Gaza: Israel muss seine Militäroffensive einstellen

Bombenangriff in Rafah, 10. Mai 2024.

Palästinensische Autonomiegebiete3 Min.

Nach dem israelischen Luftangriff auf ausgewiesene «humanitären Zonen» im südlichen Gazastreifen in Rafah ist der UN-Sicherheitsrat am Dienstag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen. Ärzte ohne Grenzen (MSF) fordert ein sofortiges Ende der Offensive in Rafah und der anhaltenden Gräueltaten im gesamten Gazastreifen. Die militärische Strategie Israels, immer wieder Angriffe auf dicht besiedelte Gebieten zu lancieren, hat unweigerlich den Tod unzähliger Zivilist:innen zur Folge.

«Familien – oft Dutzende Menschen zugleich – werden in Zelten zusammengepfercht und leben unter extrem schwierigen Bedingungen. Als die israelischen Streitkräfte Anfang Mai ihre Offensive auf Rafah intensivierten, wurden über 900 000 Menschen erneut gewaltsam in die Flucht getrieben», so Christopher Lockyear, Generalsekretär von Ärzte ohne Grenzen.

Bis zum 28. Mai wurden nach Angaben der örtlichen Gesundheitsbehörden 21 Palästinenser:innen getötet und 64 verletzt. Zuvor hatten israelische Streitkräfte ein weiteres Zeltlager für Vertriebene in Al-Mawasi, westlich von Rafah im südlichen Gazastreifen, bombardiert.

In der Nacht des 27. Mai verschärfte sich die Gewalt in der Region. Medizinisches Personal und Patient:innen einer von Ärzte ohne Grenzen unterstützten Trauma-Stabilisierungsstation in Tal Al-Sultan in Rafah mussten ebenfalls fliehen. Die medizinischen Aktivitäten in der Einrichtung kamen zum Erliegen.

Unschuldige Zivilpersonen werden abgeschlachtet. Sie werden in vermeintlich sichere Gebiete gedrängt, wo sie folglich zur Zielscheibe schwerer Kämpfe und Luftangriffe werden.

Christopher Lockyear

Diese medizinische Zwangsevakuierung erfolgte 24 Stunden nach einem Luftangriff der israelischen Streitkräfte auf eine als «sichere Zone» bezeichnete Einrichtung. Dabei wurden mindestens 49 Menschen getötet und über 250 weitere verletzt. Die Mitarbeitenden der Stabilisierungsstelle meldeten 31 Todesfälle und 180 Verwundete mit schweren Verbrennungen und Verletzungen, Schrapnellwunden oder Knochenbrüchen. Die Patient:innen wurden stabilisiert und in weiter westlich gelegene Spitäler überwiesen. Spitäler, die einen solch massiven Zustrom von Patient:innen bewältigen könnten, gibt es in der Region keine mehr. 

Vergangene Woche forderte der Internationale Gerichtshof (IGH) Israel auf, die Militäroffensive in Rafah «unverzüglich» einzustellen. Zudem solle das Land humanitäre Hilfe zulassen und dafür sorgen, dass die Hilfe jene Menschen erreicht, die sie benötigen. Passiert ist – das Gegenteil:  Die Offensive im südlichen Gazastreifen spitzt sich zu. Seit dem 6. Mai ist keine nennenswerte Hilfe mehr in die Region gelangt. Gleichzeitig laufen die systematischen Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen weiter.

Letzte Nacht schlugen immer wieder Bomben und Raketen ein. Niemand weiss genau, was gerade geschieht. Wir fürchten um unser Leben, um das Leben unserer Kinder. Es kommt alles so plötzlich. Wo sollen wir nur hin? Es ist schon schwer genug. Wir kämpfen jeden Tag ums Überleben.

Dr. Safa Jaber, Gynäkologin von Ärzte ohne Grenzen

Staaten, die Israels Militäroperationen unter diesen Umständen unterstützen, sind moralisch und politisch mitverantwortlich. Wir fordern insbesondere die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und die verbündeten Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Israel zu veranlassen, die anhaltende Belagerung und die Angriffe auf Zivilist:innen und die zivile Infrastruktur in Gaza einzustellen.

Nach fast acht Monaten Krieg steht im Gazastreifen keine einzige Gesundheitseinrichtung mehr, die mit einem Massenzustrom von Verletzten wie dem am 27. Mai fertig werden könnte. Auch das von Ärzte ohne Grenzen unterstützte Traumazentrum in Tal Al-Sultan musste den Betrieb einstellen. Anlass dafür war ein Luftangriff auf das kuwaitische Spital in Rafah am selben Tag. Dabei verloren zwei Mitarbeitende ihr Leben; das Spital wurde geschlossen. Nahezu alle Spitäler in Rafah wurden zwangsevakuiert und sind kaum noch funktionsfähig – mit verheerenden Folgen für all jene, die medizinisch versorgt werden müssen.

Hunderttausende Zivilist:innen sind einer brutalen und unerbittlichen Demonstration kollektiver Bestrafung ausgesetzt. Die Bombardierungen und umfassenden Blockaden behindern die Arbeit humanitärer Helfer:innen. Zahlreiche Menschen bezahlen dies mit dem Tod.

Karin Huster, medizinische Projektreferentin von Ärzte ohne Grenzen in Gaza

Auch im für humanitäre Organisationen kaum zugänglichen Norden der Enklave hinterlassen israelische Angriffe eine Spur der Verwüstung. Medizinische Einrichtungen stehen unter Beschuss und wurden weitgehend zerstört – darunter die Spitäler Al-Awda und Kamal Adwa.  Letzteres wurde am 28. Mai von israelischen Streitkräften bombardiert. Das Al-Aqsa-Spital in Deir al Balah sowie das Nasser-Spital in Khan Younis meldeten Treibstoffmangel. Auch dort könnte schon bald der Betrieb eingestellt werden.  

Wir rufen alle Kriegsparteien dazu auf, medizinische Einrichtungen sowie deren Personal und Patient:innen zu respektieren und zu schützen. Den Staat Israel fordern wir auf, seine Offensive auf Rafah unverzüglich einzustellen. Der Grenzübergang zu Rafah soll geöffnet und humanitäre und medizinische Hilfe vollumfänglich sichergestellt werden. Ärzte ohne Grenzen fordert einen umgehenden und dauerhaften Waffenstillstand im gesamten Gazastreifen.