Bangladesch: Fünf Herausforderungen beim Einsatz gegen Covid-19

08. April 2020, Cox's Bazaar, Bangladesch

Bangladesch4 Min.

Bangladesch ist eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt. Dort liegt auch das weltweit grösste Flüchtlingslager, Cox‘s Bazaar, in dem fast eine Million Rohingya leben. Zu den beengten und unhygienischen Verhältnissen im Camp kommt nun die Bedrohung durch die Coronavirus-Pandemie hinzu, die sich in Bangladesch ausbreitet. Im Einsatz gegen Covid-19 stehen wir dort vor fünf besonderen Herausforderungen:

1. Geflüchtete Rohingya gehören zur Risikogruppe

In Bangladesch leben viele Bevölkerungsgruppen unter prekären Lebensbedingungen oder unterhalb der Armutsgrenze. In den Geflüchtetencamps leben rund 860 000 Rohingya auf nur 26 Quadratkilometern Land. Zum Teil wohnen zehn Familienmitglieder gemeinsam in einem Zimmer. Zudem müssen die Bewohner*innen der Camps für die Ausgabe von Trinkwasser, Seife, Nahrungsmitteln und Heizmaterial stundenlang in grossen Gruppen warten. Unter diesen Umständen ist es fast unmöglich, physischen Abstand zu halten.

Nach jahrzehntelanger Verfolgung und der Verwehrung von medizinischer Versorgung in Myanmar ist der Gesundheitszustand vieler Rohingya schlecht. So haben viele beispielsweise keinerlei Routineimpfungen erhalten, was sie besonders anfällig für Infektionskrankheiten macht. Und bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 wiesen etwa 30 Prozent der von uns behandelten Patient*innen Erkrankungen der Atemwege auf. Dies macht sie zu einer Hochrisikogruppe für das neuartige Virus.

 

Cox's Bazar, 02 Avril 2020, Bangladesch

Eine der neuen Isolierstationen des MSF-Feldspitals in Kutupalong, Cox's Bazar

© MSF/Daniella Ritzau-Reid

2. Humanitäre Hilfe muss weiterhin möglich sein

Das Gesundheitssystem in Bangladesch wurde zwar neu ausgerichtet, um auf die Coronavirus-Pandemie reagieren zu können. Gleichzeitig wurde jedoch die humanitäre Hilfe erheblich eingeschränkt. Dabei werden weiterhin Mütter entbinden, Kinder an Durchfall erkranken und chronisch Erkrankte Medikamente benötigen. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass wir unsere überlebenswichtigen, lebensrettenden Aktivitäten aufrechterhalten.

Reisebeschränkungen, obwohl sie zu den wichtigsten Massnahmen zur Eindämmung von Covid-19 gehören, beeinträchtigen die Gesundheitsversorgung. In der letzten Woche kam eine Patientin unter Tränen in unserer Klinik an. Nachdem sie fünf Tage gebraucht hatte, um den Transport zu uns zu organisieren, hatte sie Angst, von uns abgewiesen zu werden. Gleichzeitig begünstigen die Monsunregenfälle den Ausbruch von Krankheiten, die durch Wasser übertragen werden wie beispielsweise Cholera. Die Aufrechterhaltung der Sanitär- und Abwasserentsorgungsinfrastruktur in den Camps ist daher umso wichtiger. 
 

3. Vertrauen & Aufklärung sind essentiell

Aufgrund unserer Erfahrung im Umgang mit Infektionskrankheiten wissen wir, wie wichtig Aufklärung und der Einbezug der Gemeinschaften ist. Die Menschen in Bangladesch sind verständlicherweise verängstigt. Gerüchte und Fehlinformationen können sich genauso schnell verbreiten wie das Virus. Ein weit verbreitetes Gerücht unter den geflüchteten Rohingya ist es, dass sie bei einer Diagnose mit Covid-19 von ihren Familien getrennt und getötet werden. Diese Angst hält sie davon ab, überlebenswichtige Behandlungen in unseren Kliniken wahrzunehmen. So haben wir in den letzten Wochen einen starken Rückgang der Konsultationen erlebt.

Wir versuchen die Menschen darüber aufzuklären, wie die Ausbreitung von Covid-19 verhindert werden kann, indem unsere Einsatzteams in den Camps und den benachbarten Dörfern von Haus zu Haus gehen. So können grössere Menschenansammlungen vermieden werden. Darüber hinaus haben wir angesichts der Internetbeschränkungen kurze Videos gedreht, die die Menschen über Bluetooth austauschen können.

08. April 2020, Cox's Bazaar, Bangladesch

Kawsar Mohammad Shamim, Leiter des Bereichs Wasser und Abwasser, und Opu Biswas, Verantwortlicher der Pflegefachpersonen, zeigen den neuen Gesundheitsmitarbeitenden in Cox’s Bazard, wie man die Schutzausrüstung anzieht.

© MSF/Daniella Ritzau-Reid

4. Der Schutz medizinischen Personals muss gewährleistet sein

Medizinisches Personal ist beim Einsatz gegen Covid-19 besonders gefährdet. Ohne dieses kann die drohende Gesundheitskrise jedoch weder eingedämmt, noch andere medizinische Behandlungen durchgeführt werden. In Bangladesch, wie auch im Rest der Welt, gibt es einen Mangel an Schutzausrüstung wie Masken, Kitteln und Schutzbrillen. Wir werden unsere Mitarbeiter*innen keinesfalls unnötigen Infektionsrisiken aussetzen, was jedoch auch bedeutet, dass dies unsere Arbeit einschränkt.

Während es Solidaritätsbekundungen für medizinisches Personal auf der ganzen Welt gibt, erleben unsere Mitarbeiter*innen aufgrund von Angst und Unwissenheit verbale Beschimpfungen oder Drohungen. Doch wenn sich Beschäftigte im Gesundheitswesen bei der Ausübung ihrer Arbeit unsicher fühlen oder nicht unterstützt werden, können sie im Einsatz gegen Covid-19 nicht effektiv sein.

5. Covid-19 können wir nur mit Solidarität eindämmen

In Cox’s Bazaar bauen wir zurzeit zwei spezialisierte Behandlungszentren auf. In unseren medizinischen Einrichtungen wurden Isolierstationen mit insgesamt 300 Betten eingerichtet. Bei einem Ausbruch in den Camps würde dies jedoch nicht reichen. Schwere Fälle können wir nicht behandeln, wenn es an Beatmungsgeräten fehlt und die Verfügbarkeit von konzentriertem Sauerstoff begrenzt ist.

Um gegen Covid-19 einsatzbereit zu bleiben, haben wir zahlreiche lokale Mitarbeiter*innen aus Bangladesch rekrutiert. Währenddessen führen die Reisebeschränkungen dazu, dass etwa ein Drittel unseres internationalen Personals, das in dieser Krise eingesetzt werden sollte, derzeit ausserhalb des Landes festsitzt. Über den Bedarf an medizinischem Personal hinaus benötigen wir Manager*innen, die unsere Spitäler leiten, Logistiker*innen und viele mehr. Trotz dieser Schwierigkeiten arbeiten wir rund um die Uhr. Um eine reale Chance zu haben, Covid-19 zu besiegen, müssen alle Gesundheitsakteure und Behörden solidarisch Hand in Hand zusammenarbeiten.