Besetzte palästinensische Gebiete: Bericht über die Folgen der israelischen Zwangsmassnahmen in Masafer Yatta, Westjordanland

August 2022,Masafer Yatta.

Palästinensische Autonomiegebiete5 Min.

Drohende Räumungen, abgerissene Häuser und eingeschränkte Bewegungsfreiheit: All dies gehört zum Alltag der palästinensischen Bevölkerung in Masafer Yatta und Umgebung im Süden des Westjordanlands.

In ihrem Bericht «The unbearable life: the health impacts of the Israeli measures to forcibly evict the residents of Masafer Yatta» schildert Ärzte Ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) den Druck, den die israelischen Behörden auf die Lokalbevölkerung ausüben, um diese zum Verlassen der Region zu drängen. Der Bericht beleuchtet insbesondere die Auswirkungen dieses ständigen Drucks auf die physische und psychische Gesundheit der Menschen.

«Mit meinem Land verliere ich auch mein Leben», sagt ein Bewohner des Dorfes Al-Majaz in Masafer Yatta.

Militärs dringen nachts in die Dörfer ein, erlassen Ausgangssperren und beschränken die Bewegungsfreiheit, führen Truppenübungen in der Nähe von Wohngebieten durch, beschlagnahmen Fahrzeuge und beschädigen Häuser. Sie machen den Menschen das Leben hier praktisch unmöglich.

David Cantero Pérez, Einsatzleiter in den besetzten palästinensischen Gebieten

Neben der Angst vor Räumungen leben die Menschen hier mit der konstant drohenden Gewalt.

Seit Mai 2022 haben sich die Massnahmen der israelischen Behörden verschärft, nachdem der Oberste Gerichtshof Israels die rechtlichen Hindernisse für die Zwangsumsiedlungen der Palästinenser:innen in Masafer Yatta beseitigte, um das Gebiet zur militärischen Sperrzone zu erklären. Diese Massnahmen haben verheerende Auswirkungen für die Lokalbevölkerung, deren Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und insbesondere zu medizinischer Versorgung sich seither stark verschlechtert hat.

Laut dem Bericht kommt es regelmässig vor, dass Menschen, die laut Ausweispapieren aus einem anderen Dorf stammen, nicht in die Dörfer gelassen werden, in denen unsere Teams medizinische Behandlungen anbieten. Auch Krankenwagen, die nach Masafer Yatta fahren, werden häufig aufgehalten oder ganz am Weiterfahren gehindert. Dasselbe gilt für Privatpersonen, die an zahlreichen Checkpoints kontrolliert werden, ehe sie ins Spital gelangen. Besonders gefährdete Personengruppen – wie Hochschwangere, ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Schwerkranke – sind daher praktisch gezwungen, ihre Häuser und ihre Familien zu verlassen und in die nächstgelegene Stadt Yatta zu ziehen.

Als weitere Folge dieser verschärften Massnahmen beobachten wir ein Gefühl der Ohnmacht bei den Familien, die ihren Kindern keinen Schutz bieten können. Ein Elternteil berichtet davon, dass sein Kind mitten in der Nacht von einem bewaffneten Soldaten samt Hund im eigenen Zimmer geweckt wurde. Andere ringen nach Worten, um die Verzweiflung und die Ohnmacht zu beschreiben, die sie erlebten, als ihre Kinder nach der Schule das Elternhaus zerstört vorfanden.

ZAHLEN UND FAKTEN:

  • 1981: Israel weist Masafer Yatta erstmals als militärisches Schiessübungsgelände aus.
  • 1144: Anzahl der Palästinenser:innen, die in den 12 Gemeinden von Masafer Yatta leben, darunter 569 Kinder.
  • Mai 2022: Mit einem Entscheid des Obersten Gerichtshofs Israels werden alle rechtlichen Hindernisse für die Zwangsumsiedlung der Palästinenser:innen von Masafer Yatta beseitigt, um das Gebiet zur militärischen Sperrzone zu erklären.
  • Im Zeitraum von Mai bis Oktober 2021 erklären 20,7 Prozent der Patient:innen in psychologischer Behandlung, dass in ihre Häuser eingedrungen wurde, und 3,8 Prozent berichten, dass ihr Haus zerstört wurde.
  • Im gleichen Zeitraum 2022 steigen diese Zahlen auf 39,8 und 21,8 Prozent an. Aufgrund der Zunahme dieser Vorfälle weisen mehr als die Hälfte der Patient:innen psychosomatische Symptome auf; jede vierte Person leidet unter posttraumatischen Störungen und zwei von drei Personen an Depressionen.
  • Ein Vergleich des Zeitraums von Mai bis Oktober 2022 mit dem gleichen Zeitraum des Vorjahres ergibt einen Rückgang der Gesamtzahl der von uns geleisteten Sprechstunden im Zusammenhang mit chronischen Krankheiten pro mobile Klinik um 27 Prozent. Auf Nachfrage gaben die meisten Patient:innen an, ihre Nachsorgetermine in den Kliniken nicht wahrnehmen zu können, weil sie Schwierigkeiten haben, dorthin zu gelangen. So berichten manche, dass ihr Auto von der israelischen Armee beschlagnahmt wurde. Viele hielten sich ausserdem vermehrt in der Nachbarstadt Yatta auf, um näher an den medizinischen Einrichtungen zu wohnen.
  • In Masafer Yatta, wird die Wasserversorgung regelmässig unterbrochen, Wasserspeicher werden zerstört und Tankwagen, die das Dorf mit Wasser beliefern, aufgehalten und beschlagnahmt. Der Wassermangel wird durch die herrschende Trockenheit noch verschärft.

Diese schwierigen Lebensbedingungen stellen eine enorme psychische Belastung dar

Unsere mobilen Teams bieten den Einwohner:innen von Masafer Yatta seit 2021 psychologische Unterstützung an. Der Bericht zeigt, dass die Nachfrage nach psychologischer Betreuung bei der Lokalbevölkerung, für die das Eindringen in ihre Häuser oder der Abriss derselben an der Tagesordnung steht, stark zugenommen hat. Viele weisen psychosomatische Symptome auf. Jede vierte Person in Behandlung leidet an posttraumatischen Störungen, zwei von drei Personen an Depressionen.

«Im Laufe der vergangenen Monaten haben wir mit eigenen Augen gesehen, wie die Restriktionen immer härter wurden und die Gesundheit der Bevölkerung in Masafer Yatta beeinträchtigt wurde», berichtet Cantero Pérez. «Als medizinische Hilfsorganisation verurteilen wir die Umsetzung dieser politischen Massnahmen. Wir appellieren an die israelischen Behörden, die Zwangsumsiedlungen umgehend zu stoppen und die restriktiven Massnahmen aufzuheben, die den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen und insbesondere zu medizinischer Versorgung in Masafer Yatta behindern. Dieses Leid muss ein Ende haben.»

Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, dringende Vorkehrungen zu treffen, um den Schutz der Bevölkerung von Masafer Yatta zu gewährleisten und die Wahrung ihrer Menschenrechte sicherzustellen.

Seit 2021 betreibt Ärzte ohne Grenzen in Masafer Yatta mobile Kliniken, um der Bevölkerung medizinische Hilfe anzubieten. Im Gouvernement Hebron, zu dem auch Masafer Yatta gehört, bieten wir seit 1996 psychologische Behandlungen an. In diesem Zeitraum haben unsere Teams aus erster Hand erfahren, wie die von Israel umgesetzten Zwangsmassnahmen den Alltag der Lokalbevölkerung beeinträchtigen.