Feuer in Moria – Die Menschen waren schon seit Jahren obdachlos

Ein vom Feuer zerstörtes Gebäude im Flüchtlingslager Moria

Griechenland3 Min.

Aurélie Ponthieu, Spezialistin für humanitäre Hilfe bei Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF), teilt ihre Überlegungen zu den Bränden im Lager Moria auf Lesbos.

Zu den Bränden, die das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos am 9. und 10. September fast vollständig zerstört haben, sagte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas in einer Pressekonferenz: «Sie dachten, wenn sie Moria in Brand steckten, könnten sie allesamt die Insel verlassen. Was auch immer die Brandstifter im Sinn hatten – sie können es vergessen.»

Wie die Brände entstanden sind, ist noch unklar. Was aber Herr Petsas andeutet – Flüchtlinge hätten das Lager in Brand gesetzt, um ihm zu entkommen – ist das perfekte Beispiel für das inhumane System, das auf Lesbos noch immer herrscht. Sein Zuhause niederzubrennen, um Moria zu entkommen, spricht für sich.

Das Feuer schwelte schon seit Jahren

Diese Menschen in Lesbos waren bereits obdachlos. Denn sie weilten nicht in Häusern oder Wohnungen, sondern in Schiffscontainern, Hütten und Zelten, die sie mit mehr als 12 000 anderen Asylsuchenden unter unmenschlichsten Bedingungen teilen mussten. Jetzt werden sie auf der Strasse ihrem eigenen Schicksal überlassen, inmitten der Asche des Lagers, das sie hassen und in welches sie wahrscheinlich zurückkehren müssen. 

Das war nicht das erste Mal, dass Moria in Flammen aufging. Schon im September 2016 hatte das Lager gebrannt, bei weiteren Bränden waren drei Menschen ums Leben gekommen. Das jüngste Feuer brach jedoch nicht am Dienstag aus, es wütet bereits seit Jahren. Genährt wurde es durch das Elend, das die Massnahmen der EU zur Migrationskontrolle und Abschreckung verursacht haben. Bewegungseinschränkungen, die entwürdigenden Warteschlangen bei der Essensausgabe und die unfairen und sich ständig ändernden Asylverfahren haben es weiter geschürt. Genauso wie ständige Erniedrigung, Xenophobie und Gewalt, welche die Hoffnungen der Menschen auf eine bessere Zukunft– oder mindestens einer gewissen Würde innerhalb Europas – vollends zerschlagen haben.

Politik kommt vor Gesundheit

Die Covid-bedingten Ausgangssperren und verschärften Bewegungseinschränkungen von Asylsuchenden in Moria wurden seit März immer wieder verlängert. Insgesamt sieben Mal, für über 150 Tage. Als die Ausgangssperre auf Lesbos aufgehoben wurde und der Rest der Inselbevölkerung ihre neu gewonnenen Freiheiten geniessen konnte, wurde den Bewohnerinnen und Bewohnern von Moria jede dieser Freiheiten verweigert. Stattdessen wurden die Restriktionen noch verschärft. Es wurde nichts unternommen, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern, auch umfassende Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 blieben aus. Die Bewohner von Moria hatten keine Möglichkeit, den nötigen Abstand einzuhalten oder sich die Hände zu waschen. Die Botschaft, die ihnen übermittelt wurde, war klar: Ihre Gesundheit ist weniger wert als das Aufrechterhalten einer abschreckenden Migrationspolitik.

Doch damit nicht genug: Die griechische Regierung nutze den ersten Covid-19-Fall im August innerhalb des Lagers Moria, um weitere Einschränkungen für Asylsuchende auf den Inseln zu rechtfertigen und Pläne zur Errichtung von geschlossenen Lagern zu propagieren. 

Kinder finden in den Trümmern des abgebrannten Flüchtlingslagers einen unversehrten Tisch.

Kinder finden in den Trümmern des abgebrannten Flüchtlingslagers von Moria einen unversehrten Tisch. 9. September 2020, Lesbos, Griechenland

© MSF

Ein menschenverachtendes System

Wenn Massnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens individuelle Freiheiten einschränken, sollten sie verhältnismässig, notwendig und rechtmässig sein. Ausserdem sollten sie sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen. Es gibt keine Beweise dafür, dass Bewegungseinschränkungen Asylsuchende davon abhalten, ihre Herkunftsländer zu verlassen. Es gibt jedoch eindeutige Beweise, dass eine Quarantäne unter Bedingungen, wie sie in diesen Lagern herrschen, wirkungslos und sogar kontraproduktiv ist.

Die Asche von Moria ist ein Zeugnis der Hoffnungslosigkeit, die durch ein staatlich gefördertes System der Abschreckung, Entmenschlichung und Vernachlässigung verursacht wurde. Wir dürfen nicht zulassen, dass aus dieser Asche ein ähnlich menschenverachtendes System auferstehen wird. Denn sonst werden an den EU-Grenzen weiterhin Chaos und Verzweiflung herrschen.

 

Unterzeichnen Sie noch heute die Petition zur sofortigen Evakuierung aller Menschen, die aus Moria fliehen mussten und zu einer grundlegenden Veränderung der europäischen Migrationspolitik.