Luftangriff in Nigeria: «Mir fehlen die Worte, um die Geschehnisse in Rann zu beschreiben»

«Ce que les survivants du bombardement ont vécu est si dur, si violent. Rann était leur refuge; l’armée qui était censée les protéger les a bombardés.»

Nigeria3 Min.

Alfred Davies ist Projektkoordinator für Ärzte ohne Grenzen (MSF) in Nigeria. Er war in Rann, als die Siedlung bombardiert wurde. Ein Erfahrungsbericht.

«Die erste Bombe ist um 12.35 Uhr nur wenige Meter neben dem Büro vom Roten Kreuz explodiert. Fünf Minuten später machte das Flugzeug kehrt und warf eine zweite Bombe ab.
Ich habe sofort per Funk mit den anderen vom Team Kontakt aufgenommen: Glücklicherweise war niemand von unserem Team getroffen worden. Wir trafen uns in den Zelten, die wir einige Tage zuvor aufgebaut hatten.
Bald darauf trafen die Verletzten zu Dutzenden ein, und das während mehrerer Stunden.
Manche hatten schwere Knochenbrüche und Hautverletzungen erlitten, ihre Gedärme waren herausgerissen. Ich habe Kinder gesehen, deren Körper in der Mitte durchtrennt waren. Es gibt keine Worte, um diesen Anblick zu beschreiben. In den Zelten musste man über Verletzte steigen, überall lagen Menschen. Wer nicht im Zelt untergebracht werden konnte, lag draussen auf Planen.

In unserem Team hatten wir nur einen Arzt und einen Pfleger, aber wir alle halfen so gut es ging mit. Sogar die Fahrer packten mit an. Mitarbeiter vom Roten Kreuz und Militärpfleger kamen zur Verstärkung.
Ich habe das Flugzeug nicht gesehen und weiss nicht, um welche Art von Geschoss es sich handelte. Auf den Körpern der Verwundeten fanden sich Metallsplitter. Was ich gesehen habe, ist unbeschreiblich. Innerhalb von einer Stunde zählten wir 52 Tote.

Ich glaube, dass viele Menschen verschont blieben, weil sie gerade bei unserer Ausgabe von Hilfsgütern wie Planen und Decken Schlange standen und sich nicht im Siedlungszentrum aufhielten. So entkamen sie den Bomben.
Am schlimmsten ist die Machtlosigkeit: Den Teams standen nicht genügend Mittel zur Verfügung, um mehr Verletzte zu retten. Mehrere Menschen starben vor unseren Augen, ohne dass wir sie versorgen konnten. In Rann gab es einst ein Spital, aber das wurde im letzten Jahr abgebrannt und kann nicht betrieben werden. Aus Versorgungssicht ist Rann komplett abgeschnitten.
Erst am 14. Januar hatten wir es geschafft, in die Region zu gelangen. Aufgrund der Sicherheitslage waren dazu mehrere Anläufe nötig. Den Siedlungsbewohnern fehlt es an allem. In der Woche vor unserer Ankunft starben 21 Menschen an den Folgen von Mangelernährung. Das Ziel unseres Einsatzes war klar: Wir sollten die Ernährungslage der Bevölkerung und den Bedarf, insbesondere an Wasser, evaluieren. Bei dieser Gelegenheit impften wir auch Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 15 Jahren und verteilten Hilfsgüter.

Mir fehlen die Worte.

Aus Sicherheitsgründen mussten wir die Zelte gegen 18 Uhr verlassen. Für uns alle war es schwer, die Patienten zurückzulassen, aber das Team vom Roten Kreuz war zur Stelle und konnte übernehmen.
Als ich kurz Zeit hatte, ging ich auf den Friedhof, denn nach dem lokalen Brauch werden die Toten rasch begraben. Da waren 30 frische Gräber, Kinder waren mitunter im selben Grab mit ihren Müttern bestattet. Es war herzzerreissend.
Ich bin auch dorthin gegangen, wo die Bomben eingeschlagen waren. Sie waren auf Wohnhäuser abgeworfen worden. Es ist unverständlich. Ich habe die Leiche einer Mutter wiedererkannt, die am selben Morgen mit ihren Zwillingen zur Lebensmittelausgabe gekommen war. Die beiden Kinder hatten therapeutische Nahrung erhalten, weil sie mangelernährt waren. Nun lagen sie weinend am reglosen Körper ihrer Mutter.
Was wir erlebt haben, ist schrecklich und traumatisch. Zu wissen, dass wir trotz mangelnder Ressourcen alles getan haben, wozu wir imstande waren, ist unser einziger Trost. Drei Mitarbeiter eines Privatunternehmens, das für MSF die Wasserversorgung des Lagers sicherstellt, sind beim Angriff ums Leben gekommen, ein weiterer wurde verletzt. Das ist sehr schmerzhaft für unsere Teams, da sie eng mit ihnen zusammengearbeitet hatten. Sie kannten MSF gut und hatten bereits viel geleistet, um die Bevölkerung von Rann mit Wasser zu versorgen. Alles, was wir noch tun können, ist ihre Rückführung zu ihren Familien zu veranlassen.
Was die Überlebenden des Angriffs auf Rann erlebt haben, ist grausam und hart. Rann war ihre Zuflucht. Die Armee, die sie schützen sollte, hat sie bombardiert. Wir dürfen sie jetzt nicht im Stich lassen.»