Bekämpfung von Masern in Zeiten von Covid-19
© MSF/Carol Bottger
Demokratische Republik Kongo4 Min.
Die Kinderpflegefachfrau Vera Schmitz war Teil eines Teams von Ärzte ohne Grenzen, das im Schatten der neuen Bedrohung durch Covid-19 in der DR Kongo Tausende von Kindern gegen Masern geimpft hat. Sie schildert die spezielle Lage.
«Ansteckende Krankheiten sind in der Demokratischen Republik Kongo nichts Neues. Ebola, Masern, Cholera – immer wieder gibt es Ausbrüche, und es erkranken und sterben zahlreiche Menschen.
Nichts Neues – nicht für die DR Kongo und nicht für uns als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, die wir seit Jahrzehnten hier im Land tätig sind.
Nichts Neues auch für mich – seit November bin ich in der DR Kongo unterwegs. Anfangs aufgrund von Ebola, seit Ende Januar im Rahmen der Masernepidemie. Drei Impfkampagnen haben wir seither durchgeführt und über 82 000 Kinder geimpft. Immer wieder dasselbe also, könnte man denken. Dem ist aber nicht so.
Eine andere Provinz, ein anderer Ort, andere Menschen und andere Umstände: Kein Einsatz ist wie der andere. Den grössten oder doch zumindest den spürbarsten Unterschied macht heute aber die aktuelle Covid-19-Pandemie.
Dabei gibt es in den beiden Provinzen unserer Einsatzorte (noch) keine bestätigten Fälle. Doch die Angst der Menschen ist greifbar und sie ist überall.
Nach unserer Ankunft in der Provinz Sud Ubangi im Nordwesten des Landes war die erste Reaktion der Bevölkerung Angst vor Covid-19. Ein positiver Fall in ihrer Stadt – das schien für viele der wahrscheinlichste Grund für das Erscheinen von Ärzte ohne Grenzen.
Es gibt viele Zweifel, viele Unsicherheiten. Diese ernst und wichtig zu nehmen, ist unabdingbar.
Die Welt ist fest im Griff des Coronavirus und versucht mit allen Mitteln, dem Virus entgegenzuwirken. Das ist richtig und wichtig, vor allem solange es weder Medikamente noch einen verlässlichen Impfstoff gibt – global und für alle Menschen verfügbar und erschwinglich.
Doch dabei darf eins nicht vergessen werden – «nur» aufgrund einer Pandemie verschwinden andere Krisen nicht einfach.
Die Masern in der DR Kongo sind eine Epidemie in einer Pandemie. Wenn wir die Masern jetzt ignorieren – dann riskieren Patienten später Ko-Infektionen mit Masern und Covid-19, plus eine zusätzliche Belastung des ohnehin schon geschwächten Gesundheitssystems.
Und noch etwas anderes darf inmitten aller berechtigten Fragen, ob dies nun wirklich der beste Zeitpunkt für eine Massenimpfkampagne sei, nicht vergessen werden: Hier in Sud Ubangi ist Covid-19 derzeit noch «nur» eine Bedrohung.
Die Masern sind real. Kinder sterben daran. Und das Tragische: es wäre vermeidbar.
Es gibt einen Impfstoff. Daher müssen wir jetzt alles tun, um die aktuelle Epidemie zu stoppen, um so viele Kinder wie möglich jetzt und für später gegen diese tödliche Krankheit zu schützen.
Doch haben wir auch den Auftrag, niemanden einem vermeidbaren Risiko auszusetzen. Darum haben wir uns der Situation angepasst. Social distancing inmitten einer Impfkampagne klingt paradox – aber nicht unmöglich.
Die Warteschlangen sind abgetrennt, extra schmal und extra lang – um die Menschenmassen auseinanderzuziehen. Familien sind angewiesen, Abstand voneinander zu halten – und ja, das funktioniert! Ein grosser obligatorischer Händewaschstützpunkt ist vor dem Betreten für alle Eltern und Kinder eingerichtet worden. Die Orte, an denen wir impfen – üblicherweise Kirchen, Schulen oder auch ein bedachter Unterstand –, sind in der Regel besonders gross und bieten genügend Platz. Dies ermöglicht den nötigen Abstand zwischen den verschiedenen Stopps, wie Registrierung, Impfung und Datenerfassung. Zusätzliches Personal erlaubt uns zudem eine bessere Kontrolle und Einweisung der Bevölkerung. Ausserdem sind die Impfpersonen mit entsprechender Schutzkleidung ausgestattet.
Doch fast noch wichtiger ist die verstärkte Kommunikation und Sensibilisierung der Bevölkerung. Alle kennen die Masern – aber Covid-19 ist neu, was zu Falschinformationen und Gerüchten geführt hat.
Falschinformationen in den Medien haben dazu geführt, dass ein starkes Misstrauen gegen Impfungen generell entstanden ist. Es bedarf also besonders viel sensibler Aufklärung.
So arbeiten wir nun eng mit einflussreichen Persönlichkeiten aus den verschiedenen Bevölkerungsschichten zusammen, lassen diese in vielgehörten Radios zu Wort kommen. Während der Impfkampagne selbst geht ein Teil des Teams von Tür zu Tür, um im direkten Gespräch Fragen zu beantworten und Zweifel auszuräumen.
Ich hoffe sehr, dass sich die Pandemie in dieser Region doch irgendwie noch in Grenzen hält. Und dass die Welt wieder zu atmen beginnt. Doch können wir es uns alle nicht leisten, den Atem anzuhalten und die anderen Krisen zu vergessen. Wir werden neue Wege finden müssen, diese zu bewältigen.
Doch es ist auch eine Chance – eine Chance Neues zu lernen, sich auf Wichtiges zu besinnen und sich gegenseitig solidarisch zu zeigen. Denn Solidarität brauchen wir derzeit wohl alle.»
© MSF/Carol Bottger