Covid-19 : Brief unseres internationalen Präsidenten
© Pierre-Yves Bernard/MSF
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Wir bei Ärzte ohne Grenzen waren bei unserer Tätigkeit in den letzten 50 Jahren schon öfter mit «Ausnahmesituationen» konfrontiert. Um eine solche handelt es sich auch jetzt. Wir befinden uns mitten in einer weltweiten Pandemie, die jeden von uns betrifft: unsere Familie, unsere Freunde, unsere lokalen Gemeinschaften und natürlich auch die Menschen, die wir unterstützen.
Während ich diese Zeilen schreibe, hat das Virus Covid-19 bereits mehrere Länder erfasst und wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zweifellos auf weitere Bevölkerungen ausweiten. Wir möchten unsere Solidarität mit allen betroffenen Menschen bekunden. Mit vollen Kräften unterstützen wir die Massnahmen im Kampf gegen die Epidemie überall dort, wo es uns möglich ist. Aufgrund unserer Erfahrung als medizinische Notfallorganisation und unseres Fachwissens in der Epidemiologie wissen wir, wie schwierig es sein kann, Hilfsmassnahmen festzulegen und zu manchmal schwierigen Entscheidungen zu stehen.
In den meisten Ländern, in denen Ärzte ohne Grenzen arbeitet, handeln wir in Absprache mit der Weltgesundheitsorganisation und den jeweiligen Gesundheitsbehörden, um unseren Beitrag zur Behandlung der zahlreichen Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind, zu leisten. Daneben organisieren wir Fortbildungen und intensivieren in den Gesundheitseinrichtungen unsere Anstrengungen in den Bereichen Prävention und Infektionskontrolle, um das Gesundheitspersonal und die Patienten zu schützen.
Auch wenn unsere Fähigkeit, auf diese Pandemie im erforderlichen Umfang zu reagieren, begrenzt ist, sind wir bereits in mehreren Ländern aktiv geworden oder haben unsere Unterstützung angeboten.
- In Italien, das nach China am stärksten betroffene Land, unterstützt Ärzte ohne Grenzen vier Spitäler im Epizentrum der Epidemie im Norden des Landes.
- In Frankreich und Belgien helfen wir bei der Behandlung besonders hilfsbedürftiger Bevölkerungsgruppen wie Obdachlose und Migranten.
- In Hongkong leisten unsere Teams Aufklärungsarbeit in Bezug auf die Hygieneregeln und unterstützen seit mehreren Wochen die psychologische Betreuung von hilfsbedürftigen Gruppen.
- In Griechenland stehen unsere Teams in Kontakt mit den Gesundheitsbehörden, um die Hilfsmassnahmen zugunsten der lokalen Bevölkerung und von Asylbewerbern zu koordinieren, die an Covid-19 leiden.
- Im Iran, in Afghanistan, in Kirgisistan und in anderen Ländern, in denen wir Projekte leiten, haben wir die Gesundheitsbehörden kontaktiert, um ihre Bedürfnisse zu ermitteln und unsere Unterstützung anzubieten.
- In der Schweiz, insbesondere in Genf, steht Ärzte ohne Grenzen in engem Kontakt mit den Gesundheitsbehörden und mit Verbänden für Benachteiligte, um zu klären, welche Massnahmen angesichts des Covid-19 Ausbruchs ergriffen werden können.
Wir bemühen uns aber auch, unsere regulären medizinischen Projekte weltweit aufrechtzuerhalten, damit Hunderttausende Menschen weiterhin Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Dies ist gerade unter solch heiklen Bedingungen besonders wichtig.
Die aktuelle Situation stellt uns vor massive Herausforderungen: Die Mobilitätsbeschränkungen erschweren es unseren Mitarbeitenden, zu unseren Projekte zu gelangen. Ein weiteres Problem sind Engpässe beim medizinischen Material, insbesondere bei der Schutzausrüstung, sowohl für unsere regulären Projekte als auch für Einsätze im Zusammenhang mit Covid-19. Es ist weiterhin ungewiss, in welchem Ausmass sich diese Krise auf die Wirtschaft, unsere eigenen finanziellen Mittel und die Fähigkeit unserer Spenderinnen und Spender, uns weiterhin zu unterstützen, auswirkt. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es uns dank gemeinsamer Anstrengungen und mit Ihrer Unterstützung gelingt, Lösungen zu finden.
Covid-19 wird die Medien in nächster Zeit ganz klar dominieren. Dennoch fühlen wir uns verpflichtet, an das grosse Leid anderer bedürftiger Bevölkerungsgruppen zu erinnern – an Menschen, die durch diese Krise etwas in Vergessenheit geraten. Die Ebola-Epidemie in der Demokratischen Republik Kongo scheint allmählich unter Kontrolle zu sein, das ist eine gute Nachricht. Doch unsere Teams helfen bei zahlreichen anderen Krisen, wo die Menschen täglich um ihr Überleben kämpfen müssen.
Das Virus kennt keine Grenzen und auch die kollektive Reaktion auf diese Pandemie muss grenzüberschreitend stattfinden. Es muss sichergestellt werden, dass das Hilfsmaterial transportiert werden kann, das Pflegepersonal geschützt ist und die nötige Unterstützung erhält, um dort medizinische Soforthilfe leisten zu können, wo es nötig ist. Wenn die Gesundheitsbehörden ihre Daten, ihr Wissen, finanzielle und personelle Ressourcen untereinander teilen, besteht eine Chance, der weltweiten Zunahme der Fälle entgegenzuwirken.
Dazu braucht es aber auch die besten Diagnoseinstrumente, wirksame Behandlungen und eine Impfung, die für alle erhältlich ist. Es ist wichtig, dass bei den Bemühungen im Kampf gegen diese Pandemie niemand vernachlässigt wird.
Beim Coronavirus-Ausbruch handelt es sich um einen internationalen Gesundheitsnotstand. Bei Notlagen zu helfen, ist Sinn und Zweck von Ärzte ohne Grenzen. Hilfsbedürftige Menschen zu behandeln und ihnen zur Seite zu stehen, ist das, was wir am besten können. Überall auf der Welt verfügen wir über professionelle und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dort helfen, wo sie dringend gebraucht werden. Doch das ist nur dank Ihrer Unterstützung möglich!
Vielen Dank.
Christos Christou, internationaler Präsident von Ärzte ohne Grenzen
© Pierre-Yves Bernard/MSF