Nordost-Nigeria: «Ich schäme mich dafür, von Hilfe abhängig zu sein, aber wir können nicht nach Hause gehen.»
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Dr. Silas Adamou-Moussa, stellvertretender Projektleiter von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Nigeria, beschreibt die Situation im Bundesstaat Borno, wo Vertriebene festsitzen und ums Überleben kämpfen.
«Ich befinde mich gegenwärtig im Bundesstaat Borno im Nordosten Nigerias. In unserem Spital in Ngala traf ich Yakura Fatama, eine Mutter von sechs Kindern, die ihr Haus verlassen hat und zwei Tage lang zu Fuss unterwegs war, um in Ngala Zuflucht zu suchen. ‹Ich habe keine Unterkunft, keine Nahrungsmittel und keinerlei Behälter, um darin zu kochen oder Wasser zu tragen›, sagte sie mir. ‹Es beschämt mich, dass ich von der Hilfe anderer abhängig bin, aber wir können nicht nach Hause zurückkehren. Dort würden sie uns allen die Kehle durchschneiden, sogar den Kleinen.›
Hier im Bundesstaat Borno habe ich viele MSF-Patienten kennengelernt, die wie Yakura gezwungen waren, wegen der Gewalt ihre Heimat zu verlassen. Sie erzählten mir von ihrem Kampf ums Überleben und ihrem Wunsch, in den Alltag zurückzukehren und wieder für ihre Familien den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sind auf Hilfe angewiesen und erhalten nur das absolute Minimum. Viele haben in Lagern Zuflucht gesucht, die vom Militär kontrolliert werden. Die Bewegungsfreiheit in diesen Lagern ist stark eingeschränkt, doch sie müssen dort bleiben, weil es zu gefährlich wäre, nach Hause zurückzukehren.
Es ist nicht anzunehmen, dass sich ihre Lage in nächster Zukunft verbessern wird.
In den abgelegenen Gebieten Bornos fehlt es nach wie vor am Nötigsten, und es erschüttert mich zu sehen, wie wenig Hilfe bei denen ankommt, die sie am dringendsten brauchen. Die Hilfsorganisationen haben zwar ihre Aktivitäten verstärkt, doch es reicht nicht, um den Bedarf der Menschen zu decken. Viele humanitäre Organisationen verfügen in den kaum zugänglichen Gebieten nicht über dauerhaft anwesende Teams mit erfahrenen Fachkräften, was die Wirksamkeit der Hilfe beeinträchtigt.
Zudem stellen die instabile Sicherheitslage und die Abgelegenheit der Region grosse Herausforderungen an die Hilfeleistenden. Wir müssen das Sicherheitsrisiko für unsere Teams ständig neu einschätzen und die Bedürfnisse der Menschen dagegen abwägen. Wir können nur die Zonen besuchen, die das Militär freigibt. Was ausserhalb dieser Gebiete geschieht und welche medizinischen Bedürfnisse die Menschen dort haben, wissen wir nicht. Jede Woche kommt aus diesen Gebieten eine kleine, aber konstante Anzahl von Menschen zu uns.
Das abgelegene Städtchen Rann zum Beispiel war während der Regenzeit, als die Zugangsstrassen überflutet waren, praktisch von der Aussenwelt abgeschnitten. In dieser Zeit konnten weder Nahrungsmittel noch Hilfsgüter angeliefert werden, sodass 40'000 Menschen monatelang ohne Hilfe blieben.
Während der Regenzeit entsandten wir mobile Teams nach Rann, um die Kinder unter fünf Jahren präventiv gegen Malaria zu behandeln, da diese Krankheit in dieser Zeit die häufigste Todesursache ist. Seit September ist nun eines unserer medizinischen Teams permanent dort tätig. Die Patienten, die wir behandeln, leiden vor allem unter Krankheiten, die auf die schlechten Lebensbedingungen und den Mangel an sauberem Wasser zurückzuführen sind. In der Regenzeit wurden die Unterkünfte vieler Menschen überflutet, und die häufigsten Krankheiten waren Atemwegsinfektionen und Durchfall. Seit August greift in Rann auch Hepatitis E um sich. Die Mangelernährungsrate hat sich zwar etwas stabilisiert, doch behandeln wir weiterhin viele mangelernährte Kinder. Ähnlich besorgniserregende Situationen finden wir leider an mehreren Orten in Borno vor. Die Menschen sitzen fest und brauchen Hilfe. Es ist nicht anzunehmen, dass sich ihre Lage in nächster Zukunft verbessern wird.»