Überfüllte Flüchtlingslager in Kenia – kein Platz mehr für somalische Kriegsflüchtlinge

Un nouvel arrivant de Somalie, épuisé par son périple, est pris en charge par l’une des équipes mobiles de MSF à l’extérieur de Dagahaley.

Kenia4 Min.

Immer mehr Somalier, die vor den Kämpfen in der Heimat fliehen, strömen über die Grenze ins benachbarte Kenia. Die drei grossen Flüchtlingslager des Landes sind jedoch völlig überfüllt, und die Neuankömmlinge haben keine andere Wahl, als vor den Lagern in der Wüste behelfsmässige Unterkünfte zu errichten. MSF unterstützt die ankommenden Flüchtlinge mit Plastikplanen und der nötigsten medizinischen Versorgung, bis eine dauerhafte Lösung gefunden ist.

Jahara Ahmed Abdi, 35, ist erst vor kurzem in Kenia angekommen. Zusammen mit ihrem Mann und ihren drei überlebenden Kindern ist sie von Somalia ins Nachbarland geflohen. Die Familie stammt aus Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, doch als Jaharas achtjähriger Sohn während eines Feuergefechts in der Stadt umkam, beschlossen sie zu fliehen. Jahara und ihr Mann zahlten 150 US-Dollar – rund die Hälfte eines Jahreslohns –, damit jemand sie zur Grenze brachte und landeten in Kenia in der Wüste vor dem Flüchtlingslager Dagahaley.

In Dadaab, im Nordosten Kenias, gibt es drei Flüchtlingslager. Sie wurden 1992 für die somalischen Flüchtlinge errichtet, ein Jahr nachdem in Somalia der Bürgerkrieg ausgebrochen war. Das Lager Dagahaley wurde ursprünglich für 90'000 Menschen ausgelegt, doch heute leben hier fast 300'000 Flüchtlinge.

Jede Woche 1'500 neue Flüchtlinge

„Woche für Woche treffen 1'400 bis 1'500 neue Flüchtlinge aus Somalia ein. Die Lager sind völlig überfüllt, und auch für diejenigen, die bereits hier sind, wird es immer enger und prekärer“, erklärt Mohammad Daoud, der Koordinator von MSF in Dagahaley. MSF arbeitet seit 2009 im Lager und betreibt hier ein Spital mit 110 Betten sowie vier Gesundheitsposten.

Da noch kein Ende der Kämpfe in Somalia in Sicht ist, geht Mohammad Daoud davon aus, dass noch viel mehr Flüchtlinge eintreffen werden. Nach dem langen Weg, den sie oft zu Fuss zurücklegen, sind die Flüchtlinge völlig entkräftet und ihr Gesundheitszustand ist meist schlecht. Der Bedarf an medizinischer Hilfe und Hilfsgütern in Dagahaley ist enorm, und das MSF-Spital und die Gesundheitsposten sind überlastet. Derzeit werden monatlich etwa 600 Patienten ins Spital aufgenommen, und das Personal führt im Durchschnitt 10'000 ambulante Sprechstunden durch.

Wer neu ankommt, muss sich ausserhalb des überfüllten Lagers von Dagahaley einen Platz suchen. Als Jahara Ahmed Abdi und ihre Familie Ende Oktober 2010 eintrafen, halfen ihnen andere Flüchtlinge, eine Hütte zu bauen und MSF versorgte sie mit Plastikplanen als Schutz vor den kommenden Regenfällen. Es gibt jedoch keine Latrinen, und gleich hinter der Hütte beginnt das offene Buschland. Die Kinder sind ständig in Gefahr, von Hyänen angegriffen zu werden. Jaharas Familie hat noch keine Nahrungsmittelrationen erhalten, und sind deshalb auf die Grosszügigkeit ihrer Nachbarn angewiesen, die ihnen hin und wieder etwas abgeben.

Schlechte hygienische Bedingungen

Derzeit leben in den provisorischen Unterkünften ausserhalb von Dagahaley etwa 5'000 Menschen. Zwischen August und November 2010 sind etwa 700 neue Familien angekommen. Die hygienischen Bedingungen in diesen Hütten sind sehr schlecht. Das Gebiet wird oft überschwemmt, und als Anfang November die ersten Regenfälle der Saison niedergingen, stand das temporäre Lager sofort unter Wasser. Viele Familien verloren Lebensmittel und ihre wenigen Habseligkeiten.

Die Regenzeit wird voraussichtlich bis Januar dauern und unter den herrschenden Bedingungen wird sich der Gesundheitszustand der Menschen weiter verschlechtern. Bei stehendem Wasser erhöht sich nämlich das Risiko von Infektionen und Durchfall, und vor allem die Kinder sind anfällig für Atemwegserkrankungen. Das MSF-Team arbeitet rund um die Uhr und kümmert sich um die medizinischen Bedürfnisse der Neuankömmlinge wie Jahara Ahmed Abdi. „Wir untersuchen die Neuankömmlinge,  führen Impfungen durch und überweisen die Menschen wenn nötig ins Spital“, sagt Mohammad Daoud.

Die Menschen helfen sich gegenseitig

Mohammad Daoud beschreibt ein Einzelschicksal. „Ein alter Mann kam zu uns und sagte, er habe jemanden gefunden, dem es nicht sehr gut gehe. Er führte uns zu einem einsamen Baum weit draussen im Buschland. Im spärlichen Schatten sahen wir einen abgemagerter Esel, einen Holzwagen, zwei Ziegen und fünf staubbedeckte Kinder, die im Dreck spielten. Auf einer Decke lag bewegungslos ein junger Mann. Seine Frau war nicht da, sie suchte offenbar gerade Hilfe oder etwas Essbares. Wir wussten es nicht genau. Die Familie war am selben Tag aus Somalia angekommen. Der junge Mann versuchte aufzusitzen, schaffte es aber nicht ohne Hilfe. Er hatte tagelang nichts gegessen und hatte hohes Fieber. Er musste sofort ins Spital gebracht werden. Zum Glück kümmerte sich der alte Mann um die drei kleinsten Kinder, bis die Mutter zurückkam.“

Am nächsten Tag besuchte Mohammad Daoud den jungen Mann im Spital. „Er war noch immer sehr krank, aber das Fieber hatte sich gelegt. Wir suchten seine Familie und fanden sie beim alten Mann, der Tags zuvor noch ein Fremder gewesen war. Er hatte eine kleine Hütte ausfindig gemacht, in der sie schlafen konnten, und teilte seine Essensration mit ihnen.“

Zeitpunkt der Eröffnung der Erweiterung des Lagers erneut verschoben

Seit dem Ende der Überschwemmungen hat sich die Lage der Familien um das Lager von Dagahaley leicht verbessert. Jede Familie verfügt über eine notdürftige Unterkunft und einige von ihnen haben Zugang zu sauberem Wasser. Doch noch immer gibt es keine Latrinen. Seit Monaten warten die Menschen darauf, dass sie in ein neues Lager – eine Erweiterung eines der bereits bestehenden – übersiedeln können. Doch der Zeitpunkt wurde schon mehrmals verschoben und es wird voraussichtlich frühestens Januar 2011, bis die Menschen umgesiedelt werden können. Im November dieses Jahres forderte MSF die kenianischen Behörden und die Hilfsorganisationen in den Medien dazu auf, den Flüchtlingen sofort geeignete Unterkünfte bereitzustellen. Aber die Familien warten noch immer. Und täglich treffen neue Flüchtlinge ein.