Medizinisches Personal in Italien am Limit

17. März 2020, das Spital  von Codogno in der Provinz Lodi

Italien3 Min.

Die Ärztin Chiara Lepora ist Projektkoordinatorin in Lodi in der Lombardei, dem Epizentrum des Covid-19-Ausbruchs in Italien. Ärzte ohne Grenzen unterstützt hier mehrere Spitäler. Sie schildert die aktuelle Lage.

Derzeit arbeitet ein Team von rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier in der Lombardei, vor allem rund um die Spitäler in Lodi, Codogno und Sant'Angelo. Das Gesundheitssystem hier ist zwar sehr gut, aber das Virus war schneller als alle Bemühungen, mit der stark zunehmenden Anzahl von Fällen umzugehen. Die Spitäler haben ihre Kapazitätsgrenze erreicht. In der Notaufnahme des Krankenhauses in Lodi gibt es aktuell achtzig Betten. Doch trotz der zusätzlichen Bettenkapazität kann ein neuer Patient nur dann überwiesen werden, wenn sich ein anderer erholt oder stirbt.

Unsere Hauptaufgabe besteht darin, das medizinische Personal in den Krankenhäusern zu unterstützen.

Wir geben unser Bestes, damit die Ärztinnen und Ärzte und das Pflegepersonal gesund bleiben – denn wenn sie auch krank werden, gibt es niemanden mehr, der sich um die Patientinnen und Patienten kümmern kann.

Wir haben viel Erfahrung mit der Prävention und Bekämpfung von Infektionen aufgrund der Epidemien, die wir weltweit bekämpfen. Wir helfen bei der Einführung von Prozessen in den Spitälern, die sicherstellen, dass das Personal vor Infektionen geschützt ist und dass gesunde Personen nicht angesteckt werden. 

Unsere Lernkurve bei dieser Krankheit ist steil. Unser Spezialist für Infektionskrankheiten, unser Anästhesist und unser Notfallmediziner arbeiten eng zusammen und lernen von den Ärztinnen und Ärzten vor Ort, die von Anfang an bei der Bekämpfung des Coronavirus beteiligt waren. Sie haben eine klinische Expertise entwickelt, die sehr wertvoll ist.

Wir können uns viel von ihrem Wissen aneignen, damit wir vorbereitet sind, die Krankheit auch an anderen Orten zu bekämpfen.

Wir haben bereits neue diagnostische Ansätze kennengelernt, wie die Verwendung von Ultraschall anstelle von Röntgenbildern für die Lungenuntersuchung, was sich als weitaus einfacher erwiesen hat. 

Ausserhalb der Spitäler leisten wir Unterstützung bei den Behandlungen von erkrankten Personen. Wir arbeiten mit Allgemein- und Hausärztinnen und -ärzten zusammen, um Erkrankte in ihren Häusern und in Einrichtungen für ältere Menschen zu behandeln. Da alle Spitäler ausgelastet sind, müssen einige Betroffene mit weniger schweren Symptomen zu Hause behandelt werden. Dies ist jedoch mit zusätzlichen Komplikationen verbunden, da eine Lungenentzündung ohnehin schwerwiegend ist.

Wir arbeiten mit den örtlichen Gesundheitsbehörden zusammen, um mithilfe eines Telemedizin- und Teleüberwachungsdienstes die Patientinnen und Patienten sowie ihre Versorgung mit Sauerstoff zu überwachen. Dadurch können wir schnell eingreifen, wenn sich ihre Situation verschlechtert.

Jeder hier arbeitet bis zur völligen Erschöpfung. Es ist unglaublich zu erleben, wie Menschen rund um die Uhr im Einsatz sind.

Sie tun alles, um sich an die Situation anzupassen, dazuzulernen und zusammenzuarbeiten, um so viele Leben wie möglich zu retten - während sie gleichzeitig ständig mit dem Tod konfrontiert sind.

In der Nähe des Eingangs des Spitals von Lodi gibt es eine kleine Bäckerei. Gestern habe ich mit der Bäckerin gesprochen. Sie öffnet um fünf Uhr morgens, damit sie dem medizinischen Personal, das von der Nachtschicht kommt, einen Kaffee und ein Croissant anbieten kann.

Sie erzählte mir, dass viele der Ärztinnen und Ärzte und Pflegefachleuten dort ihren Kaffee holen, in der Ecke sitzen und anfangen zu weinen. Sie weinen dort, damit sie ihre Traurigkeit ein Stück weit loswerden, bevor sie nach Hause zu ihren Familien gehen.

Sie wollen ihren Familien nicht zeigen, wie schwer es für sie ist.

In einer Krise wie dieser, in der der medizinische Bedarf überwältigend ist, müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden. Bei Ärzte ohne Grenzen kennen wir diese Situation sehr gut.

Wir werden hier so lange Hilfe leisten, wie wir gebraucht werden. Wir bereiten uns auch darauf vor, in anderen Gebieten und Regionen Unterstützung zu leisten - auch in jenen, wo die Epidemie gerade erst beginnt und in denen Präventionsmassnahmen eine grosse Wirkung haben können.