Premiere: Dank humanitärer Regelung kann MSF Flüchtlingskinder in Griechenland gegen Lungenentzündung impfen

Samos, Griechenland, 15.03.2019

Griechenland3 Min.

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) haben mit der Impfung von Flüchtlingskindern auf den griechischen Inseln Chios, Samos und Lesbos begonnen. Die medizinische Nothilfeorganisation hat dabei erstmals in einem europäischen Land von einer Regelung Gebrauch machen können, die Kindern in humanitären Notsituationen den Zugang zum Pneumokokken-Konjugatimpfstoff zu einem tieferen Preis ermöglicht. Lungenentzündung ist weltweit die am weitesten verbreitete Todesursache für Kinder unter fünf Jahren. Kinder, die in prekären Verhältnissen wie in Flüchtlingslagern leben, sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt.

Die Regelung für humanitäre Notsituationen wurde im Mai 2017 gemeinsam von MSF, der Weltgesundheitsorganisation (WHO), UNICEF und Save the Children ins Leben gerufen und zielt darauf ab, zivilen Organisationen, Regierungen oder UN-Institutionen, die in humanitären Krisengebieten arbeiten, einen schnellen Zugang zu leistbaren Impfstoffen zu ermöglichen.

Es konnte erreicht werden, dass der Pneumokokken-Impfstoff für humanitäre Zwecke zu einem Sonderpreis von etwa 9 US-Dollar pro Kind (für alle drei notwendigen Dosen) zur Verfügung gestellt wird.

Lungenentzündung kann mit dem Impfstoff leicht vorgebeugt werden. Der hohe Preis verhindert aber oft den Schutz der Kinder vor dieser vermeidbaren Krankheit.

Apostolos Veizis, medizinischer Leiter von MSF in Griechenland

«Es ist ein Meilenstein, dass wir in der Lage sind, Flüchtlingskinder auch in einem «reicheren» Land zu diesem stark reduzierten Preis zu impfen. Dennoch müssen noch mehr Impfstoffe zu diesem Preis zur Verfügung gestellt werden», erklärt Apostolos Veizis, medizinischer Leiter von MSF in Griechenland. «Ausserdem müssen Regierungen, die Flüchtlingskinder aufnehmen, ebenfalls Zugang zu diesen Sonderpreisen bekommen. Alle Kinder auf der Welt sollten diesen Impfstoff zu einem erschwinglichen Preis bekommen.»

Bisher war es nur mithilfe der globalen Impfallianz Gavi möglich, den Impfstoff zu einem reduzierten Preis zu erhalten. Gavi ist eine spendenfinanzierte Organisation mit dem Ziel, ärmeren Ländern Zugang zu neueren Impfstoffen zu ermöglichen. Dadurch hatten aber Kinder in reichen Ländern – einschliesslich Kinder in Flüchtlingslagern – keinen Zugang zum Impfstoff. 

Kinder in Krisengebieten sind besonders gefährdet

«Kinder, die in Krisengebieten leben, gehören zu den am stärksten gefährdeten Kindern der Welt, erhalten aber keinen routinemässigen Schutz vor lebensbedrohlichen Krankheiten», sagt Suzanne Scheele von der Medikamentenkampagne von MSF. «Diese Regelung für humanitäre Notsituationen hat geholfen, Kinder zu erreichen, die bisher nicht vor einer vermeidbaren, lebensbedrohlichen Lungenentzündung geschützt waren.»

Wir fordern die pharmazeutische Industrie auf, Regierungen und Organisationen wie MSF den Zugang zu erschwinglichen Impfstoffen zu erleichtern, um extrem gefährdete Kinder zu schützen, die dringend geimpft werden müssen.

Suzanne Scheele von der Medikamentenkampagne Access Campaign von MSF
Samos, Griechenland, 17.03.2019

Eine Pflegefachfrau von MSF hält ein gegen Lungenentzündung geimpftes Kind in den Armen.

© Sophia Apostolia/MSF

Profit für Pharmaunternehmen

Die Pharmaunternehmen Pfizer und GSK sind derzeit die einzigen Hersteller des Pneumokokken-Impfstoffes. Es handelt sich um das teuerste Produkt im Standardimpfpaket für Kinder. Die USA lehnen Verhandlungen mit Pharmaunternehmen ab, dort liegt der Listenpreis für den Impfstoff bei bis zu 540 US-Dollar pro Kind. In Frankreich kostet der gleiche Impfstoff 189 Dollar. In kleineren Ländern wie etwa dem Libanon liegt der Preis bei 243 Dollar. In Apotheken in Griechenland kostet der Impfstoff 168 Dollar pro Kind. Seit 2009 haben Pfizer und GSK allein mit dem Pneumokokken-Impfstoff 49,1 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielt (Pfizer 43,5 Milliarden US-Dollar und GSK 5,6 Milliarden US-Dollar).

Standardimpfpaket gegen Lungenentzündung, Preis pro Kind. USA: 540 Dollar. Frankreich: 189 Dollar. Libanon: 243 Dollar. Griechenland: 168 Dollar. Humanitäre Regelung: 9 Dollar. In zehn Jahren haben Pfizer und GSK mit dem Pneumokokken-Impfstoff über 49 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielt.

Die humanitäre Regelung wurde bisher von Organisationen in mehreren Ländern mit niedrigem Einkommen genutzt, wobei MSF damit Kinder in der Zentralafrikanischen Republik, Niger, Nigeria, Südsudan und Syrien geimpft hat. Die Regelung gilt jedoch derzeit nur für diesen einen Impfstoff. Sie muss dringend auf andere Impfstoffe für den Einsatz in humanitären Krisengebieten ausgedehnt werden.

Samos, Griechenland, 15.03.2019

MSF kämpft für bezahlbaren Impfstoffe gegen Lungenentzündung weltweit.

© Sophia Apostolia/MSF

Impfstoffe sollten für alle erschwinglich sein

«Die Regelung ist eine Notlösung, die im Wesentlichen deshalb entwickelt wurde, weil die Preise für Pneumokokken-Impfstoffe zu hoch sind. Einen wirklichen Unterschied werden erst neue Hersteller machen, die erschwinglichere Impfstoffe auf den Markt bringen und das Leben von Kindern nicht mehr durch Profitgier gefährden», sagt Scheele. «Wir wollen nicht mehr in einer Welt leben, in der Impfstoffe, die vor tödlichen Krankheiten schützen, für so viele Kinder ein Luxus sind.»