Selbstbestimmt entscheiden, sicher abbrechen

Eine unserer Mitarbeiterinnen spricht mit einer Patientin, die eine Woche zuvor von MSF eine sichere Abtreibungsbehandlung erhielt. Beira, Mozambik, 21. September 2023.

Mutter-Kind-Gesundheit4 Min.

Bei der Versorgung mit sicheren Schwangerschaftsabbrüchen stellen wir die selbstbestimmte Entscheidung, Gesundheit, Sicherheit und Würde unserer Patient:innen in den Mittelpunkt. Für uns ist die Frage zentral, wie wir die Patient:in bestmöglich unterstützen können.

Komplikationen in Krisen- und Konfliktregionen bis zu siebenmal schwerwiegender

Ungewollt Schwangere, die keine Möglichkeit zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch haben sind potenziell allen Komplikationen eines unsicheren Abbruchs, einschliesslich des Todes, ausgesetzt. In vielen Ländern sind aber die Hürden für einen sicheren Abbruch, wie rechtliche Einschränkungen und die Kosten für Transport und Gesundheitsdienstleistungen, sehr hoch. Soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, Kriege, Krisen und Naturkatastrophen verschärfen diese Bedingungen.

Wir haben gemeinsam mit Épicentre dem Guttmacher Institut und Ipas eine Studie zu Komplikationen nach unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen in Nigeria und der Zentralafrikanischen Republik veröffentlicht. Anhand von zwei Beispiel-Spitälern konnten wir zeigen, dass Komplikationen in Krisen- und Konfliktregionen bis zu siebenmal schwerwiegender sind als in stabilen Kontexten. Das ist für uns ein weiterer Grund, möglichst überall wo wir arbeiten sichere Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.

«Meine ganze Familie hat mich dabei unterstützt.»

«Mein Arzt hatte mir gesagt, es sei gefährlich für mich, wieder schwanger zu werden. Ich habe bereits vier Kaiserschnitte hinter mir. Wenn es nötig gewesen wäre, hätte ich überall nach etwas gesucht, um die Schwangerschaft zu beenden. Es gibt viele Möglichkeiten - Pflanzen, Dinge, die man trinken kann. Ich kann nicht noch einmal schwanger werden, weil ich sterben könnte», erzählt Marisol, die vor der Krise in Venezuela nach Kolumbien geflohen ist. 

Unser Team vor Ort stand Marisol beratend zur Seite und und half ihr dabei, die entsprechenden Medikamente zu bekommen. Doch die wichtigste Kraftquelle waren ihre Angehörigen: «Meine ganze Familie hat mich dabei unterstützt. Ich habe bereits Kinder. Ich möchte sie aufwachsen sehen.»

«Wie lange werden wir noch leiden müssen?»

Neben den oben genannten rechtlichen und finanziellen Hürden bilden eine weitgehende Tabuisierung des Themas und gesellschaftliche Stigmatisierung weitere Barrieren auf dem Weg zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch. Oft fehlt es auch an frei zugänglichen Informationen dazu, wo und wie Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden.

«Als ich erfuhr, dass ich wieder schwanger war, habe ich sehr geweint. Ich habe nicht die Kraft, weitere Kinder auf die Welt zu bringen. In unserer Gesellschaft ist es für Frauen sehr schwierig, über Schwangerschaftsabbrüche zu sprechen. Wie lange werden wir noch darunter leiden müssen? Es scheint, als ob Jahrhunderte vergangen sind, aber nichts hat sich geändert», sagt Amita*, die als Patientin in Neu-Dehli, Indien, zu uns kam. Über eine Nachbarin hatte sie von unserer Klinik erfahren und suchte dort Hilfe.

Zunächst war es mir sehr peinlich, in diese Klinik zu kommen und einen Abbruch vornehmen zu lassen. Aber Dank der Hilfe hier, konnte ich meine Verlegenheit überwinden und mich aus meiner schwierigen Situation befreien. Ich habe hier die Medikamente für einen Abbruch erhalten und jede Art von Hilfe, die ich brauchte. Ich habe auch Verhütungsmittel bekommen, um nicht wieder schwanger zu werden.

Amita*, Patientin in Neu-Delhi


*Namen zum Schutz der Privatsphäre geändert

Wir sind noch nicht am Ziel

Das Thema Schwangerschaftsabbrüche berührt kulturelle und weltanschauliche Traditionen sowie ethische Auffassungen in besonderem Masse. Daher ist es besonders wichtig, dass wir auch innerhalb unserer Organisation dazu gut im Austausch sind. Wir schulen unsere unsere Mitarbeiter:innen weltweit mit Workshops und Trainings. Wir informieren sie zu Daten und Fakten rund um das Thema Schwangerschaftsabbrüche und bieten ihnen Raum, sich mit ihren Einstellungen und Werten auseinanderzusetzen.

In erster Linie geht es dabei um eine Sensibilisierung für die Konsequenzen, die eine Zurückweisung von hilfesuchenden Schwangeren haben kann: «In besonders gravierenden Fällen kann es vorkommen, dass wir auf Grund schwerer Komplikationen nach einem unsachgemässen Abbruch schon bei jungen Frauen die Gebärmutter entfernen müssen», berichtet Jean Kalibushi Bizimana, Gynäkologe unserer medizinischen Abteilung in Berlin. «Das ist sehr tragisch und ein schwerwiegender Eingriff. Und er zeigt: Es reicht nicht, die Komplikationen nach unsicheren Abbrüchen zu behandeln, die so weitreichend sein können. Wir müssen vorher ansetzen und solche Komplikationen verhindern, indem wir überall sichere Abbrüche anbieten.»

Unser Drei-Säulen-Prinzip

Wir versuchen deshalb in möglichst vielen Projekten einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen und nach einem Drei-Säulen-Prinzip vorzugehen: Wir ermöglichen sichere medikamentöse und operative Schwangerschaftsabbrüche, helfen mit medizinischer Nachsorge nach unsachgemässen Abbrüchen und leisten Beratung und Unterstützung in Fragen der Familienplanung und Verhütung.
In den vergangenen Jahren haben wir die Versorgung in diesem Bereich stark ausgebaut und 2022 weltweit 44 900 sichere Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen.