DR Kongo/Uganda: Geschichten der Flucht
© John Wessels / MSF
Demokratische Republik Kongo4 Min.
Menschen, die in den Busch gejagt und ermordet werden, systematisch abgebrannte Häuser – kongolesische Flüchtlinge berichten Grausames.
«Das ist das erste Mal, dass ich aus der DR Kongo fliehe», erklärt der 53-jährige Imani, der während des Krieges in den 2000er Jahren in Ituri blieb. «Dieses Mal ist es anders. Damals wurden unsere Häuser auch in Brand gesetzt, aber wir konnten in unsere Dörfer zurückkehren. Jetzt werden Menschen verfolgt und getötet. Die Angreifer jagen uns mit Hunden in den Wald.»
Wir trafen die rund vierzigjährige Sifa am Tag nach ihrer Ankunft in Uganda. Sie erzählte uns eine ähnliche Geschichte. Sie wurde bereits vor 15 Jahren aus Ituri vertrieben. «Zuerst wurden wir in ein Dorf namens Kafé vertrieben, nahe des Sees. Doch die Angriffe kamen immer näher. Die Angreifer waren entschlossen, jeden zu töten und es gab niemanden, der uns beschützte. Zum Schutz meiner Kinder, die 12 und 15 Jahre alt sind, entschied ich mich hierher zu kommen. Mein Mann blieb im Kongo zurück und versuchte, weiterzuarbeiten.»
Ein Mann, mit einer Machete bewaffnet, holte sie ein und tötete sie.
Michel war eigentlich auf der Durchreise und befindet sich nun seit zehn Tagen im Aufnahmezentrum in Kagoma. Er erzählte uns, dass einige seiner Freunde und Verwandten mit Macheten und Speeren getötet wurden. Diejenigen, die überlebten, suchten Zuflucht im Camp nahe des Spitals in Bunia. «Ich befand mich in der Ausbildung zum Pflegefachmann. Ich beschloss jedoch, das Geld, das ich für meine Ausbildung gespart hatte, für die Seeüberquerung zu verwenden und nach Uganda zu kommen.» Der 20-jährige Baraka ist ein Fischer aus Kafé.
«Am 8. März, gegen fünf Uhr morgens, standen die Dörfer an den Ufern des Sees in Flammen. Meine Netze waren im Wasser und ich holte sie schnell ein, um die Fische noch zu fangen. Als ich Richtung Kafé lief, sah ich eine Frau auf den See zu rennen. Ein Mann, mit einer Machete bewaffnet, holte sie ein und tötete sie. Meine Piroge ist nur zum Fischen geeignet und taugt nicht, um den See zu überqueren. Ich ging auf den Marktplatz in Chomia, um ein Boot zu finden, mit dem ich nach Uganda fahren konnte. Meine Frau und meine zwei Kinder hatten den See bereits überquert. Es kostete mich 10‘000 CFA-Franc (ca. 18 CHF).»
Es gibt zahlreiche Berichte von systematisch in Brand gesetzten Häusern und von Menschen, die in die Wälder gejagt und getötet wurden. Für viele Geflüchtete, die in Uganda ankommen, steht fest, dass diese Ereignisse mehr sind als nur ein Wiederaufflammen der Spannungen, die zwischen Lendu und Hema in der Region schon jahrzehntelang bestehen.
Viele Menschen erzählen, dass sie die Aufenthaltsorte ihrer Familien, von denen sie auf der Flucht getrennt wurden, nicht kennen. Kinder, schwangere Frauen und ältere Menschen müssen für sich selbst sorgen. Henriette, ungefähr 20 Jahre alt, lebt seit zehn Tagen im Aufnahmezentrum in Kagoma. Sie floh, als ihr Dorf in Djugu Mitte Januar angegriffen wurde. Sie weiss nicht, wo sich ihr Mann und ihr Kind aufhalten, seit sie beide im Chaos während des Angriffs und der Flucht verlor. Die Überfahrt nach Uganda bezahlte sie mit ihrem Koffer und den sich darin befindenden Kleidungsstücken. Sie ist im vierten Monat schwanger und ist ganz allein.
Obwohl in Uganda Einrichtungen zum Schutz und zur Unterstützung der Geflüchteten aufgebaut wurden, sind diese mit der steigenden Zahl von ankommenden Menschen überfordert. Die humanitäre Hilfe ist noch immer nicht ausreichend. Die Neuankömmlinge haben Mühe, ihre Familie zu versorgen. «Vor einer Woche hatten wir die Nahrungsmittel, die uns offiziell zugeteilt wurden, aufgebraucht. Meinem Onkel gelang es, etwas zu Essen für uns zu finden, hauptsächlich kleine Fische aus dem See», erklärt die 14-jährige Joanne, die vor kurzem im Lager Maratatu ankam.
Emmanuel, Vater von acht Kindern, entschied sich, die knapp 20 Kilometer von Chomia nach Ituri zurückzulegen, um nach seinen Feldern zu schauen und Essen zurückzubringen. «Ich ging sehr früh am Morgen zu meinem Feld, um Maniok zu ernten. Ich sah in den Dörfern nahe des Sees Flammen aufsteigen. Ich wusste nicht, was brannte. Die Situation schien sich in den vergangenen Tagen beruhigt zu haben. Viele Menschen aus meinem Dorf, die aus Angst vor den Angriffen im Wald geschlafen hatten, kehrten zurück. Bei Tagesanbruch kamen die Angreifer zurück. Sie griffen Menschen mit Macheten an und töteten so viele wie möglich. Die einzige Chance für mich zu überleben, war die erneute Flucht. Ich brachte nichts zu Essen mit zurück.»
© John Wessels / MSF