Humanitäre Krise in den Aussengebieten der überfüllten Lager in Dadaab

MSF a procédé à une rapide évaluation nutritionnelle dans les campements improvisés. Les résultats ont dépassé les pires craintes.

Kenia5 Min.

MSF stuft die Mangelernährung unter somalischen Flüchtlingen im Lager und seinen Aussengebieten als höchst alarmierend ein. Die Organisation verstärkt ihr Engagement in den Flüchtlingslagern in Dadaab, Kenia.

Noch immer treffen täglich Tausende von Somaliern in den überfüllten Lagern von Dadaab, im Nordosten Kenias ein. Sie befinden sich auf der Flucht vor den bewaffneten Konflikten in Somalia. Die in ihrer Heimat vorherrschende Dürre macht die Lage noch prekärer. Dass auch Kenia, wie die gesamte Region, nach zwei praktisch ausgebliebenen Regenzeiten von einer ausgesprochen schweren Dürreperiode betroffen ist, verschärft die Situation ebenfalls weiter.
Bei ihrer Ankunft sind die Flüchtlinge nach Tagen oder gar Wochen auf der Flucht völlig erschöpft, finden jedoch nur unzureichende Hilfestellung vor.
Das grösste Flüchtlingslager der Welt ist voll. Es ist in drei Lagern unterteilt, die „Ifo“, „Hagadera“ und „Dagahaley“ heissen. Neuankömmlinge müssen sich in behelfsmässigen Unterkünften in den Aussengebieten des Lagers niederlassen. Die Invfrastruktur in Dadaab war ursprünglich für 90'000 Flüchtlinge geplant, wird aber mittlerweile von gegen 400'000 bewohnt. Obschon MSF wiederholt auf die angespannte Lage hingewiesen hat, zeichnet sich bisher keine Lösung ab.
MSF bietet medizinische Versorgung für die 113'000 Bewohner von Dagahaley an, während die Zahl der Neuzugänge jeden Monat steigt. Über 500 Flüchtlinge kommen im Durchschnitt täglich dazu. Zurzeit leben 25'000 Menschen ausserhalb der Lagergrenzen, und auch hier ist eine weitere Zunahme zu erwarten. Seit 2011 bieten die Teams von MSF auch den Neuankömmlingen in den Aussengebieten von „Ifo“ Hilfeleistungen an. Sie erwarten die Erweiterung des Lagers („Ifo 2“), um die Aktivitäten entsprechend intensivieren zu können.

Extrem hohe Mangelernährungsrate

Seit Anfang Juni ist in „Dagahaley“ ein neues Empfangszentrum in Betrieb. Es wird von den kenianischen Behörden und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geführt mit dem Ziel, die Neuzugänge besser aufzufangen.
Täglich ist ein MSF-Team im Einsatz, um den Gesundheitszustand der neu eintreffenden Flüchtlinge überprüft. Bei der systematischen Untersuchung des Ernährungszustandes von unter fünfjährigen Kindern mittels dem MUAC-Test (engl.  „middle upper arm circumference“; ein Schnelltest für Kinder, in dem mit einem speziellen Armband der Ernährungszustand festgestellt wird) wurde eine alarmierend hohe Mangelernährungsrate ermittelt. Daraufhin wurde Mitte Juni in den Aussengebieten eine weitere Erhebung zum Ernährungszustand (engl. rapid nutritional assessment) durchgeführt, deren Resultate die schlimmsten Befürchtungen übertrafen.
Die extreme Hitze, der Wassermangel, die fehlende Hygiene sowie Verzögerungen bei der Registrierung der Neuzugänge und bei der Bereitstellung von Essensrationen: Die Lebensbedingungen für die Neuankömmlinge sind äusserst prekär. Mitte Juni führten MSF-Teams eine Erhebung zum Ernährungszustand durch. In drei Tagen wurden rund 500 Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren gemessen und gewogen. 37,7 Prozent litten demzufolge an globaler akuter Mangelernährung. Für 17,5 Prozent war die Mangelernährung akut lebensbedrohlich. Die Untersuchung zeigte zudem auch bei Kindern im Alter bis zu zehn Jahren eine erhöhte Mangelernährungsrate auf.
“Es ist eine sehr hohe Mangelernährungsrate. Wir sind äusserst besorgt”, sagt Monica Rull, Leiterin der MSF-Projekte in Kenia und Somalia.
“Ich hatte mit einer schwierigen Lage gerechnet, aber nicht mit einer katastrophalen”, erklärt Anita Sackl, Koordinatorin im Bereich der Ernährungsprogramme. “Die meisten der neuen Flüchtlinge sind geflohen, weil sie nichts zu essen hatten - nicht in erster Linie wegen des Kriegs, der seit Jahrzehnten in ihrem Land wütet”, sagt Anita Sackl.
Nach den besorgniserregenden Resultaten bei den Neuzugängen schliesst MSF nun auch über fünfjährige Kinder in ihre Ernährungsprogramme im Dagahaley-Lager mit ein.

