Syrien: Der Konflikt bedroht die Gesundheit von Frauen

Eine vertriebene Frau hält ihr Neugeborenes im Arm

Syrien3 Min.

An einem kalten regnerischen Tag wird eine Frau von ihrem Mann auf dem Motorrad ins Spital im Gouvernement Idlib gebracht. Das Spital im Nordwesten Syriens wird von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) unterstützt. Die Frau ist hier, um zu gebären. Ratiba ist eine Vertriebene. Sie wohnt mit ihren vier Kindern, wovon drei während des Syrienkonflikts zur Welt gekommen sind, in einem Zelt. Sie hat Mühe, über die Runden zu kommen. Wie Tausende andere Frauen in Syrien wurde auch bei ihr während der Schwangerschaft eine Mangelernährung festgestellt. Das äusserte sich bei ihr mit Schwindel, Bluthochdruck und Abgeschlagenheit.

Ratiba ist nicht allein: Vier Millionen Menschen leben aktuell im Nordwesten Syriens, 2.7 Millionen als intern Vertriebene. 80 Prozent von ihnen sind Frauen und Kinder. Ärzte ohne Grenzen sieht seit über zehn Jahren, wie sich die Folgen des Konflikts direkt auf die Gesundheit der Menschen, insbesondere auf die der Frauen, auswirkt. Viele leben unter schlechten Bedingungen und haben nicht genug zu essen. Bereits bestehende Problematiken wie geschlechtsspezifische Gewalt und frühe Heirat verschlimmern die Lage der Frauen. «Selbst Menstruation, eine Schwangerschaft oder Stillen werden zu einer Herausforderung», berichtet Teresa Graceffa, medizinische Koordinatorin für Ärzte ohne Grenzen in Syrien.

Gesundheitsversorgung ist für viele wegen der unsicheren Lage, den grossen Distanzen zur nächsten Gesundheitseinrichtung und den Kosten nur schlecht verfügbar. «Kürzlich hat eine Frau, die von weit her kam, ihr Kind neben dem Eingang eines von uns unterstützten Spitals geboren», erzählt Caroline Masunda, medizinische Expertin von Ärzte ohne Grenzen in Syrien. «Sie wartete darauf, genug Geld für den Transport ins Spital zusammenzubringen, da keine Ambulanz verfügbar war. Das ist bedenklich, denn eine späte Ankunft im Spital kann für Mutter und Kind zu Komplikationen führen.»

Der Konflikt beeinflusst die Psyche von Frauen und Mädchen

Elf Jahre Krieg haben sich aber auch auf die Psyche der Frauen ausgewirkt: Viele leiden an Angstgefühlen, Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Die meisten Frauen oder jungen Mädchen, die von Ärzte ohne Grenzen psychologische Unterstützung erhalten, geben an, dass ihre Beschwerden direkt oder indirekt mit dem Konflikt zusammenhängen.

Vor Kurzem habe ich eine 25-jährige Mutter von fünf Kindern an eine psychologische Fachperson überwiesen. Sie hatte Anzeichen einer Depression. Sie war so von Traurigkeit überwältigt, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihr Neugeborenes zu stillen.

Soumaya*, Gesundheitsberaterin von Ärzte ohne Grenzen

Ärzte ohne Grenzen bietet seit 2012 Leistungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit in Nordwestsyrien an. Diese umfassen vor- und nachgeburtliche Untersuchungen, Neugeborenenpflege, Geburtshilfe einschliesslich Kaiserschnitte, gynäkologische Sprechstunden, Familienplanung und psychologische Unterstützung. 2021 betreuten wir in den Gouvernements Aleppo und Idlib über 18 000 Geburten und hielten mehr als 200 000 Sprechstunden zu sexueller und reproduktiver Gesundheit ab.

Während die Bedürfnisse weiterhin zunehmen, kämpft das fragile Gesundheitssystem in Nordwestsyrien mit strukturellen Herausforderungen; die Finanzierung bleibt ein grosses Problem.

In den Vertriebenenlagern berichten uns Frauen regelmässig, dass Mutter-Kind-Leistungen immer weniger verfügbar seien. «Jedes Mal, wenn wir ins Spital gehen, hat es weniger medizinisches Personal, viele Leistungen sind nicht verfügbar», sagt Fatima*, Mutter von sieben Kindern, die kürzlich eine Fehlgeburt erlitten hat. «Ich habe erfahren, dass das Spital, in dem meine Tochter zur Welt kam, nun geschlossen ist», fügt sie hinzu.

Wir haben deshalb die Aktivitäten weiter ausgebaut – auch als Reaktion auf die massive Geburtenzunahme in drei der unterstützten Spitäler. Die Anzahl Kaiserschnitte hat sich 2021 sogar verdreifacht. Diese Tendenz hat sich auch in den ersten zwei Monaten von 2022 fortgesetzt.

Es ist unbestritten, dass die geleistete humanitäre Hilfe die Bedürfnisse nicht abdeckt. Es braucht dringend mehr Mittel, damit wichtige Leistungen wie sexuelle und reproduktive Gesundheit zur Verfügung stehen. «Die Frauen in Nordwestsyrien brauchen langfristig qualitativ gute Gesundheitsleistungen, damit sie ein gesundes Leben führen können. Wir dürfen sie jetzt auf keinen Fall im Stich lassen», betont Dr. Faisal Omar, MSF-Einsatzleiter in Syrien.

*Namen wurden geändert