EU-Pakt zu Migration und Asyl ist keine Lösung: Kurswechsel nötig, um Sicherheit der schutzsuchenden Menschen sicherzustellen
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Der EU-Pakt wurde von der Europäischen Kommission im September 2020 mit dem Ziel präsentiert, «einen umfassenden Ansatz zu bieten, der die Politik in den Bereichen Migration, Asyl, Integration und Grenzverwaltung zusammenführt». Er wurde als «Neuanfang» dargestellt, der die europäische Asyl- und Migrationspolitik reformieren würde. Die Europäische Kommission bezeichnet ihn als ein «historisches» Abkommen, eine Lösung für Europas Migrationskrise – doch leider ist es das nicht.
Der Pakt sollte eigentlich dafür sorgen, dass schutzsuchende Menschen in Europa menschenwürdige Aufnahmebedingungen vorfinden. Stattdessen legitimiert er De-Facto-Inhaftierungen und untergräbt das Recht der Menschen, Asyl zu beantragen. Von unserer Arbeit in Griechenland wissen wir, dass Zäune, Stacheldraht und Inhaftierung der Gesundheit der Menschen schaden; dies kann nicht die Lösung sein.
Wir haben in Projekten in ganz Europa gesehen, wie europäische Staaten «Krisen» und «aussergewöhnliche Massnahmen» vorschieben, um die Schutzmassnahmen für Menschen in grosser Not zu verringern. So werden auch gewaltsame Massnahmen wie Pushbacks an Grenzen und lange und willkürliche Inhaftierungen gerechtfertigt. Der Einsatz von «Krisenmassnahmen» behindert die humanitäre Hilfe und schränkt die Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ein. So wird es immer schwieriger, Menschen in Not zu unterstützen.
- Der Pakt unternimmt nichts gegen die Tatsache, dass Menschen im Mittelmeer sterben. EU-Regierungschefs verstecken sich stattdessen hinter vagen Formulierungen und werden von der Pflicht, Menschen in Seenot zu helfen, entbunden. Sie können ihre Aktionen zur Sabotage und Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung fortsetzen.
- Der Pakt trägt auch nicht dazu bei, die weit verbreitete und systematische Gewalt an den europäischen Grenzen sinnvoll zu bekämpfen. Patient:innen in verschiedenen europäischen Ländern berichten uns von Pushbacks, Misshandlungen und Gewalt an Grenzen von EU-Staaten. Solche Pushbacks gehen stets mit körperlichen Übergriffen, Inhaftierung, verbaler Demütigung oder anderen erniedrigenden Behandlungen einher. Berichten zufolge werden diese in den meisten Fällen von staatlichen Behörden ausgeführt.
- Anstatt die strukturellen Ursachen zu bekämpfen, die diese ausufernde Gewalt ermöglicht haben, besteht die Gefahr, dass der Pakt den Einsatz solcher Abschreckungstaktiken institutionalisiert: Der Druck auf die europäischen Aussengrenzen bleibt bestehen, die Rechte von Menschen auf Sicherheit und Schutz werden weiterhin ausgehöhlt und eine unmenschliche Darstellung von Menschen in Not wird aufrechterhalten.
Europas Grenzen dürfen keine Tore zu Leid und Gewalt sein
Wir leben in einer Zeit, die durch tiefgreifende Veränderungen und Ereignisse geprägt sind – die Konflikte im Gazastreifen und in der Ukraine sowie der Klimawandel sind nur einige Beispiele. Umso nötiger ist deshalb eine europäische Politik, die Menschen rettet, anstatt sie sterben zu lassen.
Das Recht auf Asyl, das nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs geschaffen wurde, ist ein Eckpfeiler der Gesetze und Werte Europas. Doch es gibt eine beunruhigende Tendenz bei europäischen Regierungschefs, dieses Grundprinzip infrage zu stellen. Unsere Teams in Griechenland, Italien, Frankreich, Libyen und dem Mittelmeer erleben die verheerenden Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit der Menschen sowie die Verschärfung des Asylrechts. Diese alarmierende Entwicklung ist inakzeptabel. Umso mehr, als sie mit zunehmender Gewalt an den Grenzen einhergeht – die zunehmend akzeptiert wird. Die europäischen Regierungschefs müssen ihre Entscheidungen dringend überdenken und der europäischen Bevölkerung versichern, dass das Wohl und die Würde von allen im Vordergrund ihrer Politik steht.
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