Likoni, Kenia: Geschichten aus dem «Container-Dorf» von MSF
© Paul Odongo/MSF
Kenia5 Min.
Im Mai dieses Jahres eröffnete MSF in Likoni ein neues Gesundheitszentrum. Um die medizinische Versorgung auch während der Bauzeit zu gewährleisten, betrieb die Organisation ein Spital in einem provisorischen Container-Bau.
Eine Frau schreit. Durch eine weisse Tür mit der Aufschrift «Geburtssaal» sind gedämpft die ermutigenden Worte einer Hebamme zu hören. Nur wenig später folgt der erste Schrei des Neugeborenen. Das Ganze findet im temporären Gesundheitszentrum von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Likoni, südwestlich von Mombasa Island, statt.
Im Wartebereich gleich ausserhalb des Geburtssaals herrscht reges Treiben. Werdende Mütter warten auf ihre nächste Untersuchung, zwischendurch treten Frauen aus den Gebärsälen, um einen Spaziergang zu machen; derweil eilen Pflegefachleute und Hebammen von einem Raum zum anderen. Der Raum ist hoch und dank der Oberlichter im Dach gut beleuchtet.
Die 19-jährige Shamir Rama hat hier ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Ihre Eltern hatten sie in das Zentrum gebracht. «Ich wusste nicht, wo ich entbinden sollte, da viele staatliche Spitäler nicht in Betrieb sind. Ich bin froh, dass ich hier gelandet bin», sagt sie. Das war im Juli 2017, als der landesweite Streik des kenianischen Pflegepersonals bereits über einen Monat andauerte. Über 1000 Mütter hatten in diesem Monat ein Kind in dem Bau aus Schiffscontainern zur Welt gebracht – ein neuer Rekord. An jenem Tag allein kamen dort 35 Babys zur Welt.
Fährüberfahrt mit gefährlichen Folgen
Bevor MSF die Arbeit in Likoni aufnahm, hatte es in diesem dicht bevölkerten Sub-County weder eine Einrichtung für die Neugeborenenversorgung noch für Geburtsnotfälle gegeben. Schwangere Frauen mussten für die Geburt oder Vorsorgeuntersuchungen die Fähre nach Mombasa Island nehmen. Bei einem Notfall konnte die für die Überfahrt nötige Zeit für Mutter und Kind lebensgefährliche Folgen haben. Aus diesem Grund beschloss MSF, das alte Mrima-Gesundheitszentrum in Likoni zu sanieren und gleichzeitig zu erweitern.
Die Arbeiten dazu begannen im Januar 2016. Damit die medizinische Versorgung bis zur Eröffnung des neuen Zentrums gewährleistet war, baute MSF ein temporäres, aber voll funktionsfähiges Spital aus Schiffscontainer, einschliesslich eines OP-Saals. Das «Container-Dorf», wie es bald von vielen genannt wurde, wurde zu einem beliebten Ort, wo die Frauen ihre Babys sicher zur Welt bringen konnten, selbst bei einer Risikoschwangerschaft.
Explodierende Patientenzahlen während der Streiks
Zu Beginn begleitete MSF etwa 300 Geburten pro Monat. Als jedoch dem 100-tägigen Ärztestreik im Juni 2017 ein landesweiter Streik des Pflegepersonals folgte, hatten viele Kenianer plötzlich keinen Zugang mehr zu medizinischer Versorgung. Das Container-Dorf konnte die steigenden Patientenzahlen nur mit Mühe bewältigen. 2017 betreuten die MSF-Teams in diesem Zentrum insgesamt 7873 Geburten, darunter 1656 Kaiserschnitte – das entsprach einer Erhöhung um das Fünffache im Vergleich zum Vorjahr. In den zwei Jahren und vier Monaten, während denen der Containerbau in Betrieb war, fanden dort 11’578 Entbindungen statt.
Während der Streiks kamen nicht nur Frauen aus Likoni, sondern auch aus anderen Gegenden der Küstenregion.
Wir hatten mehrere Patienten, die bei ihrer Ankunft in der Klinik dem Tod nahe waren, da sie von so weit her kamen. Zum Glück konnten wir allen noch rechtzeitig helfen.
Positive Erinnerungen an das Container-Spital
Die 29-jährige Fatuma* wurde in einer Freitagnacht wegen Komplikationen aus einer Klinik in Msambweni in das Container-Spital überwiesen; zwei Stunden dauerte die Reise. Drei Tage nach ihrer Aufnahme konnte sie sich nur vage daran erinnern, was passiert war. «Als sie zu uns kam, war sie in einem Schockzustand, konnte kaum atmen und hatte viel Blut verloren», erinnert sich Carol. Auch ihr Kind hatte sie verloren.
Trotz des grossen Schmerzes über das verlorene Kind und die Tatsache, dass sie nie mehr schwanger sein würde, waren Fatuma und ihr Ehemann erleichtert. «Ich war einfach nur dankbar, dass ich noch lebte und in der Lage war, mich um meine anderen Kinder zu kümmern», sagt Fatuma. Das älteste ihrer drei Kinder war neun Jahre alt. «Ich hatte vorher noch nie von diesem Spital gehört», fügt ihr Mann Salum* hinzu, «aber ich werde den Ärzten ewig dankbar sein. Ich werde diesen Ort nie mehr vergessen.»
Viele Leute, einschliesslich des Personals, hatten vorher noch nie ein Spital aus Containern gesehen. Von aussen sah das Gebäude für die meisten eher merkwürdig aus. «Wir dachten, es würde dort drin viel zu heiss und nicht aushaltbar sein, aber das war zum Glück nicht der Fall», sagt Carol. «Das war das erste Mal, dass ich in einem Spital aus Containern arbeitete, aber es war eine positive Erfahrung und ich habe viele schöne Erinnerungen. So geht es auch zahlreichen Patienten.»
«Ich wurde vom Likoni-Sub-County-Spital hierher überwiesen», erzählt eine Frau, die ihr Kind im Container-Dorf zur Welt brachte. «Als ich die Einrichtung betrat, war ich sehr überrascht, wie es hier aussah. Es war sehr gut ausgestattet und sauber, das Personal war freundlich und professionell.»
Entbindung in einem angenehmen Umfeld
Nach zwei Jahren Sanierungsarbeiten am alten Mrima-Gesundheitszentrum konnte MSF im Mai dieses Jahres das neue und erweiterte Gesundheitszentrum offiziell eröffnen. «Das 31-Betten-Spital verfügt über fachgerecht gestaltete Behandlungszimmer, verbesserte medizinische Geräte und bietet viel Platz, sodass mehr Patienten aufgenommen werden können», sagt Stephanie Giandonato, MSF-Länderverantwortliche in Kenia. «Die Mütter können hier unter angenehmeren Bedingungen gebären.»
Zu ermöglichen, dass Frauen Zugang zu einer professionellen Schwangerschaftsvorsorge und Geburtshilfe haben, und das in der Nähe ihres Wohnorts, ist Teil des Engagements von MSF.
Mittlerweile wurden alle Abteilungen in das neue Gebäude transferiert und das Container-Dorf steht nun leer. Alle sind stolz auf ihre Rolle, die sie während des Betriebs des Container-Spitals spielten, und freuen sich, dass sie so vielen Müttern im entscheidenden Moment helfen konnten.
*Name geändert
© Paul Odongo/MSF