Sudan: Über eine halbe Million neu vertriebener Menschen brauchen dringend mehr humanitäre Hilfe

MSF Wad Madani Sudan War

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Am 15. Dezember griffen die Rapid Support Forces (RSF) die Stadt Wad Madani an und übernahmen in wenigen Tagen die Kontrolle über weitere Städte und Gebiete im Bundesstaat al-Jazirah. Seitdem sind mehr als eine halbe Million Menschen vor den Gefechten geflohen. Laut Internationale Organisation für Migration (IOM), darunter auch rund 234 000 intern Vertriebene, die in Wad Madani Zuflucht gesucht hatten, als die Gewalt in Khartum nach Ausbruch des Konflikts eskalierte. Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) musste sämtliche Tätigkeiten in Wad Madani einstellen und ihr Personal am 19. Dezember evakuieren.

Unsere Teams konnten in den vergangenen Monaten beobachten, wie tausende Menschen aus Wad Madani[1] in den Bundesstaaten Gedaref und Kassala ankamen. Dort ist unsere Organisation seit 2021 als Reaktion auf den Tigray-Konflikt tätig. Nun reagieren die Teams auf die steigenden gesundheitlichen und humanitären Bedürfnisse und beurteilen den Hilfsbedarf. In Tanideba (Gedaref) haben unsere Teams einen Kurzeinsatz für neu geflüchtete Menschen aus Äthiopien und vertriebene Sudanes:innen lanciert. Unsere Organisation kümmert sich um die medizinische Grundversorgung, hilft mit Wasser und Sanitäreinrichtungen und verteilt Nahrungsmittel. Diese Tätigkeiten mussten jedoch wegen des eskalierenden Konflikts in Wad Madani vorübergehend reduziert werden.

 Die Auswirkungen des Konflikts im Sudan sind gravierend: Millionen von Menschen wurden vertrieben, Tausende getötet und viele weitere verletzt.  Für viele Vertriebene sind Gedaref und Kassala nur die letzten Stationen einer langen Reise auf der Suche nach Sicherheit. Einer Reise, die durch Gewalt und grosse Entbehrungen geprägt ist. 

«Ich bin dem Tod zweimal entkommen»

Al Bakri Al Taher Malik lebte früher in An Engaz, im Süden Khartums. «Ich bin dem Tod zweimal entkommen. Beim ersten Mal erlitt ich eine Schussverletzung. Beim zweiten Mal wurde ich von einem Bombensplitter getroffen», erzählt er. «Ich beschloss deshalb, Khartum zu verlassen. Es war dort zu gefährlich, eine Klinik aufzusuchen.»

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«Der Krieg hat nichts als Zerstörung gebracht und Familien getrennt. Wir haben unser Zuhause und unsere Heimatstadt Khartum verloren», bedauert Al Bakri.

© Fais Abubakr

Ich habe meinen Neffen verloren. Er wurde am ersten Tag des Eid durch eine Granate getötet. Dabei wurde er in drei Stücke gerissen. Er starb vor seinem Haus, während er sich vor dem Gang in die Moschee wusch.

Al Bakri Al Taher Malik, Geflüchteter aus Khartum

Al Bakri hat drei Kinder. «Ich mache mir Sorgen um ihre Ausbildung, die durch den Krieg unterbrochen wurde. Wegen schwieriger wirtschaftlicher Umstände kann ich nicht ausreichend für sie aufkommen.»

Als wir Anfang Dezember mit Al Bakri sprachen, war er in Wad Madani und konnte es nicht erwarten, wieder nach Khartum zurückzukehren. Dann wurde am 17. Dezember auch Wad Madani vom Konflikt erfasst, und Al Bakri musste erneut fliehen. Im Gegensatz zu vielen anderen, die nach Kassala oder Gedaref gingen, machte er sich auf eine dreitägige Reise Richtung Khartum auf.

«Der Krieg verfolgt uns»

Wir sind ursprünglich aus Darfur, doch wegen der heftigen Gefechte und der Krise gingen wir nach Khartum. Aber der Krieg ist uns dorthin gefolgt, also gingen wir nach Wad Madani. Und nun geht es weiter.

Salem, ist mit seiner Familie mehrmals geflüchtet

«Wir sind ursprünglich aus Darfur, doch wegen der heftigen Gefechte und der Krise gingen wir nach Khartum. Aber der Krieg ist uns dorthin gefolgt, also gingen wir nach Wad Madani. Und nun geht es weiter», sagt Salem (Name geändert), der vor zwei Wochen mit seiner Familie aus Wad Madani gekommen ist und sich mit anderen Vertriebenen in der Ortschaft Al Mufaza, Gedaref, niedergelassen hat. Salems Familie floh vor acht Monaten aus Khartum, nachdem eine Granate ihr Haus getroffen hatte. Eines ihrer Kinder wurde dabei schwer verletzt.  

«Wir waren sechs Personen im Haus und meine Frau war schwanger. Unser Haus wurde bei dem Angriff zerstört. Ich wurde am Arm getroffen, doch mein Sohn erlitt eine viel schlimmere Verletzung am Kopf. Es gelang uns, ihn ins Spital zu bringen, denn er musste notfallmässig operiert werden. Doch sobald er entlassen wurde, verliessen wir die Stadt, weil es zu unsicher war. Wir kamen ins Vertriebenencamp in Wad Madani und meine Frau hat dort entbunden», fährt er fort.  

Mitte Dezember musste die Familie erneut die Flucht ergreifen. «Es gab wieder Zusammenstösse, und wir hörten Schüsse und dass wieder gekämpft wurde. Sofort beschlossen wir, wegzugehen. Zuerst wusste ich nicht, wohin. Zu dieser Zeit war es nirgendwo sicher.» 

«Die Vertriebenen, die nach Kassala-Stadt gekommen waren, erzählten unseren Teams, dass sie seit ihrer Ankunft Mitte oder Ende Dezember keine Hilfe erhalten hatten», berichtet Pauline Lenglart, unsere Nothilfekoordinatorin im Sudan. «Familien schlafen auf dem Fussboden. Gesundheitsversorgung ist für viele kaum zugänglich, da es nur wenige medizinische Einrichtungen gibt und Medikamente kostenpflichtig sind. Viele Menschen berichten uns, dass sie nicht die Mittel haben, um sowohl für Nahrung als auch für Medikamente zu bezahlen und deshalb zwischen den beiden wählen müssen. Wenn sich kürzlich Vertriebene an neuen Standorten niederlassen, ermitteln unsere Teams stets den dringendsten Hilfsbedarf. An all diesen Orten stellen wir fest, dass die geleistete humanitäre Hilfe klar unzureichend ist, um die Grundbedürfnisse der Geflüchteten zu decken und würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten.»


[1] Laut Angaben der UN sind seit dem 15. Dezember 64 000 intern Vertriebene in Gedaref und 30 000 in Kassala angekommen.