DR Kongo: Stimmen aus Nord-Kivu

Frauen waschen Kleider in einem Geflüchtetencamp. DR Kongo, Mai 2023.

Demokratische Republik Kongo10 Min.

Im vergangenen Jahr eskalierte der Konflikt in Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Rund eine Million Menschen mussten dadurch ihre Heimat verlassen. Die meisten flohen innerhalb der Provinz, und viele haben sich in der Umgebung der Provinzhauptstadt Goma niedergelassen. Mehr als 80 000 Menschen sind seit Anfang 2023 in die Nachbarprovinz Süd-Kivu übergesiedelt. Gerade in entlegenen, schwer zugänglichen Gebieten wie Hauts Plateaux leiden die Betroffenen im Stillen. Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) hat daher einen Nothilfeeinsatz in den Städten Minova und Numbi in Süd-Kivu gestartet.

Ein MSF-Mitarbeiter geht durch eine Station voller Patienten im Minova General Referral Hospital in der Provinz Süd-Kivu. DR Kongo, Mai 2023.

Ein MSF-Mitarbeiter geht durch eine Station voller Patienten im Minova General Referral Hospital in der Provinz Süd-Kivu. DR Kongo, Mai 2023.

© Charly Kasereka/MSF

«Seit unserer Flucht sind vier meiner Kinder krank geworden.»

Haruna*, 49, stammt aus Karuba in Nord-Kivu. Sie lebt nun mit ihrem Mann und ihren acht Kindern im Alter von 1 bis 19 Jahren in einer Siedlung für Binnenvertriebene in Bweremana an der Grenze zwischen Nord- und Süd-Kivu.

«Wir wussten, dass die Gewalt näher rückte. Als der Krieg am 20. Februar mein Dorf erreichte, fingen Bewaffnete an, Menschen anzuschiessen. Einer meiner Söhne und seine schwangere Frau wurden getroffen und starben. Wir sind mit dem Rest der Familie geflohen. Hier in Bweremana fand vor kurzem eine Lebensmittelverteilung statt. Doch ausgerechnet an dem Tag war ich mit einem meiner Kinder wegen Malaria und Masern im Spital. Mein jüngster Sohn leidet an Masern und Mangelernährung. Diesmal wurden wir ins Spital in Minova verwiesen. Seit unserer Flucht sind bereits vier meiner Kinder krank geworden. Einige von ihnen hatten sich vorher schon mit Cholera angesteckt. Ob sich die Lage bald bessert? In meinem Dorf herrscht noch immer viel Unsicherheit. Ich habe wenig Hoffnung.»

*Pseudonym, ohne Foto

Bakongo ist 77 Jahre alt und lebt in einer Siedlung für Binnenvertriebene an der Grenze zwischen Nord- und Süd-Kivu.

Bakongo ist 77 Jahre alt und lebt in einer Siedlung für Binnenvertriebene an der Grenze zwischen Nord- und Süd-Kivu. DR Kongo, Mai 2023.

© Charly Kasereka/MSF

«Die Gewalt war schon lange unser Feind. Nun haben wir einen weiteren – die Mangelernährung.»  

Bakongo ist 77 Jahre alt und stammt aus Kalenga in Nord-Kivu. Er lebt derzeit in einer Siedlung für Binnenvertriebene in Bweremana an der Grenze zwischen Nord- und Süd-Kivu.

«Der Krieg hat mich vertrieben, zum ersten Mal. Er tötete meine Mutter und nahm mir meine Frau. Ich konnte nichts aus Kalenga mitnehmen. Nach einem zweitägigen, 55 km langen Fussmarsch erreichten wir Bweremana. Die Reise war sehr anstrengend. Seit Februar hatten wir keine Hilfe mehr erhalten.

Mit der Gewalt hatten wir seit langem einen Feind. Jetzt haben wir einen weiteren – die Mangelernährung. Wir müssen in die Stadt gehen und um Essen und Geld betteln. Oft verbringe ich drei Tage hintereinander ohne zu essen. Ich bekomme höchstens Süsskartoffeln und ein wenig Maniok. Vor dem Konflikt hatte ich eigenes Ackerland; hungern mussten wir nie. Für Mütter ist es besonders schmerzhaft, wenn sie nichts für ihre Kinder haben. Die Unterkünfte sind nicht gut; man kann sich hier leicht Durchfall und Cholera holen.»

Rehema, 35, lebt mit ihren drei Kleinkindern und dem Baby Innocent in Numbi, Süd-Kivu. Sie sind vor der Gewalt aus Nord-Kivu geflohen. DR Kongo, Mai 2023.

