Corona in Westafrika: Hilfsmassnahmen an den Kontext anpassen
© Oliver Petrie/MSF
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Von den 54 afrikanischen Staaten sind mittlerweile 43 von der Covid-19-Epidemie betroffen. In Zentral- und Westafrika wurde nur in Sierra Leone bis jetzt (Stand 26. März 2020) noch kein Fall registriert. Am meisten Fälle wurden in Burkina Faso, Senegal und Kamerun gemeldet. Diese Staaten sind unterschiedlich vorbereitet. Dorian Job, MSF-Programmverantwortlicher in Westafrika, beschreibt, was bei der Corona-Bekämpfung beachtet werden muss.
Angesichts der raschen Ausbreitung der Covid-19-Epidemie in den vergangenen Wochen befasste sich auch die internationale Presse mit der Frage, inwieweit die afrikanischen Staaten auf die Lage vorbereitet sind. Eigentlich muss man diese Frage aber nicht auf Afrika beschränken: Betrachtet man die Lage in Europa, insbesondere in Italien, Frankreich oder Spanien, welches Land war denn schon wirklich auf eine Krise dieses Ausmasses vorbereitet?
Es wurde auch schon geäussert, dass die Ebola-Epidemie, die Westafrika von 2014 bis 2016 heimsuchte, möglicherweise dazu geführt hat, dass diese Länder besser vorbereitet sind. Auf jeden Fall scheinen gewisse Überwachungs- und Koordinationsmechanismen in Kraft zu sein. Wie wirksam diese sind, wird sich zeigen. Unterdessen müssen wir uns auf die nächste Phase einstellen: Wenn die Übertragungskette nicht mehr kontrollierbar ist und wir viel mehr Erkrankungen haben werden.
Gewisse Massnahmen bereits umgesetzt
Die meisten Staaten haben schon jetzt Massnahmen zur Eindämmung der Epidemie getroffen. So werden die Luftgrenzen kontrolliert, Versammlungen verboten oder Schulen geschlossen – auf Ausgangssperren wurde allerdings bislang verzichtet.
Auch wenn diese Massnahmen die Ausbreitung des Virus verlangsamen, werden sie für die Wirtschaft der Länder und die Menschen beträchtliche Auswirkungen haben. Gerade Betroffene von humanitären Krisen werden diese besonders zu spüren bekommen.
In Burkina Faso zum Beispiel wird es sehr schwierig sein, die Hilfsmassnahmen, die angesichts der unsicheren Lage und der damit verbundenen Bevölkerungsvertreibungen nötig sind, voranzutreiben. Mittlerweile ist niemand mehr in der Lage, neue Einsatzteams ins Land zu bringen, und die Versorgung mit medizinischem Material dürfte während Wochen, wenn nicht Monaten, eingeschränkt sein. Jetzt geht es allerdings nicht mehr nur darum, die humanitäre Hilfe zu verstärken, sondern auch um die Einhaltung der Hygienemassnahmen und die Infektionskontrolle, um die Ausbreitung des Virus so gut wie möglich aufzuhalten – dies in einem Land, in dem der Zugang zu Wasser nur unzureichend ist.
Das Ziel ist es, die Massnahmen entsprechend anzupassen, so dass ein Gleichgewicht zwischen der nötigen Verlangsamung der Ausbreitung des Virus und den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen gefunden wird.
Für das Gemeinwohl persönliche Gewohnheiten ändern
Um die Epidemie aufzuhalten, gilt auch hier unabhängig vom Kontext: Einen Abstand von 1,5 Meter und die grundlegenden Hygienemassnahmen einzuhalten.
Für uns ist ein weiterer wichtiger Faktor, dass wir die am stärksten gefährdeten Personen ausfindig machen und diese anschliessend überwachen und behandeln können. Es hat sich gezeigt, dass das Coronavirus vor allem die Atemwege befällt und bei den meisten nur schwache bis moderate Symptome zur Folge hat. Bei besonders verletzlichen Menschen wie älteren Personen oder solchen mit einer Vorerkrankung kann die Krankheit jedoch gravierende Folgen haben. Noch weiss man nur wenig über die Möglichkeiten der Übertragung in tropischen Regionen oder über Koinfektionen mit anderen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck oder aber auch mit saisonbedingten Krankheiten wie Malaria und Mangelernährung.
Auch die Test- und Diagnosekapazität ist nicht ausreichend, hier sind andere Lösungen gefragt. Es braucht Verfahren, damit Corona-Fälle anhand der Symptome festgestellt werden können, und Systeme, um die epidemiologische Überwachung sicherzustellen und zu ermöglichen, dass Schwerkranke möglichst in ihrer Nähe behandelt werden.
Eine andere Gefahr besteht darin, dass in einigen Ländern die gesamten Ressourcen des Gesundheitswesens auf den Umgang mit der Pandemie ausgerichtet sind und dabei andere gesundheitliche Themen – und damit ein Teil der Bevölkerung – auf der Strecke bleiben. So sind zum Beispiel Malaria und Masern kürzlich in Burkina Faso und im Niger epidemisch aufgetreten. Zur Bekämpfung dieser Krankheiten braucht es präventive Massnahmen wie Impfkampagnen, für die möglicherweise weniger Mittel zur Verfügung stehen werden.
Wir müssen unbedingt Lehren aus vergangenen Epidemien ziehen, insbesondere aus den Ebola-Ausbrüchen in der Region.
Dazu zählen: Die Sicherheit des Gesundheitspersonal gewährleisten, das Vertrauen in die getroffenen Massnahmen und die Menschen, die diese ausführen, aufrechterhalten, sowie sicherstellen, dass keine Falschinformationen in Umlauf gebracht werden. Ebenso wichtig ist es, die anderen Patientinnen und Patienten nicht zu vernachlässigen.
Es wäre aber falsch, sich zu stark an Ebola zu orientieren und beispielsweise Ganzkörperanzüge einzusetzen. Denn anders als bei Ebola überträgt sich das Coronavirus nicht über Hautkontakt. Wichtig ist es hingegen, für die Behandlung einfacher Fälle lokale Gesundheitseinrichtungen zu bevorzugen, auch um die dazu bestimmten Behandlungszentren zu entlasten. Tatsächlich ist bei 80 Prozent der Covid-19-Erkrankungen kein Spitalaufenthalt nötig. Die Erfahrung mit SARS hat uns ausserdem gelehrt, dass sich gut belüftete Einrichtungen mit Tageslicht besser eignen als hochentwickelte Gebäude mit einem geschlossenen Luftkreislauf.
Kurz: Wir müssen von unseren Erfahrungen profitieren und gleichzeitig innovativ sein. Ich wäre aber nicht überrascht, wenn einige neuartige Lösungsvorschläge zum Umgang mit dem Coronavirus vom afrikanischen Kontinent kommen würden. Denn die Afrikaner haben nicht nur mehr Erfahrung im Umgang mit gesundheitlichen Notlagen, sondern auch die Fähigkeit, flexibler darauf zu reagieren und zum Beispiel medizinische Verfahren zu vereinfachen. Das könnte dabei helfen, diese Epidemie schneller zu bekämpfen.
© Oliver Petrie/MSF