Anschläge auf Insel im Tschadsee: «Unfassbar, dass solche Verletzungen absichtlich zugefügt werden»
Tschad2 Min.
Dr. Silas Adamou Moussa ist stellvertretender Einsatzleiter von MSF im Tschad. Er ist Teil des Teams, das nach den Anschlägen auf der Insel Koulfoua vom 5. Dezember zur Versorgung der Verletzten nach Mani geschickt wurde.
«Nach den Anschlägen wurden die Verletzten in eine kleine Klinik in Guitté am Ufer des Tschadsees gebracht. Viele waren in ernstem Zustand und hatten während der dreistündigen Bootsfahrt von der Insel noch keine Hilfe erhalten.
Die Triage wurde in dieser Klinik durchgeführt: Menschen mit schweren Verletzungen, die sofort operiert werden mussten, wurden nach N’Djamena überwiesen. Solche mit weniger schlimmen Verletzungen wurden nach Mani gebracht, eine Stadt nahe der kamerunischen Grenze.
Wir brachen am Sonntagnachmittag von N’Djamena auf. Wir reisten in einem Lieferwagen, der mit chirurgischem Material und Arzneimitteln beladen war. Wir arbeiteten von Sonntagabend bis frühmorgens, um die Ausrüstung und alles Material vorzubereiten. Unsere Logistiker stellten drei Zelte mit je zehn Betten auf und richteten die Wasser- und Stromversorgung ein. Gegen 2 Uhr morgens waren wir bereit für die ersten Verletzten.
Sie wurden mit einer Ambulanz aus Guitté zu uns gebracht. Noch nie zuvor hatte ich solche Verletzungen gesehen. Die Körper der Männer, Frauen und Kinder waren voller scharfer Splitter. In ihren Gesichtern, Oberkörpern und Gliedmassen hatten sich Glasscherben, Nägel und Metallteilchen eingegraben. Viele waren durch die Wunden entstellt.
Ich habe noch nicht geschlafen, seit ich hier bin. Die Art der Verletzungen bedeutet, dass wir bei jedem einzelnen Patienten viel Zeit brauchen, um alle Glas- oder Metallsplitter zu entfernen. Es kann Stunden dauern, um alle Körperteile abzusuchen. In einigen Fällen ist eine Amputation notwendig. Diese Patienten überwiesen wir nach N’Djamena, wo die Spitäler für solche Eingriffe ausgerüstet sind.
Ich arbeite mit einem Übersetzer. Das ermöglicht mir, mit den Patienten zu kommunizieren, ihre Geschichte zu hören. Heute erzählte mir eine Frau, wie sie mit ihrer kleinen Tochter auf den Markt gegangen war, um Fisch zu kaufen. Plötzlich sei alles schwarz geworden, «als hätte sich ein Schleier über alles gelegt». Sie wachte im Spital wieder auf und wusste nicht, wo ihre Tochter war. Das Mädchen war schwer verletzt und nach N’Djamena gebracht worden – heute vernahmen wir zum Glück, dass es ihr besser geht.
Alle Opfer sind noch unter Schock. Sie fürchten sich, was die Zukunft für sie bereithält.
Ich arbeite seit sieben Jahren für MSF, aber das ist das erste Mal, dass ich Menschen behandle, die durch solche Anschläge verletzt wurden. Ich finde es schockierend, dass solche Verletzungen absichtlich zugefügt werden.
Ich komme aus Nordkamerun, einer Region, die ebenfalls regelmässig zur Zielscheibe von Angriffen von Boko Haram wird. Es macht mich traurig, dass diese Menschen, die bereits mit Armut zu kämpfen haben, nun auch noch unter dieser Gewalt leiden.
Die Menschen hier haben keine Möglichkeit, sich vor diesen Angriffen zu schützen oder der Gewalt aus dem Weg zu gehen. In Mani hat sich Angst ausgebreitet, die Strassen sind menschenleer. Heute ist das Spital einer der wenigen Orte, in denen Betrieb herrscht.»