Rehema, 35, lebt heute mit ihren drei Kleinkindern und dem Baby Innocent in Numbi, Süd-Kivu. Sie sind vor der Gewalt aus Nord-Kivu geflohen. DR Kongo, Mai 2023.

© Igor Barbero/MSF

«Ich werde verrückt, wenn ich daran denke, dass meine Kinder die ganze Nacht nichts zu Essen haben.»

Die 35-jährige Rehema stammt aus Rubaya, Masisi, Nord-Kivu. Sie lebt jetzt mit drei Kleinkindern und dem Baby Innocent in Numbi, Süd-Kivu.

«Wir hatten von den Gewalthandlungen in der Region gehört, doch in Rubaya wähnten wir uns erstmal in Sicherheit. An einem Tag im Februar sah ich, wie Bewaffnete den Hügel herunterliefen; es wurde geschossen. Länger wollte ich nicht warten. Wie Hunderte andere aus unserem Dorf ergriffen wir die Flucht. Ich konnte nichts mitnehmen, nur meine vier Kinder. Mein Mann floh mit seiner zweiten Frau. Wir übernachteten in Ngungu, waren aber auch dort nicht in Sicherheit. Erst in Numbi liessen wir uns nieder. Ich kannte einige Leute, die schon länger dort lebten. In Masisi kommt es immer wieder zu Übergriffen. Dies war das dritte Mal, dass ich fliehen musste. Die anderen beiden Male kamen wir vorübergehend bei Bauernfamilien unter.

Jetzt arbeite ich hier und schleppe grosse Säcke mit Kohle mit mir herum, unter anderem nach Kalungu. Eines meiner Kinder kümmert sich um das Baby, und die anderen helfen mir. Wir brauchen fünf Stunden für den Hinweg und fünf Stunden für den Rückweg. Es ist sehr anstrengend, weil es viele steile Hänge gibt. Abends schmerzen meine Füsse. Für diese Arbeit erhalten wir jedes Mal etwa 3000 Kongolesische Franken (CHF 1.50), womit ich die monatliche Miete für das Zimmer von 15 000 Kongolesischen Franken (CHF 7.30) bezahlen kann. Mit dem Geld, das mir danach noch bleibt, kaufe ich Mais und Seife. Ich werde verrückt, wenn ich daran denke, dass meine Kinder die ganze Nacht hungern müssen. In Masisi haben wir früher viermal am Tag gegessen. Unsere Mahlzeiten waren immer reichhaltig und ausgewogen. Damals kamen jeden Tag Kartoffeln, Bohnen und Mais auf den Tisch. Jetzt essen wir nur noch einmal – und zwar immer das Gleiche.

Geld für neue Kleidung habe ich nicht. Wir haben keine Dusche, also müssen wir uns nachts im Dunkeln waschen, um ein wenig Privatsphäre zu haben. Wir haben auch keine Toilette; oft fragen wir die Nachbarn, ob wir ihre Latrine benutzen dürfen. Zur Wasserstelle brauchen wir zu Fuss 15 Minuten. Aber im Dunkeln können wir nicht dorthin laufen. Daher stehen wir manchmal ganz ohne Wasser da. Ich habe keine humanitäre Hilfe erhalten. Mein Baby hat Durchfall, und ich konnte in den letzten Tagen nicht arbeiten. Solange kein Frieden einkehrt, geht unser Leid weiter.»

Maniriho, 20, ist mit ihrem Mann und ihren vier Kindern vor dem Krieg nach Süd-Kivu geflohen. DR Kongo, Mai 2023.

Maniriho, 20, ist mit ihrem Mann und ihren vier Kindern vor dem Krieg nach Süd-Kivu geflohen. DR Kongo, Mai 2023.

© Igor Barbero/MSF

«Die Reise ins Spital hat einen ganzen Tag gedauert.»

Maniriho ist 20 Jahre alt. Sie stammt aus Karuba, Masisi, Nord-Kivu. Seit einiger Zeit lebt sie aber mit ihrem Mann und ihren vier Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und sechs Jahren in Lumbishi, Süd-Kivu.

«Seit zwei Monaten harren wir in Lumbishi aus. Wir sind vor dem Krieg geflohen, der meine Mutter und meinen Vater aus dem Leben gerissen hat. Zunächst waren wir in einer Kirche untergebracht, doch dann wurde uns eine eigene Unterkunft zur Verfügung gestellt. Wir leben zu sechst in einem sehr kleinen Zimmer. Wir haben uns entschieden, nach Lumbishi zu kommen, weil man hier als Tagelöhner etwas Geld verdienen kann. Ich erhalte etwa 2000 kongolesische Francs (CHF 1.00) für einen Tag Arbeit auf dem Feld.

