Vom Flüchtling zum Flüchtlingshelfer
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Thok Johnson erzählt seine Geschichte vom Flüchtlingskind zum international tätigen Helfer für Menschen in Not.
Als ich neun Jahre alt war, musste meine Familie aus dem Sudan fliehen. Das war im Jahr 1986. Ich erinnere mich noch gut an die Angst, die damals bei uns umging: Wir hörten davon, dass immer mehr Menschen im Süden des Landes verfolgt und misshandelt wurden, darunter auch Kinder. Also packten nahezu alle in unserem Dorf hastig ihr Hab und Gut zusammen und flohen nach Äthiopien. Viele starben unterwegs an Hunger und Durst; andere mussten wir zurücklassen, weil sie schwer krank wurden und weil es keine medizinische Versorgung gab.
Wir waren lange unterwegs – vier oder fünf Monate, bis wir das Flüchtlingslager in Äthiopien endlich erreicht hatten. Meine Familie hatte ich unterwegs verloren. Ich fühlte mich so allein. Ich dachte, ich wäre der einzige, der überlebt hat, als ich schliesslich im Camp ankam. Doch acht Monate später traf ich meine Mutter mit meiner Schwester und meinem jüngeren Bruder wieder. Ich war so glücklich! Doch mein Vater war nicht da. Erst drei Jahre später hörten wir, dass er sich in Bilpam, einer Stadt im heutigen Südsudan, aufhält.
Mein Leben im Flüchtlingslager
Im Flüchtlingslager bekamen meine Schwester, mein Bruder und ich Masern. Zum Glück gab es dort ein Klinikzelt, wo wir untersucht und behandelt wurden. Es waren Teams von MSF und von der ADRA (Organisation für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe) vor Ort. Das war das erste Mal, dass mir der Gedanke kam, ich könnte vielleicht auch Krankenpfleger werden und eines Tages für eine Hilfsorganisation arbeiten. Aber es war ein Traum, der noch in weiter Ferne lag. Hunger und Krankheit – das prägte unseren Alltag im Camp. Doch ich konnte dort zur Schule gehen. Der Unterricht fand unter Bäumen statt, die uns Schatten spendeten. Wir benutzten Kreide und schrieben damit auf Pappkartons. Bücher und Stifte gab es nicht. Trotz der Hilfe, die wir im Camp bekamen, war es ein sehr hartes Leben. Viele Leute starben, auch Verwandte von mir. Mein Bruder Gatkhor war auch darunter. „Wird dieser Albtraum jemals enden?“, fragten wir uns. Mein einziger Lichtblick war der Fussball-Club, den einer unserer Lehrer ins Leben gerufen hatte. Ich trug das Trikot mit der Nummer neun, und ich traf in jedem Spiel. Das machte mich ein bisschen berühmt im Lager.
Dann kam es in Äthiopien zu Unruhen. Ich war inzwischen 14 Jahre alt und musste erneut fliehen – zurück in den Sudan. Erst zwei Jahre später konnte ich nach Äthiopien zurückkommen, um dort meine Schule zu beenden. Ich schaffte meinen Abschluss. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei. Und da war er wieder: mein Traum, Krankenpfleger zu werden und Menschen in Not zu helfen. In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba meldete ich mich an der medizinischen Hochschule an. Nach 18 Monaten hielt ich mein Diplom als Krankenpfleger in den Händen.
Hilfe für meine Landsleute
Im Jahr 2000 kehrte ich zurück in den Sudan, diesmal aber, um meinen Landsleuten zu helfen. Die Bevölkerung im Sudan litt noch immer unter den Folgen von gewaltsamen Auseinandersetzungen und Vertreibungen. Ich bewarb mich bei MSF und wurde angestellt. Ich leistete mehrere Einsätze, unter anderem bei einem Cholera-Ausbruch in Akobo und anschliessend in Leer, in einem der grössten Spitäler, das MSF im heutigen Südsudan betreibt. Dort arbeitete ich drei Jahre lang. MSF ermöglichte mir in dieser Zeit, mich stetig weiterzubilden. So habe ich zum Beispiel viel darüber gelernt, wie man mangelernährte Kinder behandelt.
Der nächste Einsatz mit MSF führte mich ins Flüchtlingslager in Jamam. Dieses Lager liegt im Norden des Südsudan, an der Grenze zum Sudan. Die Arbeit, die unsere Teams dort leisten, ist so wichtig für die Menschen. Sie mussten ihre Heimat verlassen und sind vollkommen abhängig von humanitärer Hilfe. Sie brauchen Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung. Es war sehr emotional für mich, dort zu arbeiten. Oft musste ich an meine eigene Kindheit im Flüchtlingslager zurückdenken: an die anderen Kinder, aber auch an die Enge, den Hunger und die Hitze.
„Meine Arbeit macht mich glücklich“
Während ich in Jamam arbeitete, bekam ich eine E-Mail von MSF. Sie boten mir einen Einsatz in Nigeria an – das erste Mal in einer leitenden Tätigkeit, und noch dazu im Ausland. Es war der schönste Moment in meinem Leben. Denn es zeigte mir, dass es sich lohnt, hart zu lernen. Ich bin stolz, dass ich es geschafft habe: vom Flüchtlingskind zum internationalen Helfer für Menschen in Not. Meine Arbeit macht mich sehr glücklich.