Humanitäre Hilfe zu langsam

Die katastrophale Lage innerhalb von Somalia und die Mangelernährungsrate, die in den Aussengebieten von „Dagahaley“ erfasst wurde, spiegeln die äusserst prekären Lebensbedingungen wider, denen die Neuankömmlinge ausgesetzt sind. Die anhaltenden Verzögerungen bei der humanitären Hilfe sind problematisch. Bis zu 40 Tage müssen Flüchtlinge warten, bis sie vom UNHCR registriert werden und damit eine Karte erhalten, die sie zu regelmässigen Nahrungsrationen berechtigt. In der Zwischenzeit erhielten sie bislang lediglich eine Essensration, die dem Bedarf für zwei Tage entspricht und einen 5-Liter-Plastikcontainer für Wasser.
Monica Rull bezeichnet die Bedingungen als „ absolut inakzeptabel“.  Sie begrüsst jedoch die jüngsten Verbesserungen: „Seit Anfang Juli erhalten die Neuankömmlinge nun Nahrung für 15 Tage. Das ist aber nicht genug. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) muss regelmässige Abgaben gewährleisten können. Es bräuchte eine Studie zum Ernährungszustand in sämtlichen Dadaab-Lagern, die Kinder bis zu zehn Jahren einschliesst. Dadurch könnte die Mangelernährungsrate bei älteren Kindern bestätigt und die Ernährungsprogramme angepasst werden.“ MSF fordert ausserdem ein schnelleres Registrierungsverfahren. Aktuell existiert nur ein einziges Empfangszentrum im Lager „Ifo“ für die gesamte Anlage von Dadaab.
MSF stellte ferner fest, dass einige Flüchtlinge in den Aussengebieten von „Dagahaley“ nicht einmal drei Liter Wasser pro Tag erhalten. Diese Menge ist ausserdem gerade ausreichend für den täglichen Wasserbedarf in heissen Klimazonen, aber daneben kaum für grundlegende Hygieneverrichtungen. Eine erhöhte Wasserzufuhr ist nötig. MSF-Teams haben damit begonnen, mit Lastwagen täglich über 100 Kubikmeter Wasser zu verteilen.

Das medizinische Programm von MSF wird ausgebaut

Aufgrund des kritischen Gesundheitszustands der Neuankömmlinge und den verschärften Zulassungskriterien für Ernährungsprogramme steigt der Druck auf das von MSF geführte Spital in „Dagahaley“ sowie auf die fünf ausgelagerten Erste-Hilfe-Stationen. Über 1’600 Kinder mit akuter Mangelernährung werden zurzeit in den ambulanten Programmen behandelt. Daneben werden wöchentlich mehr als 700 Neuzugänge in den ergänzenden Programmen registriert. Die meisten von ihnen kommen von der neu eröffneten Erste-Hilfe-Station 8, die sich in einem Aussengebiet des Lagers befindet, wo sich die Mehrzahl der Neuankömmlinge niederlässt. Letzte Woche erfasste das Spitalpersonal 107 Neueintritte, die dringend intensive Betreuung brauchen. Da die Kapazitäten bereits überschritten waren, wurde das Spital um eine pädiatrische Abteilung mit 60 Betten erweitert. Hier kann unter anderem auch Mangelernährung behandelt werden.
Die Situation in den Lagern von Dadaab ist äusserst besorgniserregend; MSF betont wiederholt, dass die Aktivitäten aller Akteure vor Ort deutlich ausgebaut werden müssen, um angemessene Betreuung leisten zu können. Dazu gehört einerseits die sofortige Unterstützung der Flüchtlinge in den Grenzgebieten, anderseits das Finden von tragbaren Lösungen für die bestehenden Lager.
MSF leistet in Kenia seit 1992 medizinische Hilfe und ist seit insgesamt 14 Jahren in den Lagern von Dadaab tätig. Seit 2009 ist MSF der einzige Anbieter medizinischer Leistungen im Lager von Dagahaley. Die Organisation gewährleistet die Gesundheitsversorgung für die 113'000 Bewohner des Lagers, in fünf Erste-Hilfe-Stationen und in einem Spital mit 170 Betten.