Ungarisch-serbische Grenze: Alarmierendes Ausmass an Gewalt

Eine Pflegefachfrau bandagiert den Knöchel eines Patienten während einer Konsultation in unserer mobilen Klinik.

Serbien3 Min.

An der Grenze zwischen Serbien und Ungarn kommt es wiederholt zu Gewalt gegen Menschen, die die Grenze überqueren wollen. Mutmasslich geht die Gewalt von den ungarischen Behörden aus. Hierauf deuten sowohl Aussagen von Patient:innen, als auch übereinstimmende medizinische Daten von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) hin.

Berichten zufolge sind Schläge mit Gürteln und Schlagstöcken, Tritte und andere Formen der Demütigung sowie der Einsatz von Pfefferspray und Tränengas gängige Praktiken, um Menschen zurückzudrängen. «Jede Woche sehen wir mehrere Patient:innen, darunter auch Kinder, mit schweren Prellungen, tiefen Wunden und Schnitten, Verrenkungen und Brüchen. Oft finden wir die Verletzungen an Beinen und Armen, manchmal am Kopf», sagt Andjela Marcetic, Ärztin von Ärzte ohne Grenzen in Serbien. «Die körperlichen Verletzungen, die wir behandeln, stimmen mit den Aussagen der Patient:innen überein, die von heftigen Schlägen von der ungarischen Polizei vor der Rückführung nach Serbien berichten. Zwar können wir einige der Wunden behandeln, aber wir sind besorgt über die langfristigen Auswirkungen eines solchen Traumas auf das psychische Wohlbefinden der Betroffenen.»

Mobile Klinik von Ärzte ohne Grenzen an der serbischen Grenze. Juli 2022.

Mobile Klinik von Ärzte ohne Grenzen an der serbischen Grenze. Juli 2022.

© MSF

Muster von Gewalt und Schikanen

Seit Januar 2021 haben die mobilen medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen 423 Patient:innen mit Verletzungen behandelt, die den Berichten zufolge auf gewaltsame Zwischenfälle an der ungarisch-serbischen Grenze zurückzuführen sind. Die Berichte zeigen ein Muster von körperlicher Gewalt, der Verweigerung des Zugangs zu Grundbedürfnissen und Schikanen, oft einhergehend mit rassistischen Demütigungen. Einige der Patient:innen berichten darüber hinaus von Diebstählen und der Zerstörung persönlicher Gegenstände. Andere wurden gezwungen, sich bei kalten Temperaturen auszuziehen oder wurden von Grenzbeamten anuriniert. Unsere Teams behandeln auch Verletzungen, die bei Stürzen von den vier Meter hohen Zäunen und dem Stacheldraht entlang der Grenze entstanden sind.

Mehrere Patient:innen, darunter zwei unbegleitete Minderjährige, berichteten Ärzte ohne Grenzen, dass sie in einen kleinen Container gebracht wurden, bevor sie nach Serbien abgeschoben wurden. Dort seien sie von Grenzbeamten systematisch angegriffen worden. Zwei Patient:innen berichteten über den zusätzlichen Einsatz von Tränengas, das offenbar im Inneren des Containers versprüht wird, um die Menschen zu zwingen, Platz für die Neuankömmlinge zu schaffen. In ihren Aussagen berichteten die Patient:innen, dass ihnen Wasser, Nahrung und der Zugang zu Toiletten verweigert wurde und sie mit Tränengas besprüht wurden, wenn sie diese Grundbedürfnisse einforderten.

Ein MSF-Mitarbeiter steht neben einem Stacheldrahtzaun während einer medizinischen Konsultation in einer mobilen Klinik im Grenzgebiet in Serbien.

Ein MSF-Mitarbeiter neben einem Stacheldrahtzaun während einer medizinischen Konsultation in einer unserer mobilen Kliniken im Grenzgebiet in Serbien.

© MSF

«Diese Berichte zeigen, dass die Mitgliedstaaten der EU weiterhin absichtlich Gewalt einsetzen, um Menschen davon abzuhalten, in der EU Asyl zu suchen», sagt Shahbaz Israr Khan, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen im Nordbalkan. «Sie investieren in Zäune und Drohnen und verschliessen die Augen vor einem beunruhigenden und noch nie dagewesenen Ausmass an Gewalt an den Grenzen. Diese Praktiken verursachen nicht nur schwerwiegende physische und psychische Schäden, sondern zwingen die Menschen auch dazu, gefährlichere Routen zu nehmen.»

Ärzte ohne Grenzen an der ungarisch-serbischen Grenze

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 2014 in Serbien und leistet medizinische Hilfe für Migrant:innen auf der Balkanroute. Seit diesem Jahr bieten zwei mobile Kliniken in informellen Siedlungen in Nordserbien, nahe der ungarisch-serbischen und serbisch-rumänischen Grenze, eine medizinische Grundversorgung und psychosoziale Unterstützung an. Bislang haben die medizinischen Teams 1844 Patienten behandelt. Seit 2021 wurden 423 Patienten wegen körperlicher Verletzungen behandelt, meist an Armen und Beinen. Darunter waren Prellungen, Gelenk- oder Hautverletzungen, die nach ihren Angaben auf tätliche Angriffe ungarischer Grenzsoldaten oder auf Risswunden vom Stacheldrahtzaun entlang der Grenze zurückgehen. Alle Patient:innen, die in einen gewaltsamen Zwischenfall an der Grenze verwickelt waren, gaben an, nach Serbien zurückgedrängt worden zu sein.