Syrien: Kaum Zugang zu medizinischer Versorgung für Bevölkerung im belagerten Rakka
Syrien3 Min.
Bei den anhaltenden Kämpfen um die Kontrolle Rakkas erhalten Kranke und Verletzte in der Stadt kaum lebensrettende medizinische Hilfe. MSF fordert alle kriegsführenden Parteien und ihre Verbündeten auf, den Schutz der Zivilbevölkerung zu gewährleisten und den Zugang zur medizinischen Versorgung zu ermöglichen.
Die Organisation bekräftigt zudem die Bedeutung des Zugangs zu zum Nordosten Syriens für internationale Organisationen. Diese sollten die Möglichkeit haben, Minen zu räumen, so dass die Bewohner sicher in ihre Häuser zurückkehren sowie Hilfsorganisationen dringend benötigte humanitäre Hilfe leisten können.
„Patienten berichten uns, dass viele Verwundete und Kranke in Rakka eingeschlossen sind. Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und kaum eine Chance, aus der Stadt zu fliehen”, sagt Vanessa Cramond, medizinische Koordinatorin für die Türkei und den Norden Syriens. „Am 29. Juli hat unser Team innerhalb weniger Stunden vier Menschen behandelt, die bei ihrer Flucht aus Rakka Schussverletzungen erlitten haben, unter ihnen ein fünfjähriges Kind. Wir sind äußerst besorgt um die Menschen, die nicht aus der Stadt entkommen können.”
Die wenigen Patienten, die Teams von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) behandeln nachdem sie aus Rakka geflohen sind, berichten, dass der einzige Weg zu entkommen darin besteht, aus der Stadt geschmuggelt zu werden.
„Manche unserer Patienten waren für Tage und gar Wochen hinter den Frontlinien eingeschlossen”, sagt Cramond. „Wenn sie Glück haben, erhalten sie eine medizinische Grundversorgung in der Stadt, aber wenn sie dann unsere Spitäler erreichen, sind ihre Wunden oft stark entzündet und oft müssen wir dann amputieren.”
Ein 41 Jahre alter Patient mit Granatsplitterverletzungen in der Brust war aus der Stadt geflohen, nachdem er sieben Mitglieder seiner Familie verloren hatte. Er erzählt: „Wenn du in Rakka nicht bei einem Luftangriff stirbst, erwischt dich eine Granate; ist es keine Granate, dann ist es ein Scharfschütze; ist es kein Scharfschütze, ist es eine Mine. Und wenn du trotz allem lebst, dann lebst du mit Hunger und Durst unter der Belagerung. Es gibt kein Essen, kein Wasser, keine Elektrizität.” Nach einem Luftangriff war seine Mutter 15 Stunden lang unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses begraben. Sie wurde befreit und konnte nach einer medizinischen Erstversorgung die Stadt verlassen.
Seit Juni haben die Teams von MSF im Nordosten Syriens 415 Patienten aus der Stadt Rakka und den umliegenden Dörfern behandelt. Die meisten Patienten waren Zivilisten mit Schusswunden oder Verletzungen von Minen oder Granatsplittern.
Ausserhalb der Stadt, im Gouvernement Rakka, ziehen viele Menschen bereits wieder in ihre Dörfer zurück, aber die Folgen des Krieges bleiben allgegenwärtig. Die Städte und Dörfer sind übersät mit nicht explodierten Sprengvorrichtungen, Minen oder versteckten Bomben.
„In den Städten befindet sich weiterhin eine grosse Anzahl an Sprengsätzen, die die Menschen daran hindern, in ihr normales Leben zurückzukehren“, sagt Cramond. „Unsere Teams haben zum Beispiel diese Woche in einer Schule in Hasima, im Norden von Rakka, wieder mit medizinischer Hilfe begonnen, mussten die Arbeit jedoch wieder unterbrechen, als sie herausfanden, dass überall im Gebäude Minen und Sprengsätze verteilt waren.“
MSF ist eine der wenigen medizinischen Organisationen, die auf die akuten Bedürfnisse der Bevölkerung in der Provinz Rakka und im Nordosten Syriens reagiert. Die Teams sind mit acht Krankenwagen in der Nähe der Frontlinien im Einsatz, arbeiten eng mit den lokalen Gesundheitsbehörden zusammen und holen die Patienten an Sammelstellen im Norden, Osten und Westen von Rakka ab. Zudem unterstützt die Organisation eine Krankenstation außerhalb der Stadt, in der die Patienten stabilisiert werden, um dann in Spitäler in die rund 100 Kilometer entfernten Städte Tal Abjad oder Kobane gebracht zu werden. MSF betreibt zudem eine Klinik im Vertriebenenlager Ain Issa und arbeitet in verschiedenen wieder zugänglichen Gegenden im Nordosten Syriens, die noch bis vor kurzem unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates waren.