Mein jüngstes Kind hat Masern und wurde vor drei Tagen in das Spital in Numbi eingeliefert. Es ist bereits das dritte Kind, das sich mit der Krankheit angesteckt hat. Das Gesundheitszentrum in Lumbishi hat uns hierher geschickt. Der Dienst ist kostenlos. Ich habe nach einer Fahrgelegenheit für uns gesucht, aber es war unmöglich, einen Motorradfahrer zu finden. Die Strasse war aufgrund der starken Regenfälle in einem sehr schlechten Zustand. Ich habe einen ganzen Tag gebraucht, um zum Spital zu gelangen. Bis auf die Hilfe von der Kirche erhalten wir überhaupt keine Unterstützung. Ich denke, es wird sehr schwer werden, nach Hause zurückzukehren.»

Birandala, 52, und seine Frau Riziki, 48, sind fast ihr ganzes Leben lang wegen verschiedenen Konflikten auf der Flucht. DR Kongo, Mai 2023.

Birandala, 52, und seine Frau Riziki, 48, sind fast ihr ganzes Leben lang wegen verschiedenen Konflikten auf der Flucht. Zuletzt sind sie von Nord- nach Süd-Kivu geflohen. DR Kongo, Mai 2023.

© Charly Kasereka/MSF

«Immer wieder bei Null anfangen»

Birandala, 52, und seine Frau Riziki, 48, waren ihr ganzes Leben lang unterwegs – und das alles andere als freiwillig: Zuletzt sind sie von Rubaya in Masisi, Provinz Nord-Kivu, nach Numbi in Süd-Kivu geflohen. Sie haben insgesamt elf Kinder (sieben Jungen und vier Mädchen) im Alter zwischen 13 und 32 Jahren. Neun davon leben mit ihren Eltern in Numbi.

«Wir haben uns vor 36 Jahren in Kitchanga kennengelernt, wo wir einen Teil unseres Lebens verbracht haben. Verschiedene Konflikte und bewaffnete Aufstände haben uns mehrmals gezwungen, aus unserer Heimat zu fliehen. Das erste Mal war 1997 und wir wurden in den Jahren 2001, 2013, 2019 und 2022 erneut vertrieben. Jedes Mal verliessen wir unser Dorf für einige Jahre. Und jedes Mal, wenn sich die Lage stabilisierte, kehrten wir wieder nach Kitchanga zurück.

Zwischen 1997 und 2000 lebten wir in Bweremana bei einer Gastfamilie und zwischen 2001 und 2004 bei einer Gastfamilie in Minova. Zwischen 2013 und 2018 wohnten wir in einer grossen Anlage für Binnenvertriebene in Muganga, in der Nähe von Goma. Zwischen 2019 und 2022 hielten wir uns in Rubaya auf, ebenfalls bei einer Gastfamilie. Jetzt in Numbi haben wir eine kleine Unterkunft. Dafür arbeite ich: Ich koche Nyama Choma (gegrilltes Fleisch) und verdiene 4000 kongolesische Francs (ca. CHF 2.00) pro Tag.

Humanitäre Hilfe haben wir in all der Zeit kaum erhalten. Nur in Muganga hatten wir eine eigene Notunterkunft, und es wurden regelmässig Lebensmittel und Hilfsgüter verteilt. Sonst erhielten wir nichts oder nur hin und wieder, wie beispielsweise in Bweremana. Hier in Numbi erhielten wir drei Monate lang humanitäre Hilfe, mussten aber eine lange Reise auf uns nehmen, um die Güter abzuholen.

Unsere Angehörigen sind über die ganze Region verstreut, die meisten von ihnen leben am Stadtrand von Goma. Alle unsere 13 Kinder wurden an verschiedenen Orten geboren. Zwei sind gestorben, als wir 2019 aus unserem Haus flohen. Während der Flucht wurden meine Frau und ich getrennt. Ich hatte zwei der Kleinen bei mir und Riziki die anderen neun. In der Verwirrung wurden zwei der Kinder zu Hause zurückgelassen und starben dort. Wir merkten es erst zwei Monate später, als wir wieder vereint waren.

Unser ältester Sohn lernte seine Frau im Vertriebenenlager von Muganga kennen. Die beiden leben nun mit ihren drei Kindern ebenfalls in Numbi. Unser zweitältester Sohn ist in Walikale, aber wir haben seit drei Jahren nichts mehr von ihm gehört. Die anderen neun Kinder leben hier bei uns. Einige von ihnen arbeiten hier, sie liefern Waren nach Kalungu. Der Jüngste konnte einige Jahre lang zur Schule gehen – die anderen wurden erst gar nicht eingeschult.

