar behandelten medizinische Teams von Ärzte ohne Grenzen vierjährige Kinder und schwangere Frauen, die nach Angriffen der Miliz im Gebiet von Djugu Macheten- und Schusswunden erlitten hatten.

«Die jüngsten Angriffe folgen auf jahrzehntelange Gewalt und die daraus resultierende verheerende Situation für die Zivilbevölkerung, einschliesslich Frauen und Kinder, in Ituri», so Alira Halidou, Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen in der DR Kongo.

Die Krise ist gekennzeichnet durch wiederholte Vertreibungen. Die Menschen müssen aufgrund der Gewalt ihre Existenz immer wieder von Neuem aufbauen. Am schlimmsten ist, dass die Geschichten, die uns Patient:innen und die Menschen in den Gemeinden erzählen, nur die Spitze des Eisbergs sind.

Alira Halidou, Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen in der DR Kongo

Gesundheitsversorgung: Zugang wird behindert

In Ituri hat nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Zugang zu Gesundheitsversorgung, und auch die Gesundheitseinrichtungen werden angegriffen. Im Gebiet von Djugu musste das Spital von Fataki Mitte März seine Tätigkeit nach Drohungen durch bewaffnete Gruppen einstellen und Patient:innen evakuieren. Damit haben tausende von Menschen keinen Zugang mehr zu medizinischer Versorgung. In der Gesundheitszone Drodro sowie in Djugu wurde fast die Hälfte der Gesundheitszentren teilweise oder vollständig zerstört und musste an andere Orte verlegt werden. Als die Gewalt letztes Jahr um diese Zeit eskalierte, kam bei einem bewaffneten Angriff auf das Spital von Drodro eine Patientin in ihrem Bett ums Leben.

Allgemeines Spital in Drodro. Nachdem es im Mai 2023 zu einem bewaffneten Angriff in wenigen Kilometern Nähe gekommen ist, haben die Patient:innen die medizinische Einrichtung verlassen.

Allgemeines Spital in Drodro. Nachdem es im Mai 2023 zu einem bewaffneten Angriff in wenigen Kilometern Nähe gekommen ist, haben die Patient:innen die medizinische Einrichtung verlassen.

© Michel Lunanga/MSF

Diese Angriffe führen dazu, dass Patient:innen sich nicht mehr in medizinische Einrichtungen trauen und gefährden zudem das medizinische Personal. Ein für den Bericht befragter Arzt erzählte, wie ein Gesundheitszentrum schliessen musste und er trotzdem weiter Kaiserschnitte durchführte.

«Es war gefährlich und ich riskierte mein Leben, aber wir hatten keine andere Wahl», erklärt der Arzt. «Wir mussten heimlich mit den Frauen ins Spital, sonst wären sie gestorben

 Zielscheibe: die Schwächsten

Mehr als die Hälfte der 39 Menschen mit gewaltbedingten Verletzungen, die Ärzte ohne Grenzen bis Mitte März 2025 in der Salama-Klinik in Bunia behandelte, waren Frauen und Kinder. Eine Mutter verlor ihr 6 Monate altes Baby und ihren Ehemann bei einem Angriff mit einer Machete. Ihr 4-jähriges Kind wurde ebenfalls verletzt. Zwei Schwestern im Alter von 4 und 16 Jahren wurden mit Machetenhieben auf Kopf und Arme angegriffen, und auch ihre im 8. Monat schwangere Mutter wurde durch mehrere Machetenhiebe schwer verletzt. Wir behandelten einen 9-jährigen Jungen mit einer Schusswunde im Bauch, der mit ansehen musste, wie Angreifer seine Mutter und zwei Geschwister mit einer Machete töteten.

Eine Frau geht durch das Camp von Rhoe.

Eine Frau geht durch das Camp von Rhoe.

© Alexis Huguet/MSF

Wenn Zivilist:innen in Geflüchtetencamps Zuflucht suchen, sind sie auch dort nicht sicher. So behandelte Ärzte ohne Grenzen zum Beispiel im September 2024 fünf Zivilist:innen mit Schusswunden nach einem Angriff auf das Camp Plaine Savo in der Gesundheitszone Fataki.

Wenn die Angriffe auf Zivilist:innen zunehmen, steigt auch die Zahl der Betroffenen sexualisierter Gewalt, die dann in den Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen Hilfe suchen. Vor allem Frauen werden attackiert, wenn sie versuchen, für sich und ihre Familien das Nötigste zum Überleben zu finden. In Drodro wurden 2023 und 2024 rund 84 Prozent der von Ärzte ohne Grenzen behandelten Überlebenden von sexualisierter Gewalt bei der Arbeit auf Feldern, beim Sammeln von Feuerholz oder auf der Strasse überfallen.

Verschlechterung der ohnehin angespannten Versorgungslage

Trotz der Bemühungen des Gesundheitsministeriums, von Ärzte ohne Grenzen und anderen humanitären Organisationen übersteigen die Bedürfnisse der Menschen bei Weitem die verfügbaren Mittel. Die Ernährungssituation hat sich in Ituri im Jahr 2024 drastisch verschlechtert, und 43 Prozent der Bevölkerung sind nun chronisch von Ernährungsunsicherheit betroffen. Schwierige hygienische Bedingungen und die provisorischen Unterkünfte in den Geflüchtetencamps führen dazu, dass sich Durchfall- und Atemwegserkrankungen leicht ausbreiten. Leidtragende sind vor allem Kinder unter 5 Jahren.

Die Menschen in Ituri müssen einen sicheren Zugang zu Gesundheitsversorgung erhalten. Es ist inakzeptabel, dass sie bei der Arbeit oder alltäglichen Aktivitäten ihr Leben riskieren.