Frauentreffs in den Dörfern von Diffa: Von Frauen für Frauen
© Elise Mertens/MSF
Niger5 Min.
Vor drei Jahren hat Fajimatou ihr viertes Kind zur Welt gebracht. Seither leidet sie an Inkontinenz und häufigen Blasenentzündungen.
Da sie sich schämte, das Problem vor den Helfern im Gesundheitszentrum anzusprechen, hatte sie die Sache die ganze Zeit für sich behalten. Als sie dann vom Frauentreff hörte, den Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) in ihrem Dorf eingerichtet hatte, konnte sie endlich aufatmen.
«Ich wusste, dass sich dort eine andere Frau um mich kümmern würde, der ich vertrauen kann. Wir Frauen kennen Dalaran gut, denn sie ist seit mehreren Jahren die Matrone (traditionelle Hebamme) unseres Dorfes, aber bisher hatten wir keinen wirklich passenden und geschützten Ort, um frei mit ihr zu sprechen», erzählt Fajimatou.
Fajimatou ist nicht die einzige, die ihre Schmerzen lange Zeit verschwiegen hat. Wir treffen Kolo, 22 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Sie erzählt uns, dass sie bereits seit dem ersten Verkehr mit ihrem Mann vor sechs Jahren unter Schmerzen leidet. «Ich hatte damals noch keine Kinder, aber schon da war es sehr unangenehm, wenn ich zur Toilette ging oder mit meinem Mann schlief. Einmal bin ich sogar zur Untersuchung in ein Gesundheitszentrum gegangen. Aber als der Gesundheitshelfer vor mir stand, habe ich kein Wort herausgebracht.»
Für viele Frauen in Niger ist es nach wie vor nicht leicht, mit Unbekannten und vor allem mit Männern über körperliche Probleme zu sprechen. Viele Frauen schrecken deshalb davor zurück, in den Gesundheitseinrichtungen Hilfe zu holen. Eines der grössten Hindernisse, das MSF in der Region Diffa überwinden musste, um den Gesundheitszustand von Frauen dauerhaft zu verbessern und die manchmal tödlichen Folgen zu bekämpfen, war, sie ermutigen zu können, bei Problemen im Zusammenhang mit sexueller und reproduktiver Gesundheit medizinische Beratung und Unterstützung zu holen. Aus diesem Grund wurden die Frauentreffs ins Leben gerufen.
Zusammenarbeit mit Matronen für mehr Vertrauen und bessere Versorgung
MSF hat beschlossen, mit sogenannten Matronen – den traditionellen Hebammen – zusammenzuarbeiten, um für die Frauen in den Dörfern eine vertrauliche Atmosphäre zu schaffen, in der sie über Gesundheitsprobleme reden können. Die Matronen fungieren für die Frauen als Ansprechperson. «Dadurch, dass die Frauen zuerst mit einer im Dorf respektierten Person reden können, die sie kennen, fassen sie eher Vertrauen als gegenüber fremden Leuten», erklärt Alira Halidou, die MSF-Einsatzverantwortliche in Diffa.
Da fast 30 Prozent der Entbindungen noch immer ohne medizinische Begleitung zuhause erfolgen, verwundert es kaum, dass die Müttersterblichkeit so hoch ist
Durch die Frauentreffs wurde auch die Stellung der Matronen in den Dörfern gestärkt. «Davor habe ich die Frauen nur in der Schwangerschaft und bei der Entbindung begleitet. Als die MSF-Teams dann diesen geschützten Raum einrichteten, lehrten sie mich auch, wie man Gespräche führt und Zeichen einer Erkrankung erkennt. Seither habe ich einen besseren Kontakt zu den Frauen, und sie fragen mich häufiger um Rat. Da sie mir vertrauen, kann ich sie besser mit den MSF-Teams in Verbindung setzen», erläutert Dalaran, die Matrone des Dorfs . Dies bestätigt auch Kingui: «Ich bin seit zehn Jahren Matrone, und noch nie haben sich die Frauen so oft an mich gewandt. Mittlerweile kommen sogar Mädchen von 15 und 16 Jahren zu mir. Sie klopfen an meine Tür, um mir Fragen zu ihrem Monatszyklus oder zu ihrer ersten Schwangerschaft zu stellen. Davor hätten sie sich nie getraut, sich einer fünfzigjährigen Frau wie mir anzuvertrauen. Wir haben jetzt eine ganz andere Gesprächskultur.»
Die Frauentreffs sind nur darum so erfolgreich, weil sie im Beziehungsnetz der Dörfer verankert sind. «Bei den Zusammenkünften unserer Teams zur Gesundheitsförderung haben die Frauen mehrfach erklärt, sie bräuchten einen geschützten Raum, um über körperliche Dinge reden zu können, die sie sich vor Männern nicht anzusprechen trauen. Damit die Männer sich dem Projekt nicht entgegenstellen, wurde in den Dörfern offen darüber diskutiert. Schlussendlich hat in den meisten Dörfern der Dorfvorsteher einen Raum bereitgestellt, den wir als Frauentreff einrichten durften», erzählt Alira.
In den Gesundheitsbezirken Assaga und Chétimari (Region Diffa), wo die Organisation seit 2015 eine medizinische Grundversorgung für die Bevölkerung anbietet, hat MSF seit September 2017 in neun Dörfern Frauentreffs eingerichtet. Zu den Beschwerden, auf die MSF die Matronen besonders vorbereitete, gehören sexuell übertragbare Krankheiten, sexuelle Gewalt und Geburtsfisteln. Geburtsfisteln können bei schwierigen und langwierigen Geburten ohne medizinische Betreuung entstehen. Besonders gefährdet sind Frauen, die bereits in jungen Jahren häufig schwanger waren.
Die Gesundheit von Müttern: in Niger noch immer eine grosse Herausforderung
«Laut den landesweiten Statistiken von 2015* hat im Niger eine Frau durchschnittlich 7,3 Kinder. Damit hat das Land eine der weltweit höchsten Fruchtbarkeitsraten. Da fast 30 Prozent der Entbindungen noch immer ohne medizinische Begleitung zuhause erfolgen, verwundert es kaum, dass die Müttersterblichkeit so hoch ist.», bemerkt Ann Mumina, medizinische Koordinatorin von MSF im Niger.
Empfängt die Matrone eine Frau, die eine besondere Behandlung benötigt und nicht im Gesundheitszentrum versorgt werden kann, kann sie über das von MSF zur Verfügung gestellte Mobiltelefon ein medizinisches Team anfordern. So konnte MSF bereits etwa dreissig Frauen kostenlos medizinisch behandeln, die meisten von ihnen mit Geburtsfisteln wie Fajimatou oder mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie Kolo. Das ist eine grosse Befreiung für diese Frauen, die ihre Schmerzen aus Scham jahrelang verschwiegen haben. Fajimatou berichtet erleichtert: «Seitdem ich von MSF operiert wurde, habe ich keine unfreiwilligen Urinverluste mehr. Das ist eine grosse Entlastung für meinen Alltag. Und jetzt bin ich es, die andere Frauen ermutigt, im Frauentreff vorbeizugehen und Hilfe zu holen.»
*Alle Zahlen in diesem Artikel stammen aus der Nationalen Studie über sozio-ökonomische und demografische Indikatoren (ENISED), die das nigrische Landesamt für Statistik 2015 durchgeführt hat.
© Elise Mertens/MSF