EU-Innenministertreffen: Während EU-Regierungen Seenotrettung blockieren, ertrinken mehr als 600 Menschen

Mittelmeer, 2018

Libyen3 Min.

Angesichts von mehr als 600 Todesfällen im Mittelmeer in den vergangenen vier Wochen kritisieren die Hilfsorganisationen SOS Mediterranee und MSF die Behinderung der Seenotrettung durch europäische Regierungen. Die EU-Innenminister treffen sich heute zu Beratungen über die Flüchtlingspolitik in Innsbruck.

Unter den Ertrunkenen, deren Zahl von der Internationalen Organisation für Migration erfasst wird, befinden sich auch Babys und Kleinkinder. Die Zahl von mehr als 600 Toten bedeutet, dass sich fast die Hälfte aller bisherigen Todesfälle im Jahr 2018 zu einer Zeit ereignete, als kein einziges NGO-Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer aktiv war. Italien hat vor einem Monat das von SOS Méditerranée und MSF betriebene Rettungsschiff «Aquarius» daran gehindert, 630 auf See gerettete Menschen an Land gehen zu lassen. 

Politische Entscheidungen mit tödlichen Konsequenzen

«Die politischen Entscheidungen der EU-Staaten der vergangenen Wochen haben tödliche Folgen», sagt Karline Kleijer, Notfallkoordinatorin bei Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF).

Die NGO-Schiffe, die in den internationalen Gewässern zwischen Malta, Italien und Libyen im Einsatz waren, werden von Politikern beschuldigt, ein Pull-Faktor zu sein. Die jüngsten Entwicklungen im Mittelmeer zeigen jedoch, dass Menschen in ihrer Verzweiflung aus Libyen fliehen, unabhängig davon, ob Rettungsschiffe vor Ort sind oder nicht.

Es war eine kaltblütige Entscheidung, Männer, Frauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken zu lassen. Das ist unfassbar und nicht hinnehmbar. Die europäischen Regierungen müssen selbst gezielte Such- und Rettungsaktivitäten starten, statt absichtlich lebensrettende medizinische und humanitäre Hilfe für Menschen in Seenot zu behindern.

Karline Kleijer, Notfallkoordinatorin bei MSF

Die europäischen Regierungen wissen über das alarmierende Ausmass an Gewalt und Ausbeutung umfassend Bescheid, dem Flüchtlinge und Migranten in Libyen ausgesetzt sind. Trotzdem halten sie die Menschen um jeden Preis davon ab, Europa zu erreichen. Eine Schlüsselkomponente dieser Abschottungsstrategie ist es, die libysche Küstenwache auszurüsten, auszubilden und zu unterstützen. Nur dadurch ist es dieser möglich, die Menschen auf See abzufangen und nach Libyen zurückzubringen. Schiffsbesatzungen, die nicht unter libyscher Flagge fahren, würden gegen internationale Abkommen verstossen, falls sie Menschen nach Libyen zurückbrächten. Libyen ist kein sicherer Ort. Menschen, die in internationalen Gewässern gerettet werden, dürfen nicht dorthin zurückgezwungen werden, sondern müssen in Einklang mit dem Seerecht und internationalen Abkommen in einen sicheren Hafen gebracht werden.

Erhöhte Sterblichkeit auf dem tödlichsten Fluchtweg der Welt

Die libysche Küstenwache hat seit Jahresbeginn etwa 10‘000 Menschen auf dem Mittelmeer abgefangen und in Internierungslagern festgehalten, ohne Rücksicht auf die Gefahren für Leib und Leben, denen sie die Menschen dort aussetzt. Die Strategie der EU, alle Verantwortung für die Seenotrettung auf die libysche Küstenwache abzuwälzen, wird zu mehr Leid und zu weiteren Todesfällen führen.
 
Die Rettung von Menschenleben muss absolute Priorität haben. Skrupellose Schleuser setzen nach wie vor Menschen in seeuntüchtige Boote und bringen sie so in Lebensgefahr. Es ist dringend ein ausreichend ausgestattetes und funktionierendes staatliches System zur Seenotrettung im Mittelmeer nötig. Solange es dies nicht gibt, sind private Rettungsschiffe notwendig, um Menschenleben zu retten. Der Zugang zu den nächstgelegenen sicheren Häfen, ob für die Ausschiffung Geretteter oder für das Beladen mit Nachschub, muss ihnen gewährt werden.

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