Sobald sich die Lage beruhigt, versuchen wir, wieder nach Hause zurückzukehren. Teilweise hatten wir ein gutes Einkommen. Ich verkaufte in Kitchanga Kühe, und wir hatten Felder, die wir bewirtschaften konnten. Aber wir mussten alles aufgeben, unsere Ersparnisse und unsere Lebensgrundlage. Jedes Mal, wenn wir flohen, mussten wir wieder von vorne anfangen. Wenn man alles hinter sich lässt, gibt es nur ein paar Dinge, die wirklich zählen: dass man gesund ist, etwas zu essen hat und einen Platz zum Schlafen findet.

Wir haben alle Arten von Krankheiten durchgemacht. Eines unserer Kinder hatte einen Leistenbruch, weil es so weit laufen musste. Meine Frau erblindete durch einen Unfall auf der Flucht auf dem rechten Auge. Manchmal verbrachten wir mehrere Tage am Stück ohne Nahrung und Wasser, so dass ich dachte, ich würde verrückt werden. Was uns Kraft gibt, ist die Liebe, die wir füreinander und für unsere Kinder haben. Wenn ich der Welt eine Botschaft senden könnte, dann wäre es die, dass wir dringend Frieden brauchen.»

Josephine, 32, ist eine alleinerziehende Mutter und war etwa einen Monat nach Süd-Kivu mit ihren sieben Kindern unterwegs. DR Kongo, Mai 2023.

Josephine, 32, ist eine alleinerziehende Mutter und war etwa einen Monat nach Süd-Kivu mit ihren sieben Kindern unterwegs. DR Kongo, Mai 2023.

© Igor Barbero/MSF

«Alles, was ich noch habe, liegt in meinen Armen.»

Josephine, 32, ist eine alleinerziehende Mutter aus Walikale, Nord-Kivu. Anfang Februar liess sie sich mit ihren sieben Kindern in Numbi, Süd-Kivu, nieder. Valentin ist mit seinen 18 Monaten der Jüngste.

«Mein jüngster Sohn leidet an Masern und Malaria. Nach sechs Tagen Behandlung begann sich sein Zustand zu verbessern und jetzt isst er wieder. Zuerst dachte ich, es sei nur Malaria und habe ihm selbst Medikamente gegeben. Als es ihm nicht besser ging, brachte ich ihn ins Spital. Normalerweise gehe ich in die Stadt Shange, um um Essen zu betteln. Manche Leute geben mir Kartoffeln.

Ärzte ohne Grenzen versorgt die Patient:innen im Spital mit Essen und Seife, aber nach unserer Entlassung erhalten wir keine Unterstützung mehr. Ich denke oft daran, aufzugeben. Aber ich mache mir solche Sorgen um meine Kinder, dass ich für sie weiterkämpfe. Wir haben einen Monat gebraucht, um Numbi zu erreichen. Dabei sind wir mitten durch den Busch gelaufen. Die Kinder hatten grosse Schmerzen, ihre Beine waren geschwollen. Unterwegs nahm uns eine bewaffnete Gruppe alles weg. Alles, was ich jetzt noch habe, liegt in meinen Armen.»

Chance (rechts), 22, traf Ashaf (links), 30, auf der Flucht vor Gefechten aus Nord-Kivu. Seit Februar haben sie Zuflucht in einer Schule in Minova in Süd-Kivu gefunden. DR Kongo, Mai 2023.

Chance (rechts), 22, traf Ashaf (links), 30, auf der Flucht vor Gefechten aus Nord-Kivu. Seit Februar haben sie Zuflucht in einer Schule in Minova in Süd-Kivu gefunden. DR Kongo, Mai 2023.

© Igor Barbero/MSF

«Meine Familie ist überall verstreut – und ich bin ganz allein.»

Der 22-jährige Chance (rechts) stammt aus dem Dorf Bukombo in Nord-Kivu. Er lernte den 30-jährigen Ashafa (links) kennen, als sie gemeinsam vor den Kämpfen flohen. Seit Ende Februar sind die beiden in einer Schule in Minova, Süd-Kivu, untergebracht.

«Meine Mutter wurde getötet, mein Vater entführt. Unsere ganze Familie ist verstreut und jetzt bin ich komplett auf mich allein gestellt. Es ist nicht leicht, an Essen zu kommen; wir legen dafür weite Strecken zurück. Auch Wasser gibt es kaum. Ausserdem habe ich mich mit Malaria angesteckt und vertrage die Medikamente sehr schlecht. Weit weg von zu Hause zu sein, in einer anderen Provinz, ist hart für mich. Wir fuhren in einem Lastwagen los, aber bewaffnete Männer bewarfen uns mit Sprengstoff. Einige Mitreisende überlebten den Angriff, andere starben. Danach gingen wir drei Tage zu Fuss – und liessen uns schliesslich hier nieder.»